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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

845–848

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Strong, Rowan [General Ed.]

Titel/Untertitel:

The Oxford History of Anglican-ism. 5 Vols. Vol. I: Reformation and Identity, c. 1520–1662. Ed. by A. Milton.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2017. XXVI, 500 S. Geb. US$ 135,00. ISBN 978-0-19-963973-1.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Strong, Rowan [General Ed.]: The Oxford History of Anglican-ism. 5 Vols. Oxford: Oxford University Press 2017/2018.
Vol. II: Establishment and Empire, 1662–1829. Ed. by J. Gregory. 2017. XXVIII, 527 S. Geb. US$ 125,00. ISBN 978-0-19-964463-6.
Vol. III: Partisan Anglicanism and its Global Expansion, 1829–1914. Ed. by R. Strong. 2017. XXIV, 490 S. Geb. US$ 135,00. ISBN 978-0-19-969970-4.
Vol. IV: Global Western Anglicanism, c. 1910 – present. Ed. by J. Morris. 2017. XX, 449 S. Geb. US$ 142,50. ISBN 978-0-19-964140-6.
Vol. V: Global Anglicanism, c. 1910–2000. Ed. by W. L. Sachs. 2018. 472 S. Geb. US$ 125,00. ISBN 978-0-19-964301-1.


Mehr als die meisten anderen christlichen Traditionen ist der An­glikanismus, diejenige christliche Tradition, die ihre institutionelle Form in der weltweiten anglikanischen Kirchengemeinschaft gefunden hat, durch seine Geschichte bestimmt. Denn hier legt weder ein unfehlbares Lehramt den aktuellen Lehrgehalt fest noch besitzen seine Bekenntnisschriften eine den protestantischen Be­kenntnisschriften vergleichbare Autorität. Für ein vertieftes Verständnis dieser Tradition ist daher die Kenntnis ihrer historischen Entwicklung unerlässlich. Eine umfassende und zugleich eindringende Darstellung dieser Entwicklung liegt nun mit dem hier anzuzeigenden Werk vor, und es ist besonders eindrucksvoll, dass es möglich war, diese fünf Bände mit zusammen mehr als 2500 S. von insgesamt mehr als 100 Verfassern im Zeitraum eines Jahres erscheinen zu lassen.
Das Werk will nach der allgemeinen Einführung des Gesamtherausgebers Rowan Strong, Professor für Kirchengeschichte an der Murdoch University in Perth (Westaustralien), die Charak-teristika, Abläufe, Gestalter und Ausdrucksformen anglikanischer Identität während der verschiedenen geschichtlichen Zeitabschnitte und an den geographischen Orten darstellen, die in den Bänden der Reihe untersucht werden. Es geht davon aus, dass der Anglikanismus nicht eine Form des Christentums sei, die vollständig und unterscheidbar am Ende des »Elizabethan settlement« entstanden war. Vielmehr habe die Identität dieser Kirche sich, beginnend mit der »religiösen Revolution« Heinrichs VIII. (mit Recht vermeidet Strong die missverständliche Bezeichnung »Reformation« für die Maßnahmen dieses Königs; aber auch ob Heinrich ein »religiöser« Revolutionär war, kann man in Zweifel ziehen) vom frühen 16. Jh. an in den Ländern der Britischen Inseln, sodann im 1 7. Jh. übergehend in eine transatlantische Umwelt und schließlich vom 18. Jh. an sich ausdehnend in einen globalen Zusammenhang, ausgebildet. Die Frage, was einen Anglikaner kennzeichnet, war nach Strong immer umstritten; die anglikanische Identität erfuhr im Lauf der Zeit Wandel und Widersprüche wie auch Kontinuität.
Die dem Gesamtwerk zugrundeliegende Auffassung vom An­glikanismus und seiner Geschichte zeigt sich schon an seiner Gliederung: Bd. 1 umfasst die Zeit von Heinrich VIII. bis zur Restauration der anglikanischen Staatskirche im Jahr 1662, Bd. 2 den folgenden Zeitabschnitt bis zum Jahr 1829, Bd. 3 sodann das folgende (knappe) Jh. bis 1914. Die Bde. 4 und 5, die zeitlich parallel laufen, beginnen schon mit dem Jahr 1910, dem Jahr der Weltmissionskonferenz in Edinburgh; Bd. 4 reicht bis zur Gegenwart; Bd. 5 schließt schon mit dem Jahr 2000 ab. Auffällig ist, dass bei der Beschreibung der Geschichte der anglikanischen Tradition, in der das Bewusstsein der Kontinuität auch mit der Kirche der Frühzeit und des Mittelalters ein größeres Gewicht hat als in den eindeutig protestantischen Kirchen, ein Kapitel über das fehlt, was man zumindest als ihre Vorgeschichte ansehen kann. Zwar greifen manche Einzeldarstellungen auf diese Vorgeschichte zurück; dies bleibt aber vereinzelt und zufällig. So wird im 1. Band der Act in Restraint of Appeals von 1533 behandelt; es fehlt aber ein Hin-weis darauf, dass vergleichbare Rechtsmittelbeschränkungsgesetze, wenn auch mit anderer Motivation, schon im 14. Jh. erlassen wurden, ohne dass man deshalb von einem Schisma gesprochen hätte. Insofern unterscheidet das Werk sich von der Quellensammlung »The Anglican Tradition«, hrsg. v. G. R. Evans und J. Robert Wright, die diesen Zeitabschnitten immerhin 129 von 600 Textseiten, also nahezu ein Viertel des Textes, einräumen. Das möchte man ein wenig bedauern.
Alle Bände werden durch einen Einführungsartikel des Bandherausgebers eingeleitet, der sich nicht auf einen Überblick auf den Inhalt des Bandes beschränkt, sondern eine eindringende Analyse des behandelten Zeitalters bietet.
Der 1. Band beschreibt die Selbstfindung der Kirche von England als einer anglikanischen Kirche in der Zeit von der hier mit »Reformation« etwas missverständlich bezeichneten henrizia-nischen Reform über die Zwischenspiele der Regierungen Edu-ards VI. und Marias I., die Jahrzehnte des »Settlement« unter Elisabeth I., die bewegten Jahre der frühen Stuartzeit und Cromwell-Zeit bis zur Wiederherstellung der Monarchie unter Karl II. In seiner Einleitung betont Anthony Milton, Professor für Geschichte an der Universität Sheffield, dass die kirchliche Entwicklung in England keineswegs geradlinig von Heinrich VIII. zu Elisabeth und der via media geführt habe; vielmehr zeige das Bild der Entwicklung sich eher als »confusing« und oszillierend. In der Tat trifft es zu, dass die innerkirchlichen Kontroversen des 16. Jh.s in England den Eindruck entstehen lassen, die englische Kirche sei zeitweise wesentlich calvinistisch bestimmt gewesen. Inwieweit die lautstarken »Marian Exiles«, die dafür in erster Linie verantwortlich gezeichnet haben dürften, für den gesamten englischen Klerus repräsentativ waren, erscheint indes nicht unbezweifelbar. Nicht ohne Grund gelang es Elisabeth I. und ihren Bischöfen, die Angriffe der Puritaner auf Praxis und Ordnung der Kirche letztlich abzuwehren.
Nach einer Charakterisierung der einzelnen Zeitabschnitte der Epoche werden in weiteren Beiträgen einzelne Sachthemen behandelt (z. B. Liturgie, kanonisches Recht, konfessionelle Identität). Ein Beitrag über Nordamerika erinnert zu Recht daran, dass der dortige Anglikanismus nicht erst im 18. Jh. entstanden ist. Schon hier sei auch angemerkt, dass mit einem Beitrag über Irland und Schottland (im 3. Band sind es dann zwei getrennte Beiträge) darauf aufmerksam gemacht wird, dass es schon seit Heinrich VIII. in Irland eine zweite, von der Kirche von England formal unabhängige »an­glikanische« Kirche gegeben hat, in Schottland, mit England erst seit 1603 durch einen gemeinsamen König verbunden, seit den Anglikanisierungsbemühungen der frühen Stuarts desgleichen. Es gab also seit dem 16. Jh. zwei, seit dem 17. drei selbständige, wenn auch in der Person des gemeinsamen Königs verbundene anglikanische Kirchen, die schon als eine gewissermaßen »anonyme« an­glikanische Kirchengemeinschaft angesehen werden können.
Der 2. Band behandelt das Zeitalter, zu dessen Beginn klar wurde, dass der Traum einer Identität von Staatsvolk und Kirchenvolk ausgeträumt war, weil die »Dissenter« die Hoffnung aufgegeben hatten, die Staatskirche nach ihren Vorstellungen durchzuformen, und begannen, sich außerhalb ihrer zu konstituieren; der Anglikanismus blieb privilegierte Staatskirche, aber die dissentierenden Gruppen erlangten nach und nach mehr und mehr Glaubensfreiheit. Der Band zeichnet zunächst in drei Beiträgen die Entwicklung des anglikanischen Selbstverständnisses in dem behandelten Zeitraum nach. In einer zweiten Gruppe von Beiträgen wird die Entwicklung des Anglikanismus in den verschiedenen Regionen der Welt von den Britischen Inseln bis Australien und Neuseeland beschrieben, eine dritte behandelt Sachthemen, z. B. Liturgie und Gottesdienst, Predigtpraxis, die verschiedenen kirchlichen Richtungen und die Beziehungen der englischen zu anderen europäischen Kirchen.
Der 3. Band beschreibt die Entwicklung der verschiedenen kirchlichen Richtungen (High Church, Evangelicalism, Oxford Movement, Liberal Anglicanism) und ihre weltweite Ausdehnung, sowohl innerhalb wie außerhalb des Britischen Weltreichs, im Lauf des 19. Jh.s.
Der 4. und der 5. Band, die beide die Entwicklung des weltweiten Anglikanismus im 20. Jh. behandeln, machen schon durch ihre Aufgliederung die zunehmende Diversität des Anglikanismus deutlich. Band 5 beschreibt den »globalen Anglikanismus«, Band 4 den »globalen westlichen Anglikanismus«. Dabei ist »westlich« nicht so sehr geographisch wie kulturell zu verstehen; Australien und Neuseeland sind daher im 4. Band zu finden. Es fällt auch auf, dass die Mehrzahl der Beiträge im 5. Band von Verfassern stammt, die in den im 4. Band behandelten Gebieten beheimatet sind; das könnte den Eindruck eines Ungleichgewichts hinsichtlich der theologischen Kompetenz im Verhältnis zur Zahl der Anglikaner in den betroffenen Gebieten erwecken.
Der 4. Band ist in drei Teile gegliedert, der erste ist thematisch ausgerichtet (z. B. liturgische Erneuerung, Sexualität, Ökumene, Armut und Gerechtigkeit), während der zweite institutionelle Entwicklungen behandelt (die »Instruments of Communion«, Anglikanische Gemeinschaft und Anglikanismus) und der dritte einen Überblick über verschiedene Regionen bietet (Australien und Neuseeland, Nordamerika und seine streitenden Parteien, Britische Inseln). Damit ist das Werk in der Gegenwart angelangt, und der Leser erfährt, welche aktuellen Probleme die anglikanischen Kirchenprovinzen heute bedrängen, zumindest soweit sie noch immer hauptsächlich von europäischem Denken bestimmt sind.
Der 5. Band schließlich erörtert Wachstumsprobleme des globalen Anglikanismus. Dabei nehmen die afrikanischen Provinzen mit Recht einen großen Raum ein, aber auch Lateinamerika, Ost- und Südostasien kommen angemessen zur Sprache.
Das Gesamtwerk informiert umfassend, detailreich und mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen. Es wird auf lange Zeit das Bild des Anglikanismus maßgeblich mitbestimmen. Nicht nur für kirchliche und theologische Bibliotheken ist es unverzichtbar. Wer immer sich mit der anglikanischen Tradition und ihren Ausprägungen mehr als nur ganz oberflächlich befassen will, kann an ihm nicht vorübergehen.