Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

840–842

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Cartledge, Mark J.

Titel/Untertitel:

Narratives and Numbers. Empirical Studies of Pentecostal and Charismatic Christianity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XX, 222 S. = Global Pentecostal and Charismatic Studies, 24. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-90-04-34552-2.

Rezensent:

Leonie Wieser

Mark J. Cartledge präsentiert einen Querschnitt seiner Forschung, die sich mit pentekostalem und charismatischem Christentum beschäftigt. Der Band versammelt Aufsätze des Autors aus achtzehn Jahren Forschung zwischen 1995 und 2013. Die Sammlung ist thematisch geordnet, beginnend mit dem Themenschwerpunkt Prophetie und Glossolalie in den ersten vier Kapiteln. Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit Trinitätsvorstellungen Theologiestudierender in Großbritannien. Studien zu religiöser Sozialisation stehen im Mittelpunkt der Kapitel 7–10.
C. ist Professor für Praktische Theologie an der christlichen Regent University in Virginia und Priester der Church of England. In seiner Forschung verbindet sich sein persönliches Interesse am charismatischen Christentum mit sozialwissenschaftlicher Me­thodik der empirischen Theologie. In Narratives and Numbers werden sowohl C.s eigene Forschungsgeschichte als auch allgemeine Entwicklungen auf dem Feld der empirisch-theologischen Forschung deutlich. So ist zum Beispiel anhand der beiden Artikel zum Thema Prophetie (Kapitel 1 und 2) deutlich zu erkennen, dass in der ersten Studie von 1995 Typologien von Prophetie im Vordergrund standen, in der jüngeren Forschung von 2012 vor allem Fragen nach sozialem Kontext und Gender im Mittelpunkt stehen. C.s zentrale These, dass religiöse Phänomene nicht bloß innerweltlichen Erklärungsmustern, sondern theologischen Deutungskategorien unterzogen werden müssen, wird besonders in den Kapiteln 3 und 4 zur Glossolalie deutlich, deren theologischer Analyse sich C. seit seiner Dissertation 1999 widmet. In den Kapiteln 5 und 6 wird eine in Großbritannien einzigartige Studie zum Trinitätsverständnis von Theologiestudierenden verschiedener Konfessionen präsentiert. Dabei werden neben unterschiedlichen Trinitätsmodellen auch Gedanken zum Geschlecht Gottes erfragt. Obwohl dieser Teil in den Analysen einen großen Raum einnimmt, muss angemerkt werden, dass die Abfrage zu geschlechtlichen Eigenschaften Gottes relativ stereotyp verläuft.
Die Aufsätze jüngeren Datums (Kapitel 7–10) beschäftigen sich mit dem Zusammenhang von Sozialisation und Religiosität, spe-ziell der pentekostalen Spiritualität der Church of God in Cleveland. Während Kapitel 7 grundlegend Sozialisationstheorien und ihren Nutzen für die praktisch-theologische Forschung erhellt, werden in Kapitel 8 das Forschungsfeld und die durchgeführte Studie ausführlich beschrieben, auf der dieses und die folgenden Kapitel 9 und 10 aufbauen. Im Zentrum steht die Erfahrung von »Godly Love«, die C. als Liebesenergie versteht, die aus der Dynamik der Erfahrung der Liebe Gottes zum Menschen und umgekehrt erwächst und sich z. B. in karitativem Engagement ausdrückt. Dabei heben C.s Studien die Wichtigkeit der Familie als Lernort der Godly Love hervor, speziell die Rolle der Mutter. C. sieht die Familie als das Herz der pentekos-talen Sozialisation (Kapitel 8). Seine Analysen bleiben an diesem Punkt, ähnlich wie in Kapitel 6, leider in einem recht stereotypenhaften Gendermodell verhaftet. Mit dem abschließenden zehnten Kapitel bringt C. eines der wichtigsten Themen der aktuellen Pfingstkirchenforschung zur Sprache. In Healing as an Expression of Godly Love vertritt er unter Verweis auf Candy Gunther Brown die These, dass die spirituelle Beschäftigung mit dem Thema Heilung der Hauptgrund für das weltweite Wachstum pentekostaler und charismatischer Gruppen sei. Ein einheitliches dominierendes Paradigma sei allerdings nicht festzustellen. Die Studie in Cleveland hat ergeben, dass vor allem der Sonntagsgottesdienst als Ort der religiösen Sozialisation Raum für Heilungserfahrungen öffnet. Es wurde außerdem gezeigt, dass diese Erfahrungen auch von sozialen Faktoren wie Alter, Geschlecht und ethnischer Herkunft abhängen. Weiter wird eine differenziertere Betrachtung der Phänomene im charismatischen Christentum, die ein vielfältiges Bild von Heilungspraktiken aufzeigen, eingefordert.
Narratives and Numbers stellt eine spannende (Re-)Lektüre des Werkes von C. dar, sowohl für Forschende auf dem Feld der Interkulturellen Theologie als auch für an kontemporärer pentekos-taler Theologie Interessierte. Die präsentierten Studien geben außerdem einen breiten Einblick in die Methodenvielfalt der empirisch-theologischen Forschung, da sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsansätze nebeneinanderstehen. Allerdings bleiben die Ergebnisse der Studien auf den angelsächsischen bzw. US-amerikanischen Kontext beschränkt und bilden somit nur einen kleinen Teil der Entwicklungen der pentekostalen und charismatischen Szene ab. Diese Einschränkung setzt aber zu­gleich einen Doppelpunkt: Das Feld der Pfingstkirchenforschung ist weit, und es finden sich bei C. viele Anknüpfungspunkte und Vergleichsmaterial für weitere Studien auch in anderen kulturellen Kontexten.