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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

838–840

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schaufelberger, Thomas, u. Juliane Hartmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Perspektiven für das Pfarramt. Theologische Reflexionen und praktische Impulse zu Veränderungen in Berufsbild und Ausbildung.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2016. 240 S. Kart. EUR 26,90. ISBN 978-3-290-17837-6.

Rezensent:

Frank Weyen

Kein »Zuchtbuch für Perfektlinge« (109) will der von Thomas Schaufelberger und Juliane Hartmann (Hrsg.) (2016): Perspektiven für das Pfarramt. Theologische Reflexionen und praktische Impulse zu Veränderungen in Berufsbild und Ausbildung. TVZ, Theologischer Verlag Zürich, überschriebene Sammelband skizzieren. Vielmehr soll ein sogenanntes »Kompetenzstrukturmodell« (KSM) in die kirchliche Personaldiskussion eingeführt werden, das seit 2013 für die zweite Ausbildungsphase zum Pfarrberuf in den deutschschweizerischen Landeskirchen entwickelt worden ist. Die in dem Sammelband zusammengefassten Beiträge ranken sich um das KSM, das erst letzthin in der Zeitschrift für Pastoraltheologie von David Plüss kritisch vermerkt worden ist. Der Band hat fünf Teile. Neben einem in das Modell einführenden (15–72) folgt ein vertiefendes theologisches zweites Kapitel (73–131) sowie im dritten Teil die Darstellung gegenwärtiger pastoraltheologischer Ansätze (135–186). »Außenperspektiven« orientieren das Modell in die kirchliche Ausbildungspraxis hinein (189–201), während unter dem Titel »An­wendungsperspektiven« Beispiele für eine mögliche Umsetzung mit Zukunftsausblick für das Ausbildungsstrukturkonzept vorgestellt werden sollen (205–237).
Das KSM ist von Schaufelberger, reformierter Pfarrer und Leiter Aus- und Weiterbildung der Zürcher Landeskirche, schnell erklärt. Begrifflichkeiten, wie eine »mixed economy« (22), oder Kirche als Dienstleister mit Effizienz im pfarramtlichen Handeln mit hoher Qualität (24) werden herangezogen, um die Notwendigkeit der Reform der Ausbildung zum Pfarrberuf, die das KSM abschließen soll, grundzulegen. Nicht umsonst gebraucht der Herausgeber diese Begrifflichkeiten, die in den Kernbestand des Interesses an einem zeitgemäß ausgeformten Pfarramt einführen. Dieses solle die Kernkompetenzen Glaubwürdigkeit, Einflussnahme, Lösungsentwicklung, Ergebnisorientierung und Beziehungsgestaltung um­fassen (26). Die so mit Persönlichkeitsmerkmalen der Pfarramtskandidaten in Verbindung gebrachten altbekannten Kompetenzen, die er als »Big-Five« (26) bezeichnet, sollen eine curriculare Orientierung für die zweite Ausbildungsphase unter dem Ge­sichtspunkt weiterhin schrumpfender Pfarramtsanwärterpools in den Konkordatskirchen der Schweiz geben. Kompetenz definiert er dabei neben dem Können als Leitungswille, (Fach-)Wissen, Ausdauer, Erfahrung sowie als Belastbarkeit (29). Als neu an dem Mo­dell definiert er Kontextsensibilität von Pfarrpersonen, deren Team- und Konfliktfähigkeit, Leitungsverantwortung in einer Schlüsselfunktion der Kirche, oder Verständnis für ihre Mission (30 f.). Aber auch ein »wertschätzender Umgang mit sich selbst« (30) und letztlich unternehmerischer Mut, Risikofreude und Wagnis (31) sollen der kirchlichen Personalentwicklung bei zurückgehenden Pfarrzahlen dienen – Kompetenzen, die für den Pfarrberuf eigentlich im­mer schon typisch waren. Blickt man in die weiterhin aufgeführten und bunt bebilderten »Zwölf Standards in fünf Dimensionen« (25–59) des KSM, so fällt als Quelle für die verwendete Begriffswelt, neben Stilmerkmalen der Personalentwicklung, vor allem die starke Last auf Seiten (neoliberalistischer) Managementterminologien auf: Profil und Selbstmanagement (39.41), Ziel- und Er­gebnisorientierung (51), oder auch Planung und Organisation (53) sowie Entrepreneurship (31) sind Forderungen an Pfarrpersonen. Denn »das Ziel der Ausbildung ist nicht eine Monokultur der Pfarrer/-innen, sondern Vielfalt.« (67) Viele Ansichten im ersten Teil des Büchleins lassen den Leser zunächst ohne tiefergehende wissenschaftliche Untersuchung zurück.
Rettung bietet ein wissenschaftlicher zweiter Teil, in dem verschiedene Forschungsrichtungen zum Pfarramt zu Worte kommen. Allen voran der Berner Dogmatiker Michael Zeindler, der über das »Sollen und Nicht-Können im Pfarrberuf« (75–88) nachdenkt. Sämtliche für Pfarrer und Pfarrerinnen »erforderlichen Kompetenzen werden getragen durch eine Grundkompetenz Theologie« (79). Die Berufspraxis, die auf Gottes Barmherzigkeit aufbaut (82), greift die Zürcher Wissenschaftlerin und Aargauer Pfarrerin Dörte Gebhard auf, indem sie klarstellt, dass Pfarrbilder zahllos und strittig seien (90). Dabei stuft sie das KSM als ein Leitbild ein, das biblische Konnotationen scheinbar vermeide (91). Sie weist zugleich auf neue Pfarrformen hin, die dem »mobilen Apostolat von Paulus« (91) zunehmend nahekommen und so auch neue Gemeindeformen begründen. Ihre kritischen Anmerkungen münden darin, das KSM als eine Art »Bilderrahmen« (92) zu verstehen, der die Chance biete, unterschiedliche Milieus zu erreichen, wenn auch scheinbar aus schließlich nach »sozialwissenschaftlichen, vor allem speziellen psychologischen Methoden« (95). Durch das KSM werde das Pfarrbild ›Manager‹ für die Hochrisikogruppe Pfarrpersonen skizziert (97.99), so Gebhard.
»Genauso wenig wie ein Instrument automatisch Gutes hervorbringt, garantiert die Festlegung von zwölf Standards nicht automatisch gute Ergebnisse in der Ausbildung. Gute Pfarrer fallen nicht vom Himmel – sie wachsen nicht auf dem Boden von Modellen« (105), fasst Ralph Kunz seinen Beitrag zusammen. Es sei vielmehr die Gemeinde mit zu bedenken, wenn man Kompetenzen von Pfarrpersonen entwickle. Denn das KSM lege Kompetenzen für das Pfarramt »nicht substanziell, sondern funktionell fest« (106 f.). Für Kunz ist nicht die Unvollkommenheit von Pfarrpersonen als Menschen das Problem, sondern der Versuch, diese Unvollkommenheiten beseitigen zu wollen (110). Daher müsse zu dem Wunsch nach einer kompetenten Pfarrperson auch die Realität einer kompetenten Gemeinde hinzugewünscht werden. Und Thomas Schlag betont abschließend: »Im Rahmen der Ausbildung können Kompetenzmodelle hier bestenfalls Prüfsteine für die je individuelle Entwicklung […] und Professionalität sein« (132).
Mit der Umsetzung des KSM beschreibt Mitherausgeberin Juliane Hartmann die Anwendungsperspektiven der bisherigen theoretischen Ausführungen. Pfarrer und Pfarrerinnen bleiben »auch mit dem Kompetenzstrukturmodell weiterhin Menschen mit vielen, jedoch nicht mit unbegrenzten Fähigkeiten« (209). Diese Einschätzung untermauert die Leiterin des Ekklesiologisch-Praktischen Semesters (EPS) der Zürcher Landeskirche mit der Darstellung von Stärken und Schwächen, die Pfarrpersonen in den Pfarrberuf einbringen. Diese abschließenden Einschätzungen, die durch weitere, beispielweise von Rita Famos u. a., zusätzlich bereichert werden, sind für das Ganze des Sammelbandes wichtig, um nicht den Eindruck zu erwecken, als handle es sich bei der Einführung des KSM um einen Kriterienkatalog, der eine ganz bestimmte Art von Pfarrperson für den kirchlichen Dienst mit zuvor definierten Skills formen will. Ob dies allerdings dazu führen wird, dass Kirchenvorstände, Kirchenleitungen und Pfarrteams angesichts eines zunehmenden Personalmangels in den Landeskirchen eine bessere Auswahl als bisher aus dem vorhandenen Personal werden treffen können, wie von Hartmann angedeutet (209), bleibt letztlich ein spekulatives Ziel des KSM. Vielleicht verhilft es aber, Talente zu erkennen und zu fördern (210).