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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

835–837

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hoburg, Ralf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kommunizieren in sozialen und helfenden Berufen.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2017. 222 S. m. 5 Abb. u. 3 Tab. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-17-030375-1.

Rezensent:

Heinz Schmidt

»Kommunizieren in sozialen und helfenden Berufen« vollzieht sich immer schon im Kontext von Professionalitätsansprüchen und organisatorischen Erfordernissen. Dazu hat Ralf Hoburg Beiträge wissenschaftlicher und führungspraktischer Provenienz gesammelt.
Jürgen Ebert beschreibt die im Berufsalltag erforderlichen Kompetenzen. Schlüsselkompetenzen werden in der Ausbildung erworben, spezifische Kompetenzen in den einzelnen Praxisfeldern und durch eine entsprechende Fortbildung. Drei Kommunikationsebenen sind zu berücksichtigen: die Interaktionen mit ihren Klienten, mit Kollegen der eigenen und anderen Professionen und in advokatorischer Funktion die mit Organisationen/Institutionen im Horizont der Öffentlichkeit. Ebert projiziert auf diese Beziehungsebenen verschiedene Kompetenzmodelle, die sowohl bereichs- und prozessbezogene Kompetenzmuster enthalten und zu einem phasenspezifischen Einsatz verschiedener Kompetenzen (z. B. Zielfindung, Umsetzung und Auswertung) nötigen.
Heiko Kleve expliziert Soziale Arbeit als Kommunikationsform professioneller Hilfe in systemtheoretischer Perspektive. Autopoiese und strukturelle Kopplung der interagierenden biologischen, psychischen und sozialen Systeme ermöglichen Systementwicklung mit Hilfe kommunikativer Prozesse, die von Sozialer Arbeit unterstützt werden. Erst die moderne Gesellschaft etabliert professionelle Hilfe als personale Interaktion, formale Organisation und gesellschaftliches Teilsystem. Das Internet erlaube neue Verknüpfungen zwischen alltäglichen und professionellen Hilfeformen und könne so Inklusion fördern. Björn Kraus erweitert und vertieft die systemtheoretische Perspektive durch eine konstruktivistische Rekonstruktion. Er fragt, wie Kommunikationen zwischen Fachkräften und Adressaten gelingen können, obwohl aufgrund kognitiver Selbstreferentialität die Lebenswelt eines anderen nur mittels in-dividueller Bewusstseinszustände zugänglich ist. Die subjektiven Konstruktionen sind nicht beliebig, sondern durch die »Lebensla-ge« bedingt, womit die organisatorischen, sozialen und materiellen Um­weltzustände gemeint sind. Dementsprechend ist die Lebenswelt eines Menschen nicht direkt zu erfassen, man solle aber die individuelle Subjektivität im Kontext der jeweiligen sozialen und materiellen Umwelt (= Lebenslage) zu verstehen suchen.
Wie Sozialarbeiter ihre Beratungspraxis anlegen und verstehen können, erläutert Ursula Henke am Beispiel von Mike, der sich im Jugendarrest befindet. Für ihn waren Diebstahl und Gewalt stimmige Problemlösungen, eine »Konstruktion«, die auch von Freunden und der Familie unterstützt wurde. Diese Plausibilität wird allerdings durch den Jugendarrest »verstört«, freilich nicht korrigiert. Denn nur Mike selbst kann sich neue Plausibilitäten konstruieren, wenn er seine eigenen Wirklichkeitskonstruktionen hinterfragen und durch neue ersetzen kann. Henke empfiehlt, den Beratungsprozess nach dem Transaktionsmodell von Eric Berne zu konzipieren. Freilich zeigen die folgenden Beispiele, dass darüber hinaus eine längerfristige Begleitung erforderlich ist, in der an vertraglich vereinbarten Zielen gearbeitet und deren Realisierung auch kontrolliert wird. Anstelle des Transaktionsmodells empfiehlt Norbert Henninger »Empowerment-Diskurse«, die den üblichen »Zugangskontext« durch eine wertschätzende Kommunikation ersetzen sollen.
Ausgehend von alarmierenden Umfrageergebnissen über die emotionalen Bindungen von Arbeitnehmern an ihr Unternehmen arbeitet Hans-Jürgen Balz die spezifischen Merkmale der Teamkommunikation heraus. Sehr informativ sind die Erläuterungen der begrifflichen Grundlagen wie Ziele, Selbstorganisation und Synergieeffekte sowie die Darstellung der empirischen Ergebnisse über die Prozessgewinne und vermeidbare -verluste. Teams können sich zu kommunikativen Deutungsgemeinschaften entwickeln. Konflikte werden nicht verschwiegen, Lösungsmöglichkeiten und Prinzipien für die Gestaltung von Teamkommunikation erläutert. Das Ergebnis: »Teamarbeit braucht gemeinsame An­strengungen um e ine konstruktive Kommunikationskultur, eine fehlerfreundliche Arbeitsauffassung und die vertrauensvolle wechselseitige Unterstützung« (117).
Julia Lepperhoff analysiert unter dem Titel »Geschlechterperspektiven auf berufsbezogene Kommunikation in der sozialen Ar­beit« die »aktuelle Fachdiskussion« und erläutert einen dekonstruktivistischen Ansatz im Gefolge von Judith Butler und Michael Foucault. So folgenreich die daraus zu gewinnenden »Strategien für den Berufsalltag« (128) sind, offen bleibt, inwiefern die Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht mit Autonomiegewinnen verbunden sein kann. Wolfgang Tenhaken informiert unter dem Titel »Mails and Networks« über die digitalen Veränderungen der Kommunikation. Die kommerziell agierenden Social Media sind besonders problematisch, weil sie Nutzerdaten zu Werbezwecken verwenden. Die kommunikationsintensive Soziale Arbeit sollte in den nächsten 10–15 Jahren zu einer für Professionelle und Addressaten hinreichend vertrauenswürdigen IT-Infrastruktur gelangen.
Beate Hoffmann hat »Kommunikation in sozialen Organisationen« aus »unternehmenskultureller Perspektive« (152) als ein sinnbezogenes kollektives und hochkomplexes Geschehen beobachtet, aufgrund dessen sich Organisationen dynamisch weiterentwickeln. Als zentrale Prozesse reflektiert Hoffmann die Einarbeitung als Inkulturation, die Regelkommunikation, die informelle Kommunikation sowie Führung, Öffentlichkeitsarbeit und existenzielle Kommunikation (159–165), bevor sie abschließend einige aktuelle Her ausforderungen (Säkularisierung, Pluralisierung, Ambulantisierung, Digitalisierung) skizziert. Dirk Starnitzkes (Vorstand der Diakonischen Stiftung Wittekindshof) folgender Beitrag »Kommunikation im Alltag einer Wohlfahrtsorganisation« (170–187) verspricht, die Modalitäten der Kommunikation mit verschiedenen Anspruchsgruppen (= Stakeholdern) von Wohlfahrtsorganisationen zu erläutern und exemplarisch zu konkretisieren. Deshalb werden im ersten Teil die wichtigsten Anspruchsgruppen charakterisiert. Der dritte Teil schildert die Modalitäten, Formen und Prozesse der Kommunikation mit diesen Anspruchsgruppen. Die Implementierung einer »Leichten Sprache« (182–184), gewiss ein Markenzeichen für eine Organisation der Eingliederungshilfe, ist ein besonders ge­lungenes Beispiel. Das 2. Kapitel lässt allerdings keinen Bezug zur Alltagskommunikation in Organisationen erkennen. Ausgehend von dem Neuen St. Galler Managementmodell wird postuliert, dass im Rahmen der code-bestimmten Grenzen der großen gesellschaftlichen Kommunikationssysteme auch in den hybriden Wohlfahrtsorganisationen kommuniziert werden müsse. Daher die Empfehlung, von diesem Beitrag nur die Kapitel 1 und 3 zu lesen.
Wolfgang Maaser zeichnet unter dem Titel »Das Mandat der Sozialen Arbeit« nicht nur die Entwicklung von religiöser Beauftragung im 19. Jh. über die sozialstaatliche Zeit der Weimarer Re­publik zu einem Nutzer-Auftrag nach 1968 nach, sondern expli-ziert auch die jeweils einschlägigen normativen Leitbegriffe – von Barmherzigkeit/Gemeinschaft über Gerechtigkeit/Gesellschaft zu Selbstbestimmung, soziale Gerechtigkeit und Inklusion – und dem damit verbundenen Prozess der Professionalisierung der Sozialen Arbeit. Neben den klassischen Merkmalen von Verberuflichung (spezialisierte Ausbildung, geregelte Zugänge und Laufbahnen) entwickelt sich seit den 1970er Jahren eine Wissenschaftskultur, die unter der Bezeichnung Triplemandat neben der sozialstaatlichen Beauftragung und der durch den Nutzer eine kritisch-konstruktive Selbständigkeit der Profession Soziale Arbeit postuliert und diese an ein Menschenrechtsethos zurückbindet.
Der Herausgeber Ralf Hoburg arbeitet abschließend ethische Implikationen jeder Kommunikation heraus. Kulturelle Diversität, Meinungsunterschiede und Werturteile werden immer »mit«-kommuniziert. Bereits in der Wahrnehmung des Anderen und seiner Situation sind Selektionsprozesse normativer Art wirksam. Mit Bezug auf Umberto Ecos semiotisches Kommunikationsmodell, das intentionale und normative Aspekte einzubeziehen gestattet, plädiert Hoburg für eine Kommunikation mit der Intention einer »verändernden Sinnstiftung« (214 ff.). So bietet das Buch nicht nur eine instruktive »Topographie des Kommunizierens« in diversen Berufskontexten, sondern legt darüber hinaus eine sinn- und wertbezogene Reflexion der unterstützenden sozialen Arbeit nahe.