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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

829–831

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Höffner, Joseph

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Schriften. 7 Bde. Hrsg. v. U. Nothelle-Wildfeuer u. J. Althammer. Bd. 2: Christentum und Menschenwürde.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schönling 2017. 528 S. m. 5 Abb. u. 2 Ktn. Kart. EUR 98,00. ISBN 978-3-506-77274-9.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Höffner, Joseph: Ausgewählte Schriften. 7 Bde. Hrsg. v. U. Nothelle-Wildfeuer u. J. Althammer. Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014–2018.
Bd. 1: Perspektiven sozialer Gerechtigkeit. 2015. 502 S. Kart. EUR 61,00. ISBN 978-3-506-77273-2.
Bd. 3: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik. 2014. 411 S. m. 1 Tab. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-506-77284-8.
Bd. 4: Arbeit – Eigentum – Mitbestimmung. 2014. 426 S. Kart. EUR 53,00. ISBN 978-3-506-77275-6.
Bd. 5: Sozial- und Gesellschaftspolitik. 2018. 607 S. m. 7 Abb. u. 91 Tab. Kart. EUR 119,00. ISBN 978-3-506-77276-3.
Bd. 6: Ursprünge der sozialen Frage. 2017. 337 S. Kart. EUR 78,00. ISBN 978-3-506-77277-0.
Bd. 7: Kirche in der Welt. 2018. 334 S. m. 25 Abb. u. 14 Tab. Kart. EUR 78,00. ISBN 978-3-506-77278-7.


Während in Wirtschaft und Politik so aktuell wie kontrovers über Mindestlohn und die Würde der Arbeit, über Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer oder eine 28-Stunden Woche, über Wirtschaftsethik oder »das« christliche Menschenbild im Kapitalismus diskutiert wird, kommt die nun abgeschlossene Ausgabe der Einlassungen des Kölner Kardinals zu all diesen und vielen anderen Themen zur hohen Zeit.
Joseph Kardinal Höffner (1906–1987) gehörte zu jener Generation katholischer Soziallehrer, die die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland akademisch und letztlich auch politisch fundierten. Gerade Letzteres war nur möglich, weil ihre Gesprächspartner in Politik und Wirtschaft in Persönlichkeiten wie H. oder Nell-Breuning auf Kirchenmänner trafen, die weit mehr waren als das: Bereits in seiner theologischen Dissertation »Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe« und dann später in seiner volkswirtschaft-lichen Dissertation zum Thema der Monopole im 15./16. Jh. – kulminierend in seiner Habilitation zum Thema »Christentum und Menschenwürde« – erweist sich der Kölner Kardinal als theologisch wie philosophisch, ökonomisch wie politisch umfassend gebildet und auskunftsfähig zu fast allen wirtschaftspolitisch-theologischen Themen seiner Zeit. Genau diese Breite ist es, die die Herausgeber Ursula Nothelle-Wildfeuer und Jörg Althammer in ihrer beim Verlag Schöningh herausgegebenen Auswahl von H.s Schriften vollumfänglich abzubilden vermögen.
Beginnend mit H.s Lebensthema »soziale Gerechtigkeit« in seinem ersten Band und der Analyse des Begriffs »Menschenwürde« aus christlicher Perspektive im zweiten Band, werden die ausgewählten Schriften des Theologen H. eingeleitet, der schon früh in seiner akademischen Laufbahn weit mehr ist als das: Wer als Christ über Menschenwürde nachdenkt, muss philosophisch gebildet sein. Wer nach dem Wesen der Gerechtigkeit und nach dem Wertbegriff fragt, sollte als geschulter Ökonom Adam Smiths Moralphilosophie genauso gut kennen wie dessen Wealth of Nations. Eine solche umfassende Bildung gepaart mit einer in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen gewonnenen Urteilsfähigkeit war dann jener Türöffner, mit dem H. und andere so gefragte Berater in den verschiedenen Bonner Ministerien wurden.
Dabei bleibt H. Ordnungstheologe und wird nicht selbst zum Politiker, wie die Lektüre der sieben Bände zeigt: Wenn H.s Nachdenken über »Wirtschaftsordnungen« den dritten Band seiner »Ausgewählten Schriften« dominiert, dann ist jedem Katholiken wie manchem Protestanten freilich sofort klar, wie sehr der Autor auch als Volkswirt vom Naturrechtsdenken geprägt ist.
Dass dies für ihn wie für seine Kirche nach der Zeit des II. Vati-kanum vor allem auch in Bezug zu dem mit Würde ausgestatteten Menschen in solchen Wirtschaftsordnungen kontrovers werden könnte, wird H. wie seinen Lesern beim Blick in den fünften Band »Sozial- und Gesellschaftspolitik« klar gewesen sein, in dem sozialethische Probleme der Tagespolitik auf grundlegende ordnungstheologische Überzeugungen in einer pluraler werdenden Gesellschaft problematisiert werden. Nicht zufällig ist darum der sechste Band mit Blick auf die Zukunft der »sozialen Frage« vor allem deren Ur­sprüngen gewidmet.
Der siebte und letzte Band »Kirche in der Welt« widmet sich dann der ekklesiologischen Analyse jener Themen, die dem vorausschauenden Kölner Kardinal schon weit früher als anderen wichtig schienen: Globalisierung im weitesten Sinne und die Rolle seiner Kirche darin im engeren Sinne. Ethik und Recht sieht der Kardinal dabei als die Kernelemente einer menschenfreundlichen Gesellschaft.
Aus dem Gesamtwerk herausragend scheint in seiner Scharnierfunktion der 4. Band »Arbeit – Eigentum – Mitbestimmung«: Denn darin bestimmt H. das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie das Eigentumsrecht als eines der stärksten subjektiven Rechte des Grundgesetzes auch und gerade eingedenk seiner Grenzen hochaktuell wie erwartbar naturrechtlich:
Wer sich im 21. Jh. Gedanken über die Wurzeln, aber eben auch die Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung im Zeichen globaler Di­gitalisierung macht, der wird bereits in den Einlassungen des Kardinals gut ein halbes Jahrhundert früher nicht nur zur makroökonomischen Genese und Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung im 19. Jh. besser erfassen, warum diese Mitbestimmung nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch eine Zukunft.
Denn ob Arbeitnehmerrechte oder Digitalisierung – aus H.s naturrechtlicher Perspektive stehen und fallen alle Arten von Arbeitsverhältnissen national wie global mit einer sie zivilisieren-den Rechtsordnung. Erst wer ein solches ordnungstheologisches wie sozio-ökonomisches Verständnis über die Lektüre von H.s Schriften schärft, wird dessen theologisch-ökonomische Tiefe erfassen und die Würde des Menschen selbst im aktuellen Bezug auf globale Märkte und digitale Arbeit adäquat rechtlich erfassen können. Er wird im Rekurs auf die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft auch im 21. Jh. fundiert zu bewerten vermögen, warum Gewerkschaften oder die Arbeitnehmerbeteiligung an den Produktionsmitteln, warum eine Reform der Arbeitslosenversicherung oder selbst staatlich subventionierte Kurzarbeit in einer Krisensituation legitime Mittel sein können, den sozialen Frieden auch im anbrechenden digitalen Zeitalter zu sichern.
Zum Schluss bleibt zu konstatieren, dass die vielen aktuellen Lesefrüchte die Ausgewählten Schriften H.s in ihrer besonders weiten Perspektive auf Wirtschaft, Theologie und Gesellschaft zu einem großen Wurf machen. Und dies trifft sowohl hinsichtlich der Komposition als auch der verlegerischen Umsetzung auch auf die Arbeit der beiden Herausgeber zu: Umfänglichste Namen- und Sachregister, fast fehlerfreies Lektorat und vor allem die inhaltlich-theologische Qualität der Referenzierung zeugen von höchst professioneller Arbeit.
Kurz: Diese umfängliche Höffner-Ausgabe wird durch den Grad ihrer Stringenz und Strukturiertheit nicht nur jedem Wirtschaftsethiker, Theologen oder Philosophen wertvoll für das eigene Nachdenken sein, sondern vor allem auch jenen, die sich in politischen oder unternehmerischen Prozessen jeden Tag praktisch und tagtäglich den großen Fragen nach dem Recht auf Eigentum und Gemeinwohl, nach Freiheit und Arbeit, nach dem Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Lichte jener Facetten eines christlichen Menschenbildes stellen wollen, wie dies auch die Väter der Sozialen Marktwirtschaft getan haben. Zu diesen Fragen hat H. als katholischer Soziallehrer im besten Sinne auch und gerade für die kommenden Herausforderungen globaler wie digitaler Arbeitsmärkte einen nachhaltigen, da fundierenden Beitrag geleistet, der in diesen sieben Bänden umfänglichst zur Geltung kommt.