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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

827–829

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Heß, Christian

Titel/Untertitel:

»Ohne Christus, ohne tiefstes Christentum ist Krieg«. Die Christkönigsthematik als Leitidee im kirchlich-gesellschaftlichen Engagement Max Josef Metzgers.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius Verlag 2017. 499 S. = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 79. Lw. EUR 39,90. ISBN 978-3-89710-685-7.

Rezensent:

Rebekka A. Klein

»Ohne Christus, ohne tiefstes Christentum ist Krieg!« – Handelt es sich bei diesem Ausruf um einen hochideologischen Satz, der Christus als den einzigen und wahren König allen menschlichen Mächten und ihren (Führer-)Ideologien radikal entgegensetzt und ihn zugleich diesen Ideologien strukturell gleichschaltet? Oder ist der hier zum Ausdruck kommende christozentrische Totalitarismus gerade als Signatur einer die politischen Ideologien seiner Zeit durchbrechenden universellen Offenheit für ein Friedensengagement von Christinnen und Christen in der Welt zu lesen, welches alle politischen Festlegungen überschreitet und aufhebt? Und folgt man dieser letzteren Lesart, weshalb ist genau diese christuszentrierte Überschreitung des Politischen dann selbst als ein politisch-theologischer Akt zu werten und nicht etwa als Versuch einer naiven und folgenlosen Entpolitisierung des Christentums in politisch hochbrisanten Zeiten?
Es ist das Verdienst der Dissertationsschrift von Christian Heß, die 2015 in Freiburg i. Br. abgeschlossen wurde und die mit einem Geleitwort von Karl Kardinal Lehmann versehen ist, diese im Blick auf die theologisch-politischen und ethischen Konsequenzen des christlichen Glaubens zentralen Fragen aufgeworfen und umsichtig bearbeitet zu haben. H. geht zentralen Fragen zum Verhältnis von Christozentrik und politischer Theologie in seiner 414 Seiten umfassenden Studie, die durch einen umfangreichen Anhang zur Literatur sowie durch Register um weitere 83 Seiten ergänzt wird, am exemplarischen Fall des katholischen Priesters Max Josef Metzger nach, der am 17. April 1944 von den Nationalsozialisten mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. Metzgers Verdienste für die europäische Friedensbewegung, die Ökumene der beiden großen Konfessionen und die innere Mission des Christentums stehen dabei in einem nur als hochambivalent zu beschreibenden Kontrast zu dessen halsstarriger und autoritärer Vorgehensweise bei der Umsetzung seiner Ziele und Ideale. Dass H. diese Ambivalenz der Persönlichkeit und des Wirkens von Max Josef Metzger in seiner Studie immer wieder heraushebt und bearbeitet, bewahrt sie davor, dem hagiographischen Genre zugeordnet zu werden. Ebenso gilt dies auch für die Aufarbeitung der intrikaten Verbindung von Metzgers Theologie zur römisch-katholischen Kirche, die H. immer wieder in ihrer tiefen Verbundenheit, aber auch in ihren Verwerfungen und Dissoziationen bis hin zum letzten Brief von Metzgers Heimatbischof Conrad Gröber an den Inhaftierten vom 9. Oktober 1943 nachzeichnet. Es fällt allerdings auf, dass H. in diesem Zusammenhang besonders auf die positive Einordnung und harmonische Zuordnung der theologischen Initiativen Metzgers zur offiziellen päpstlichen Lehre ein besonderes Augenmerk legt und auf diesem Weg die ›orthodoxe‹ Katholizität Metzgers zu sichern sucht.
Die Studie wechselt zwischen historischen Analysen des Lebens von Max Josef Metzger und seiner Zeit und systematischen Deutungen seiner Briefe und Schriften. Dies ermöglicht es H., zu einem historisch-kontextuell abgewogenen Urteil über die Theologie und das sozial-karitative Wirken Metzgers zu gelangen. Zugleich ge­lingt es H. durch die stetige historische und theologiegeschicht-liche Kontextualisierung aller theologischen Schriften und Initiativen Metzgers, sich mit Vorurteilen und Kritikpunkten gegenüber Metzgers Theologie aus der Forschungsliteratur (so bspw. dem Vorwurf der Judenfeindlichkeit Metzgers oder der fehlenden Wi­derstandsbereitschaft seiner Christkönigsgesellschaft) produktiv und neu auseinanderzusetzen.
Ziel der Arbeit ist es, die bereits vor dem Wirken Max Josef Metzgers etablierte und kirchlich eingeführte Christkönigsverehrung als Ursprung und Leitidee des ideologiekritischen Engagements von Metzger im Dritten Reich zu erweisen. Es gelingt H., überzeugend aufzuweisen, dass die Verehrung von Jesus Christus als König in der katholischen Liturgie und Spiritualität zum hermeneutischen Schlüssel für das gesamte Wirken Max Josef Metzgers ge­macht werden kann. Die Einführung des Christkönigsfestes durch Papst Pius XI. am 11. Dezember 1925 geschieht zu einer Zeit, in der es in Deutschland und Österreich keine Könige mehr gibt. H. deutet sie daher als eine Initiative des Papstes zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Katholiken in Zeiten sozialer Unsicherheit. Die Zuflucht zu tradierten Frömmigkeitsformen war hier zugleich Rettung, da diese das katholische Milieu stärken halfen, indem sie es individualisierten und seine Geschlossenheit förderten. Verstärkend im Blick auf eine spätere ideologiekritische Funktion wirkte bereits die Umdeutung im Herz-Jesu-Fest durch Papst Leo XIII. im Jahr 1899, die nicht die Liebe Jesu, sondern seine Oberherrschaft gegenüber der Welt zum Grund der Verehrung machte. Diese Herrschaft Christi in der Welt ist nach H. nun auch das zentrale Motiv zahlreicher theologischer und sozial-karitativer Aktivitäten Metzgers – allerdings in dem präzisen Sinn, dass sie nicht etwa bloß ›Gegen-Herrschaft‹ zur Herrschaft der Welt sein will, sondern gerade auf eine eigenständige Durchdringung und Gestaltung aller ihrer gesellschaftlichen Dimensionen im Sinne eines es­cha-tologischen Universalismus der Kirche drängt. In der von Metzger gegründeten Christkönigsgesellschaft mündete die christozentrische Spiritualität und Glaubenspraxis daher nicht in einen of­fenen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime, konnte aber dazu dienen, eine Gleichschaltung mit diesem Regime zu verhindern. Nach H. ist hierfür die religiöse Symbolik des Kö­nigtums Christi verantwortlich, welche die Dynamik der Ein- und Ausgrenzung durch politische Herrschaft beständig durch Integration der Armen, Ausgegrenzten und Andersdenkenden in das wahre Königtum Christi unterläuft und in diesem Sinne die Freund-Feind-Schemata des Politischen durchbricht. Sie stellt somit eine Gestalt christlicher Subversion des Politischen dar. Imaginäres Leitmotiv der Christkönigsverehrung ist nach Metzger daher der konfessionsübergreifend codierte Raum einer universellen Gemeinschaft mit Jesus Christus, der keiner menschlichen Herrschaft jemals unterworfen werden darf. Die paradoxe Konstellation, dass die so­zialen Wirkungen dieses Leitmotivs gleichwohl nur durch eine Gemeinschaftsform vollzogen und in die Welt gebracht werden konnten, die sich zunächst identitär im abgeschlossenen katholischen Milieu konstituiert, reflektiert H. allerdings nicht.
Angesichts der im deutschsprachigen theologischen und kirchlichen Kontext um sich greifenden Appelle, das evangelische Engagement von Christinnen und Christen in der Welt als Öffentliche Theologie oder als Öffentlichen Protestantismus zu akzentuieren, sowie nicht zuletzt aufgrund der Verquickung dieses Aufrufs mit einer ökumenischen Perspektive, ist der Studie von H. auch von protestantischer Seite unbedingte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Weiterführend im Hinblick auf den ökumenischen Dialog (und als Fortsetzung des durch Metzger selbst begonnenen ökumenischen Gespräches) wäre es jedoch wünschenswert gewesen, wenn H. neben seiner kurzen Erwähnung der Barmer Theologischen Erklärung auch weitere Bezüge zur Christozentrik der protestantischen politischen Theologie im Dritten Reich gezogen und die diesbezüglich in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s in der evangelischen Theologie geführten Debatten in seine Überlegungen als Referenzpunkt mit einbezogen hätte.