Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

55–57

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zehnder, Markus Philipp

Titel/Untertitel:

Wegmetaphorik im Alten Testament. Eine semantische Untersuchung der alttestamentlichen und altorientalischen Weg-Lexeme mit besonderer Berücksichtigung ihrer metaphorischen Verwendung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. XV, 715 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 268. ISBN 3-11-016300-4.

Rezensent:

Stefan Schorch

Die vorliegende Arbeit entstand unter der Betreuung von Ernst Jenni und wurde 1997 an der Universität Basel als Dissertation angenommen. Ihr Anliegen ist es, "die zur Bezeichnung von ,Weg’ verwendeten Lexeme des Alten Testamentes in ihrem jeweiligen semantischen Profil zu erhellen. Dabei soll insbesondere der metaphorische Gebrauch der Weg-Lexeme bzw. die Verwendung der Weg-Lexeme in größeren metaphorischen Zusammenhängen untersucht und erklärt werden" (1). Auf eine Rekonstruktion der Abhängigkeit des Gebrauchs der Weg-Lexeme von sprachgeschichtlichen oder gattungsbezogenen Faktoren verzichtet der Vf. demgegenüber weitestgehend.

Der Text ist in fünf Hauptabschnitte unterschiedlichen Umfangs gegliedert. Im ersten Kapitel (1-84: "Ziel und Methodik der Untersuchung") liegt der stärkste Akzent auf einer Diskussion wichtiger Positionen innerhalb der zeitgenössischen sprachwissenschaftlichen Semantik und Metaphernforschung, auf deren Basis der Vf. sein eigenes methodisches Vorgehen gründet. Da an in jene Fachdisziplinen einführenden Darstellungen kein Mangel herrscht, wird nicht ganz deutlich, weshalb den allgemein gehaltenen Teilen dieses Kapitels ein relativ großer Umfang eingeräumt wurde. Wichtig und notwendig erscheinen jedoch die Abschnitte und Bemerkungen, in denen die spezifischen Anforderungen erörtert werden, die die alttestamentlichen Texte an die Methoden der Untersuchungen zur Semantik und zum metaphorischen Gebrauch in ihnen bezeugter Lexeme stellen. Der Vf. schließt das Kapitel mit Überlegungen zu den "Besonderheiten der Untersuchung der alttestamentlichen Weg-Lexeme" ab, in denen v. a. das Untersuchungskorpus abgegrenzt wird: Berücksichtigt werden demgemäß "nicht nur Lexeme mit einer beliebigen Variante der Grundbedeutung ,Weg im räumlich statischen Sinn’ ..., sondern auch solche Lexeme, die als Variante der Bedeutungsfärbung ,Gehen’ aufzufassen sind ..." (82), wobei nur die nomina actionis (d. h. movendi), nicht aber die entsprechenden Verben einbezogen werden. Diese Entscheidung mag aus Gründen der Umfangsbeschränkung geboten sein (die Untersuchung erstreckt sich auf nicht weniger als 56 hebräische Lexeme!), sachlich lässt sie sich indes weit weniger verantworten, als der Vf. meint (vgl. 83), denn eine exakte Grenzziehung zwischen nomina actionis und entsprechend verwendeten nominalisierten Formen des Verbs erscheint kaum möglich.

Der folgende "Forschungsbericht" (85-116) würdigt kritisch drei Monographien sowie drei Artikel in (sämtlich deutschsprachigen) theologischen Wörterbüchern und referiert die Kategorisierung des Lemmas drk in den wichtigsten Lexika des alttestamentlichen Hebräisch.

Das dritte Kapitel (117-292: "Die Weg-Lexeme im Umfeld des Alten Testaments") untersucht die Wegterminologien der wichtigsten Sprachen aus dem Umfeld des Alten Testaments (Akkadisch, Ugaritisch, Aramäisch und Ägyptisch) mit dem Anliegen, sie jeweils "als ganze mit der alttestamentlichen Weg-Terminonologie zu vergleichen, um so das besondere Profil der alttestamentlichen Weg-Vorstellung zu erhellen" (118). So angemessen die Voraussetzung eines gemeinsamen kulturellen Milieus als Hintergrund von vergleichenden Untersuchungen wie der vorliegenden ist, so ungewiss erscheint doch andererseits die Annahme des Vf.s, die Verwendung der Weg-Lexeme im Hebräischen könnte direkt durch benachbarte Sprachen beeinflusst sein (vgl. 208).

Die Darstellung berücksichtigt ausschließlich Quellentexte aus der vorhellenistischen Epoche. Diese Abgrenzung lässt sich insofern kaum rechtfertigen, als damit die nachweislich auch vorhandene kulturelle Kontinuität ignoriert wird. Zudem schließen sich etwa die aramäischen Texte aus Qumran zeitlich wesentlich näher an die hebräischen Texte des Alten Testaments an als die meisten der zitierten akkadischen, ugaritischen und ägyptischen Quellen.

Ein kompetentes Urteil darüber, inwieweit ein repräsentatives Bild der jeweiligen Weg-Terminologien gelungen ist, muss der Rez. den Lexikographen der entsprechenden Sprachen überlassen. Indes erscheint die Präsentation des Materials nicht sehr geeignet, das rückhaltlose Vertrauen des Lesers zu gewinnen: Neben Formalien (z. B. der Inkonsequenz bezüglich der Verwendung von Transkriptionen bzw. Transliterationen beim Akkadischen) irritiert der Umgang mit den zitierten Quellen, die nämlich häufig nicht nach den heutigen Standardeditionen angeführt werden (wie z. B. für das Ugaritische CTA bzw. KTU oder für die ägyptisch-aramäischen Texte das von Porten/Yardeni herausgegebene "Textbook of Aramaic Documents from Ancient Egypt", 1986 ff.). Bei den zitierten englischen, französischen und deutschen Übersetzungen der Quellentexte (auf eigene Deutungen wird im Allgemeinen verzichtet) greift der Vf. nicht selten selbst dann auf Publikationen älteren Datums zurück, wenn neuere Übersetzungen (wie etwa in TUAT) vorliegen. Unberücksichtigt blieb auch das jüngste ugaritische Wörterbuch (Olmo Lete/Sanmartín: Diccionario de la lengua Ugarítica. Vol. I, 1996). Das Eingeständnis geringer Ägyptisch-Kenntnisse (vgl. 225, zu i’b.t), verweist denjenigen, der etwas über die Weg-Terminologie dieser Sprache erfahren möchte, letztlich wieder auf eigenes Studium.

Das vierte Kapitel, eine in beeindruckender Breite durchgeführte semantische Untersuchung der hebräischen Weg-Lexeme, welche selbst textkritische Details noch in ihre Überlegungen einbezieht (293-472: "Das semantische Profil der hebräischen Weg-Lexeme"), bildet die Basis für die im fünften Kapitel folgende "Wegmetaphorik des Alten Testaments" (473-606). Hier führt insbesondere die problematische Annahme, der Gebrauch einer Metapher zeige die Abhängigkeit geistiger Konzepte von materiellen Substraten (vgl. 481), nach Meinung des Rez. zu einigen kaum haltbaren Schlussfolgerungen wie etwa der angenommenen Verbindung zwischen der Konzeption von "Geschichte" als "Weg" und den spezifischen nomadischen Lebenserfahrungen der Israeliten (504). Selbst die Verbindung einzelner semantischer Komponenten der Metapher mit ihrem außersprachlichen Hintergrund kann sehr irreführend sein: Mit dem Erfahrungshorizont eines (auf normalerweise immer wieder den gleichen Wegen ziehenden) Halbnomaden ließe sich jedenfalls bei der Annahme der o. g. Verbindung ein zyklisches Geschichtsbild gerade nicht zugunsten einer Progressions-Konzeption zurückweisen (vgl. 512 und 515). Daß eine Metaphorologie des "Weges" im Hebräischen nicht durchgängig mit solchen Bedeutungskomponenten wie "Anfang", "Ziel" und "Richtungsbestimmtheit" rechnen kann (vgl. 485), zeigt sich leicht an der für drk u. a. bezeugten Bedeutung "via" (vgl. 300) wie auch an drk nsjm "Menstruation". Überhaupt wird die mit dem letzten Beleg angesprochene sexuell konnotierte Verwendung von drk vom Vf. kaum bedacht, obgleich sie sich sowohl im Alten Testament als auch in seiner altorientalischen Umwelt gut bezeugt findet.

In der "Zusammenfassung" (607-613) werden die Ergeb- nisse der umfangreichen Untersuchungen noch einmal pointiert dargestellt und vor dem Hintergrund des altorientalischen Befunds profiliert. Insgesamt sieht der Vf. den Gebrauch der Weg-Lexeme in einigen wesentlichen Punkten als insofern abgehoben vom altorientalischen Umfeld, als er Aspekte einer wesentlich an JHWH gebundenen "Wegtheologie" (vgl. 473) ausmacht. Dem Rez. stellt sich hier die Frage, ob nicht in einigen Punkten die Parallelen doch stärker als die Unterschiede hätten gewichtet werden sollen. So kann etwa der Auffassung, die Weg-Lexeme des Alten Testaments fänden keine Anwendung auf den Bereich jenseits der Grenze des Todes (vgl. 611 f.), unter Verweis auf Hi 16,22 nicht zugestimmt werden.

Das Buch wird durch graphische und tabellarische Darstellungen zur Verwendung der Weg-Lexeme im Alten Testament (614-656) sowie Verzeichnisse der verwendeten Abkürzungen (657-661) und Literatur (662-715) abgeschlossen.

Die beinahe unvermeidliche Tatsache, dass der Rückgriff auf die Arbeit mit steter kritischer Prüfung einhergehen sollte, berührt nicht das Urteil, daß dem Vf. die bislang nicht nur umfassendste, sondern auch gründlichste semantische Untersuchung der hebräischen Weg-Lexeme zu verdanken ist.