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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

811–814

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Plevrakis, Ermylos

Titel/Untertitel:

Das Absolute und der Begriff. Zur Frage philosophischer Theologie in Hegels »Wissenschaft der Logik«.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XVII, 439 S. = Collegium Metaphysicum, 17. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-155091-1.

Rezensent:

Jörg Dierken

Das religionsphilosophische und theologische Gewicht von Hegels Denken war und ist umstritten. In der Theologie wurden die De­batten darüber vielfach mit großer Emphase geführt, der nicht immer gedankliche Differenziertheit entsprach. Sie betrafen das religionskritische oder -affirmative Gepräge seines Denkens, die Frage nach welttranszendenter Freiheit Gottes oder auch die These einer fahlen Logifizierung von Geschichte und Gesellschaft zulas-ten ihrer Kontingenz und Veränderlichkeit. In solchen Debatten spielte Hegels Logik, welche Hegel als methodische Basis auch aller Realphilosophie versteht, eine eher untergeordnete Rolle. Sie will keine Technik der Gedankenverknüpfung sein, sondern beansprucht, mit den Prinzipien und Prozeduren des begreifenden Denkens auch die der Wirklichkeit als Ganzes zu erfassen. Es liegt auf der Hand, dass Hegels Logik, indem sie die geordnete Prozessualität der begreifbaren Wirklichkeit insgesamt expliziert, ältere Metaphysikkonzepte beerbt und selbst eine umfassende Theorie des Absoluten sein will. Damit sind deren Herausforderung und Relevanz für die Theologie markiert.
Dem sucht sich Ermylos Plevrakis als griechisch-orthodoxer Theologe in seiner Heidelberger philosophischen Dissertation zu stellen. Er liest die Hegelsche Logik konsequent als philosophische Theologie, es geht ihm um den LOGOS Gottes in dessen »Absolutheit« (10 u. ö.). Mit diesem Interesse kann er an etliche Wendungen Hegels anknüpfen. Nicht die Religionsphilosophie bzw. deren geistphilosophischer Kontext sei primärer Ort zur Thematisierung des Absoluten, sondern die Bewegung des Begriffs als solche. Die Logik beinhalte, so eine Hauptthese von P., »rein begriffliche Grundlagenforschung« in Sachen philosophischer Theologie (11), und sie wird konsequent als Epistemologie und nicht als Ontotheologie gelesen. Das »Verhältnis zwischen Absolutem und Be­griff« erlaube es, den »logischen Kern aller Theologie« freizulegen (11.131; vgl. 390 u. passim).
Das Buch ist in drei Hauptkapitel gegliedert. Deren erstes hat hinführenden Charakter (15–132). In mehreren Zugängen zu Hegels Wirkungsgeschichte wird die Alternative von rechts- und linkshegelianischen Interpretationen zurückgewiesen, auch sei-en konfessionelle oder religionsphilosophische Deutungen inadäquat. Allenfalls von der Geistphilosophie und ihrer Spitze, dem absoluten Geist, aus sei zur Logik als dessen begrifflicher Voraussetzung im Sinne einer philosophischen Theologie überzugehen (vgl. 111). Zudem gibt P. die – am Ende des Buches in tabellarische Form gebrachte – methodische Orientierung, dass seine Interpretation logischer Formative drei Ebenen unterscheide: Eine »unbefangene« Darstellung der immanenten Bewegung der Hegelschen Begriffe; eine »esoterische« Ebene des von der Logik selbst gedeute ten »logischen Kern(s)« der jeweiligen Absolutheitskonzeption; und einen »exoterische[n]« bzw. »episodische[n]«, oftmals aber »nicht nur episodische[n] Abschnitt«, in dem die von Hegel kritisch angeführten philosophie- und religionsgeschichtlichen Figuren thematisch werden (415.179.236.276 u. ö.). Diese Ebenendifferenzierung, etwas schwerfällig formuliert und in der Anwendung auf die logischen Formative nicht ohne Redundanz, hat als Spezifikum von P.s Hegeldeutung durchaus Anhalt an etlichen Bemerkungen Hegels, wirft aber auch Gewichtungsfragen auf.
Das zweite Hauptkapitel gilt der objektiven Logik (133–260). Seine interne Gliederung folgt nicht ganz der Hegelschen und übergeht manches. Ein erster Teil verbindet die Kategorien Sein, Dasein, Fürsichsein, Größe und Maß aus der Seinslogik mit den Kategorien Schein, Reflexionsbestimmungen und Erscheinung aus dem Anfang der Wesenslogik. Den seinslogischen Kategorien entspreche absolutheitstheoretisch der werdende absolute Begriff, den we­senslogischen das ansichseiend und fürsichseiend gedachte Absolute sowie dessen unvollendete Auslegung. Dass die Bemühungen um Überwindung von Dualismen, die mit aller Bestimmtheit einhergehen, in deren Sog verbleiben, hätte als Merkmal seinslogischer Absolutheitskonzeptionen markanter herausgestrichen werden können. Gleiches gilt für die gegenläufigen monistischen Tendenzen des letzten Teils der Wesenslogik, der explizit das Absolute und seine Selbstauslegung durch die Negativität seines ande ren, das zum Schein herabgesetzte Sein, thematisiert. Demgegenüber versteht P. im zweiten Teil dieses Hauptkapitels Hegels Darlegungen zum Absoluten aus dem letzten Abschnitt der We­senslogik als werdenden absoluten Begriff, dessen Selbstauslegung als Fürsichsein zu beschreiben sei. Da das Absolute als »Überlegenheit« gegenüber Sein und Wesen gedacht wird (213; vgl. 201), verbleibe dieses, Sein und Wesen umfassende Absolute im Gravitationsfeld der Ontotheologie (vgl. 230). Dessen Manifestation bleibe ein »Dunkles […] hinter allem Sein und Wesen« (231). Gleichwohl soll sich in seiner Absolutheit der ganze bisherige Gang der Logik neu begreifen lassen und in seine vollendete Auslegung, in der die Negativität seiner Manifestationsfolie in es aufgehoben wird, eingehen.
Das dritte Hauptkapitel von P. gilt der Begriffslogik (261–413). Wirklich erörtert wird allerdings nur Hegels erstes Kapitel des ersten Abschnitts zur Subjektivität, das dem Begriff als solchem gilt. Die beiden weiteren Abschnitte zur Objektivität und Idee kommen nur beiläufig vor. Das ist – unabhängig von einem ohnehin unerreichbaren Vollständigkeitsideal – insofern bedauerlich, als damit die logischen Formative, die die Realisierung der Subjektivität durch ein ihr in eigener Freiheit entsprechendes Anderes als solches darstellen und schließlich deren einheitliche Relationsrelation thematisieren, allenfalls berührt werden. Sie bieten allerdings erst die Basis für die Struktur des Geistes, die nach Hegel auch die der Letztgestalt des Absoluten ist. Dem widerspricht P. auch nicht grundsätzlich. Er parallelisiert selbst erst die absolute Idee mit diesem Absoluten, dem für P. der »christlich-dreieinige Gott mit seiner durch die ganze Dogmatik vermittelten Bedeutung für den Menschen« gleicht, welchem wiederum Aristoteles’ Denken des Denkens entspreche (420). Doch präsentiere schon der Begriff als solcher eine erste abstrakte Fassung. Bereits mit ihr, so P.s These, werde die Methodik geliefert, »alle rein logischen Absolutheitskonzeptionen zu erzeugen und zu begreifen« (276). Das Absolute wird zu seiner begrifflichen Epistemologie. Dass dies strukturell bedeutet, dass das Absolute kein einfaches Ens ist, sondern seine eigene Reflexivität, die sich unterscheidet, als gleichrangiges Anderes manifestiert und sich in diesem gegenwärtig wird, expliziert P. an den Formativen des Begriffs als solchen, des besonderen Begriffs und des Einzelnen. Darin kommt es strukturell zu einer Zweiheit identischer Momente, die sind, was sie sind, nur in ihrem gedoppelten Verhältnis zueinander: dem Doppelschein. Da alles Weitere nur Selbstanwendungen dieser Struktur seien, lasse sich von der Logik des Begriffs her die gesamte Logik rückwirkend neu aufschlüsseln (vgl. 322 ff.). Negierte Metaphysik wird über negierte Ontologie zur »Epistemologie begreifenden Denkens« und deren »Metamethode« (342.364; vgl. 353.363 u. ö.): So die höchste Konzeption des Absoluten nach P.
P.s Studie ist anspruchsvoll. Wenn nach P. philosophische Theologie bedeutet, dass Gott gedacht werden soll und insofern Theologie über »bloße Emotions- und Erlebnisbeschreibung« hinausgeht, ist ihm gern zuzustimmen (389). Ähnliches gilt für die durchgehende Kritik, Gott als Seiendes, und sei es auch höchster Art, zu denken. So nachvollziehbar damit die Wendung zur Epistemologie auch wird, so sehr stellt sich die Frage nach der Sachhaltigkeit solch begreifenden Denkens. Diese muss es besitzen, wenn es die Wirklichkeit vergegenwärtigen will. Zudem lässt die Fokussierung auf Epistemologie nach Ethik fragen, mithin nach Praxis als Komplement zu Kontemplation. Dass auch P.s Absolutes nicht einfach dasselbe wie sein Begreifen sein kann, erhellt daraus, dass P. vom »be­grifflich-konkreten logischen Kern« von Absolutheitskonzeptionen spricht, dass er »den Begriff … das Absolute« begreifen lässt und dass er schon terminologisch auf das »Verhältnis« von Begriff »zum Absolutem« nicht verzichten kann (368.376.375).
Diese und weitere Differenzen lassen sich nicht einfach tilgen. P. scheint letztlich doch an einen Gott zu denken, der einem erhabenen Subjekt gleicht, das über alles hinaus ist (vgl. 383.385). Wenn sein Modus der Begriff ist, der nur begrifflich existiert (vgl. 406), erhebt sich die Frage, wie sich dies von einer Begriffsontologie unterscheiden lässt. Da P. konsequent subjektivitätstheoretische, soziologische oder religionsphilosophische Lesarten Hegels zu­rückweist, müsste der sich selbst betätigende Begriff, der zugleich »Prinzip« und »Element« seiner selbst sein soll (378 u. ö.), von Mys-tifizierungen abgesetzt werden. Denn als »Nachfolgebestimmung des Absoluten« ähnelt er einem losgelöst sich Betätigenden, zumal er zum »metametaphysischen und überreligiösen Bezugspunkt« aller Metaphysiken und Religionen werden soll (376.405). Dass P. Hegel eine Tendenz zum Theismus attestiert (vgl. 407) und damit real- oder besser: sozialphilosophisch-prädikative Lesarten seiner Absolutheitskonzeption auf Distanz bringt, dürfte kein Zufall sein. Ob sich dahinter eine orthodoxe Tendenz zum Vorrang der ersten Person der Trinität verbirgt, wäre eine interessante religionsanalytische Rückfrage an P.s komplexe Interpretation, deren Anstrengung dem Begriff gilt.