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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

803–805

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Zager, Werner

Titel/Untertitel:

Entwicklungslinien im liberalen Protestantismus. Von Kant über Strauß, Schweitzer und Bultmann bis zur Gegenwart.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 414 S. Geb. EUR 52,00. ISBN 978-3-374-04989-9.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Mit dem vorliegenden Band legt Werner Zager eine Aufsatzsammlung vor. Bis auf den Aufsatz »Was sollen wir tun? Albert Schweitzers Impulse zur ethischen und politischen Weltverantwortung« (149 ff.), einem 2016 im Rahmen der »Albert-Schweitzer-Tage« in Königsfeld im Schwarzwald gehaltenen Vortrag, sind alle Texte bereits an verschiedenen Orten zwischen 2006 und 2017 veröffentlicht. Der Text »Rudolf Bultmann und das Freie Christentum« (287 ff.) wird in einer erweiterten Fassung vorgelegt, in der Z. seine im gleichen Jahr erschienene Edition des Briefwechsels zwischen Rudolf Bultmann, Götz Harbsmeier und Ernst Wolf intensiv auswertet, das Buch nahezu vorstellt, den Fundort der zitierten Textstellen dabei wohl nicht per Fußnote, sondern als Klammerzusatz in den laufenden Text setzt.
Elf der 16 Texte sind ursprünglich – wie auch jeweils angezeigt – Vorträge gewesen. Dabei hat Z. den Vortragsstil für die Publikation kaum verändert. So verweist er z. B. in »Kerygma und Mythos«, ur­sprünglich als Vortrag im »Alten Gymnasium« in Oldenburg gehalten, auf das »hiesige humanistische Gymnasium« (203). Die Sammlung ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil beschäftigt sich mit »theologischen und philosophischen Denkern eines liberalen Pro-testantismus«, von Immanuel Kant über David Friedrich Strauß und Albert Schweitzer zu Rudolf Bultmann, der zweite Teil bietet an­hand von vier Themen systematischer Theologie (Gott, Offenbarung, Vernunft und Tod) Streifzüge durch die liberale Theologie. Dabei kommen hier auch Namen in den Fokus, die man vorrangig mit liberaler Theologie verbindet: Wilhelm Herrmann, Wilhelm Bousset und Ernst Troeltsch etwa. Mit einer Analyse von Kants »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« wird der Band eröffnet. Dabei gibt Z. einen schlüssigen Überblick über den Inhalt der Schrift, wobei die Unterordnung von Geschichte und Offenbarung unter den Vernunftglauben bei Kant deutlich wird. Ebenso wird evident, dass Kant Grundlagen liefert für die weitere Entwicklung liberaler Theologie. David Friedrich Strauß schließlich leistet mit seinen zwei Bänden »Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet« einen wichtigen Beitrag zur weiteren Entwicklung der Hermeneutik in der Exegese des Neuen Testaments. Z. stellt dies aufschlussreich dar in Verbindung mit biographischen Daten zu Strauß.
Ein starker Akzent innerhalb der Publikation liegt auf Albert Schweitzer als Person und Theologe. Interessant sind zunächst die Ausführungen zum Thema »Judentum und Christentum im Denken Albert Schweitzers«. Hier arbeitet Z. vor allem biographisch, ausgehend von ersten Begegnungen Schweitzers mit Juden in der Kindheit, der Verbindung mit Helene Breslau bis zur Bekanntschaft mit Martin Buber. Deutlich wird die Anschlussfähigkeit eines undogmatischen Christentumsverständnisses an ein liberales Judentum, auch wenn Schweitzer zumindest in modifizierter Form in den alten Klischees eines Pharisäerbildes etwa gefangen bleibt. Schweitzers philosophische Auseinandersetzung mit Schopenhauer und Nietzsche, die für die Entwicklung der zentralen Forderung Schweitzers nach einer Ehrfurcht vor dem Leben wichtig ist, schließt sich an. Die Auswertung des Briefwechsels zwischen Bultmann und Schweitzer stellt den liberalen Theologen Schweitzer anhand des Themas »Es­chatologie« dem Theologen Bultmann gegenüber, der der in der liberalen Theologie entwickelten historisch-kritischen Methode – etwa im Gegensatz zu Karl Barth – stets treu bleibt, die liberale Theologie jedoch theologisch überwindet. Die theologiegeschichtlichen Spannungsfelder der ersten Hälfte des 20. Jh.s aufzuzeigen, gelingt Z. durch Auswahl und Anordnung der Texte gut. In »Albert Schweitz er– ein Mann der Kirche?« und in »Was sollen wir tun?« stellt Z. Albert Schweitzer als Prediger vor, der die Erkenntnisse liberaler Exegese in der Verkündigung fruchtbar macht. Dabei scheint mir in dem in vorliegendem Band zuerst veröffentlichten Aufsatz »Was sollen wir tun?« der Sprung von Schweitzerzitaten in moderne politische Problemstellungen manchmal nicht unproblematisch. So wird, als es um die Ehrfurcht vor dem Leben von Tieren geht, gesagt: »Auch die Methode des Schächtens muss abgelehnt werden, wenn sie nicht mit Betäubung erfolgt.« (163)
Hier würde man sich in einer wissenschaftlichen Publikation eine differenziertere Betrachtungsweise wünschen. Die Beschäftigung mit »Rudolf Bultmann als Mensch und Theologe« stützt sich auf die Biographie von Konrad Hammann sowie auf zahlreiche Quellen. Dabei wird die theologische Entwicklung in Auseinandersetzung mit Martin Heidegger und Karl Barth nachgezeichnet, während der Aufsatz »Zwischen Kerygma und Mythos« einerseits Bultmanns Entmythologisierungsprogramm darstellt – worauf Z. auch in weiteren Texten eingeht –, vor allem aber die Kontroverse mit Karl Jaspers, besonders dessen Vorwurf, Bultmann führe sein Programm nicht konsequent zu Ende, durch eine vorzügliche Auswahl der Quellen belegt. Ein dunkles Kapitel eröffnet Z. mit der Analyse von Bultmanns Predigten im Ersten Weltkrieg, wo der Theologe leider hinter der Entwicklung eines Adolf von Harnack und Ernst Troeltsch zurückbleibt, während seine klare Haltung – zusammen mit seinem Schüler Günther Bornkamm – im Nationalsozialismus beeindruckt. Hier kann Z. auch zurückgreifen auf seine Edition des Briefwechsels beider Theologen. Schließlich zeigt Z. im letzten Aufsatz des ersten Teils Bultmanns Nähe und zugleich sein schwieriges Verhältnis zum »Bund für Freies Christentum«, dem er nie beigetreten ist. Gleichzeitig wird in diesem Aufsatz deutlich, wie sehr Bultmann der Existenzphilosophie verhaftet bleibt, wenn er politische Entscheidungen in die Verantwortung des Einzelnen stellt und ein politisches Engagement der Kirche kritisch sieht. Im zweiten Teil bietet Z. – wie bereits angedeutet – Streifzüge durch die liberale Theologie anhand verschiedener systematischer Themen dar. Dabei gehen die einzelnen Kapitel je­weils auf bekanntere und weniger bekannte Theologen ein, Julius Kaftan und Friedrich Heiler, Wilhelm Bousset, Ernst Troeltsch und Wilhelm Herrmann. Beim Thema »Vernunft« legt er mit der Be­trachtung Luthers und Lessings sowie Schleiermachers einen traditionellen Grund. Mit Theologen wie Wolfhart Pannenberg, Paul Tillich und Wilfried Härle führt Z. bis in die Gegenwart. Die Ausführungen zu den einzelnen Theologen bieten jeweils einen knappen Einblick.
Das Verdienst der Publikation ist vor allem, verstreut veröffentlichte Aufsätze, die einen guten theologiegeschichtlichen Einblick gewähren, in einem Band versammelt zu haben.