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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

801–803

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Vom wahrhaft Unendlichen. Metaphysik und Theologie bei Wolfhart Pannenberg.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 448 S. = Pannenberg-Studien, 2. Geb. EUR 120,00. ISBN 978-3-525-56027-3.

Rezensent:

Martin Hailer

Der Band dokumentiert den Vortrag des Herausgebers bei der Akademischen Gedenkfeier für Wolfhart Pannenberg (1928–2014), die Vorträge eines Kolloquiums zum Titelthema und drei Beigaben. Nachdem Pannenberg-Studien Bd. 1 dem Religionsbegriff und da­mit tendenziell den Prolegomena gewidmet war, zielt der anzuzeigende Band auf die neben der Trinitätslehre zentrale Konzeption in Pannenbergs Gotteslehre.
Der Hauptgegenstand ist eine Klarstellung in einer frühen Phase von Wolfhart Pannenbergs Arbeit. Sie ist an einem denkwürdigen Ereignis festzumachen, nämlich dem mit mäßig verkehrstauglichen Motorrädern bewerkstelligten Besuch des engeren Kreises um Pannenberg bei Martin Heidegger in dessen Todtnauberger Hütte im August 1952. Diskutiert und später in einem Briefentwurf festgehalten wird Heideggers These, dass die Philosophie von Gott zu schweigen habe, weil das Reden von Gott die Differenz von Grund und Begründetem zwar setzt, durch seinen Sprachges-tus aber überspielt (81.83 f., vgl. 20). Dagegen steht für Pannenberg, dass die Philosophie das Absolute sehr wohl zu denken habe, und zwar als Bedingung alles Endlichen und damit zugleich allem Endlichen vorgängig (85, vgl. 18). Dafür bringt er die Idee des ›wahrhaft Unendlichen‹ in Anschlag. Sie denkt das Unendliche als Attribut Gottes nicht im strikten Gegensatz zum Endlichen, denn täte sie dies, würde sie in einer negativen und damit contra intentionem endlichen Bestimmung aufgehen. Dagegen hält Pannenberg: »Der Begriff des ›wahrhaft‹ Unendlichen hingegen ist erst erfüllt und realisiert, wenn Unendlichkeit keinen abstrakten Gegensatz zur Endlichkeit darstellt, sondern mit dem Unterschied zum Endlichen dieses selbst in sich begreift.« (53 f., G. Wenz)
Diesem Gedanken kommt für Pannenberg bis in die Systematische Theologie grundlegende Bedeutung zu, auch wurde und wird er anhand seiner als Hegelianer identifiziert, sei es kritisch oder lobend. Der Band bietet, und das macht ihn interessant, differenzierte Blicke auf genau diese Weichenstellung, die das Etikett des theologischen Hegelianers unwahrscheinlich machen. Zum einen sind philosophie- und theologiegeschichtliche Herleitungen (Gunther Wenz, 15–70; Friederike Nüssel, 89–104; Walter Dietz, 123–140; Malte Dominik Krüger, 141–162) zu lesen. Sie zeigen die besondere Bedeutung von Descartes’ Dritter Meditation, aus der Pannenberg den Umriss seines Konzepts der wahrhaften Unendlichkeit ge­winnt, auch treten die von Pannenberg selbst kaum be­nannten Nähen zu Schelling zutage, die u. a. für die Konzeption von Ge­schichtlichkeit und Freiheit wichtig sind (Krüger). Zum anderen wird die genaue Ausgestaltung des Konzepts ›wahrhaft Unendliches‹ beleuchtet. Dabei zeichnet sich ab, wie kritisch Pannenbergs Blick auf Hegel wurde. So zeigt noch einmal Gunther Wenz (355–377) mit Blick auf die unveröffentlichte Vorlesung ›Theologie der Vernunft‹ (München 1969) auf, dass Pannenberg das Thema der Ge­schichtlichkeit der Vernunft wichtig wurde: Zwar kann der Glaube nicht im Gegensatz zur Vernunft stehen, diese Vernunft ist aber einschließlich ihrer Reflexionsbegriffe geschichtlich verfasst. Hier bleibt bei Hegel ein apriorischer Rest. Dagegen: »Pannenberg hat des Öfteren und zur Überraschung mancher zu verstehen gegeben, dass Diltheys Denken für ihn ungleich prägender geworden sei als das Hegel’sche.« (371) Nicht die Geschichte ist »Ausdruck einer apriorischen Struktur des Geistes, sondern umgekehrt die Struktur des Bewusstseins selbst von der Geschichte abhängig« (ebd.). In ähnliche Richtung geht der Beitrag von Thomas Oehl. In »Die theologische Insuffizienz des Begriffs« (233–263) zeichnet er die Kritik Pannenbergs am Hegel der Wissenschaft der Logik nach, in der die Begriffe der Logik mit der sich selbst organisierenden Darstellung des unzeitlichen Wesens Gottes identisch sind. Begriffe aber müssen entgegen dieser Annahme geschichtlich gedacht werden. Damit zeigen auch auf das Absolute gerichtete Begriffe etwas, »das sich nur in geschichtlichen Zusammenhängen einsehen lässt« (241). Damit rückt die Verstehbarkeit Gottes in den »Kontext lebens- und heilsgeschichtlicher Zusammenhänge« (243).
Die weitere Pannenberg-Forschung wird zeigen sollen, ob Formulierungen wie diese ihn nicht in ein Licht rücken, in dem er ausweislich von ›Offenbarung als Geschichte‹ (1961) nicht gesehen werden wollte, weil der existentielle Bezug deutlich hervorgehoben wird. Alternativ bliebe zu fragen, ob die späteren Werke sich von der Programmschrift nicht stärker distanzieren, als oft angenommen wird.
Vertreten sind ebenso Beiträge katholischer Autoren vom Sitz der Pannenberg-Forschungsstelle in München. Der Ton liegt hier stärker auf Pannenbergs Arbeiten als herausragenden Vertretern einer begrifflich scharfen Religionsphilosophie und rationalen Theologie. So nehmen Godehard Brüntrup und Ludwig Jaskolla (213–231) das Konzept des wahrhaft Unendlichen gegen den Vorwurf in Schutz, Pannenberg lehre damit letztlich einen Pantheismus, weil das vom Unendlichen umgriffene Endliche ganz unselbständig sei. Dagegen halten sie, dass das Fundamentale wohl Grund des Abgeleiteten ist, was die Eigenständigkeit des Abgeleiteten aber nicht dementiert: Ist Abhängigkeit eine Relation, dann sind Aufgehobensein in Gott und Eigenständigkeit kein Widerspruch. Im Beitrag von Harald Schöndorf (169–195) wird das Jahrzehnte währende ökumenische Engagement Pannenbergs sichtbar: Er geht von dessen Erwägungen zur Möglichkeit eines Gottesbeweises aus und gewinnt von daher das Material für eine parallele Lesart von Friedrich D. E. Schleiermacher und Karl Rahner. Das geht nicht ohne Kritik: Ein ›anthropologischer Gottesbeweis‹ soll zeigen, dass menschliches Selbstverständnis nicht ohne Gottesbezug denkbar ist. Pannenberg fehlt hier der konstitutive Bezug auf die gesamte Weltwirklichkeit (174). Anthropologie in diesem Sinne, so Schöndorf, sei aber bereits metaphysisch, so dass der Vorwurf anthropologischer Reduktion nicht zutrifft. Das wird zum einen für Schleiermacher durchgeführt, bei dem Schöndorf nicht ein bewusstseinstheoretisches Modell allein, sondern »eine bewusstseinstheoretische Version des Kontingenzbeweises« sieht (179). Die Parallele zu Rahners Konzeption des unthematischen Wissens von Gott ist unbeschadet fälliger Einzeldiskussionen deutlich. Auch in der hier angedeuteten Kritik wird Pannenberg als maßgeblicher Gesprächspartner erfahren.
Der Band bietet mit den katholischen Beiträgen ein Panorama der Resonanzen auf Pannenbergs Gotteslehre und mit den evangelischen ein eindrückliches Beispiel dafür, dass durch die genaue Verhältnisbestimmung zu den maßgeblichen Klassikern die Konturierung von Pannenbergs Werk noch schärfer wird.