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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

52–54

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schoors, Antoon [Ed.]

Titel/Untertitel:

Qohelet in the Context of Wisdom.

Verlag:

Leuven: University Press; Leuven: Peeters 1998. XI, 528 S. 8 = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 136. Kart. BEF 2400. ISBN 90-6186-905-6 bzw. 90-429-0589-1.

Rezensent:

Otto Kaiser

Das Koheletbuch, dessen Beliebtheit sich früher eher auf die Gebildeten unter den Verächtern der Religion beschränkte, ist dem Zeitgeist gemäß in den beiden letzten Jahrzehnten zunehmend in das Blickfeld der Exegeten gerückt. Dem trug das 46. Colloquium Biblicum Lovaniense Rechnung, das sich vom 30. Juli bis zum 1. August 1997 in dreizehn Haupt- und Seminarvorträgen und achtzehn Kurzbeiträgen mit ihm beschäftigte. Die Beiträge der ersten Gruppe sind vollständig, die der zweiten bis auf einen in dem von dem Leiter der Konferenz Antoon Schoors herausgegebenen und vorzüglich eingeleiteten Kongressband enthalten. Wie nicht anders zu erwarten, bietet auch dieser Band einen vorzüglichen Einblick in die breitgefächerte Koheletforschung der Gegenwart, deren Fragestellungen von der nach dem Einfluss der hellenistischen Philosophie auf Kohelet und seinem sozio-ökonomischen und kulturellen Hintergrund bis zu textlinguistischen und dekonstruktivistischen Zugängen reichen, ohne dass darüber die klassische historisch-kritische Methode in Vergessenheit geraten ist.

Antoon Schoors hat den beiden Sektionen der Mainpapers (17-318) und der Offered Papers (319-492) eine Einführung vorangestellt, die dem Leser einen ausgezeichneten Überblick über den Inhalt des Bandes bietet (1-16). Daher können wir uns hier darauf beschränken, die Beiträge nach inhaltlichen Kriterien geordnet anzuzeigen.

Wir stellen den Vortrag von I. J. J. Spangenberg, A Century of Wrestling with Qohelet: The Research History of the Book Illustrated with a Discussion of Qoh 4,17-5,6 an die Spitze, weil er am Beispiel des genannten Textes zeigt, wie sich unter dem Einfluss von Robert Gordis eine Wendung von der literarkritischen Analyse zum Verständnis des Buches als eines Ganzen vollzogen hat, ohne dass bislang der historisch-kritische Ansatz durch den des new literary criticism verdrängt worden ist. Dass indes durch eine rhetorische Analyse neue Dimensionen des Textes eröffnet werden können, demonstriert er am verhandelten Beispiel (61-69). Dass die Analyse der Sprechhandlungsabfolge verbunden mit einer Untersuchung der mit ihnen verbundenen Wirkintentionen einen Rückschluss auf die Stellung Kohelets zur Tradition erlaubt, zeigt Thomas Hieke in seinem Beitrag Wie hast du’s mit der Religion? Sprechhandlungen und Wirkintentionen in Kohelet 4,17-5,6 am selben Beispiel. So ergibt sich, dass Kohelet der Veräußerlichung der Religion zugunsten der ernsthaften und zurückhaltenden Interaktion zwischen Mensch und Gott das Wort redet (319-338). Der Rhetorik sind auch die Beiträge von Naoto Kamono (Character and Cosmology: Rhetoric of Qoh 1,3-3,9) (419-424), Lindsay Wilson (Artifical Ambiguity in Ecclesiastes 1,1-1) (357-365) und Rick W. Byargeon (The Significance of Ambiguity in 2,24-26) (367-372) gewidmet. Dass sich Kohelet nicht als Dekonstruktivist vereinnahmen lässt, zeigt Eric S. Christianson, Qoheleth and the/His Self among the Deconstructed (425-433). Zu syntaktischen Problemen äußern sich Johan Y. S. Pahk (The Significance of ’aschær in Qoh 7,26: "More bitter than death is the woman, if she is a snare") (373-383) und K. A. D. Smelik (A Re-Interpretation of Ecclesiastes 2,12b) (385-389). Dass das letzte Wort über die Abgrenzung der Einheiten und die Genese des Buches noch nicht gesprochen ist, wird durch den von P. Beentjes im niederländischen Seminar gehaltenen Vortrag "Who is like the Wise?": Some notes on Qohelet 8,1-15 exemplifiziert. Er sucht zu zeigen, dass 8,1-15 nicht wie bei A. A. Fischer in 8,1-8 und 8,10-15, sondern in 8,1-9 und 8,10-15 zu gliedern ist (303-315). J. M. Auwers zieht in seinem Beitrag Problèmes d’interprétation de l’epilogue de Qohelêt m. E. aus 12,9-11 mit Recht den Schluss, dass das Koheletbuch seine Existenz erst dem hier das Wort ergreifenden Redaktor verdankt (267-282). Andreas Vonach weist in seinem Aufsatz Gottes Souveränität anerkennen: Zum Verständnis der "Kanonformel" in Koh 3,14 nach, dass sie hier einen pädagogischen und zugleich theologischen Zweck verfolgt (391-397).

Die immer noch kontroverse Diskussion über die theologische Position des Buches spiegelt sich in zahlreichen Beiträgen. Wie manche Studien in diesem Band setzt Diethelm Michel mit seinen Überlegungen bei 4,17-5,6 ein. Mit seinem Beitrag "Unter der Sonne": Zur Immanenz bei Qohelet nimmt er ein letztes Mal das Wort zu seinem Lieblingsbuch. Seinem vielfach dargelegten skeptischen Verständnis des Buches gemäß vertritt er die These, dass Kohelet in 4,17-5,6 den Frommen mit dem Toren identifiziert und so im Rahmen der skeptischen Immanenz bleibt, für die seine Aussagen über die Welt unter der Sonne charakteristisch sind (93-111). Am nächsten steht Michels Position Armin Lange mit seinem im deutschen Seminar gehaltenen Vortrag Diskussion mit dem Tempel: Zur Auseinandersetzung zwischen Kohelet und weisheitlichen Kreisen am Jerusalemer Tempel. Auf dem Hintergrund eines Vergleichs von Koh 4,17-5,6 und den in Qumran gefundenen Fragmenten des Books of the Mysteries (1Q27; 4Q299-301) kommt er zu dem Ergebnis, dass es sich bei 4,17-5,6; 2,26 und 7,26 um eine Kritik Kohelets an der am Tempel beheimateten weisheitlichen Gruppe handelt. Diese habe ihrerseits um die Mitte des 2.Jh.s 8,5f.;11,9c und 12,12-14 ein- und angefügt, ohne das Buch damit für die damals noch nicht existente Sammlung der Ketubim zu reklamieren (113-159).

Eine in unterschiedlicher Weise nuancierte Position zwischen den theologischen Minimalisten wie Michel und den Maximalisten wie Whybray nehmen Hans-Friedemann Richter (Kohelet - Philosoph und Poet) (435-449), A. J. O. van der Wahl (Qohelet 12,1a: A Relatively Unique Statement in Israel’s Wisdom Tradition) (413-418) und zumal Michael V. Fox in seinem Vortrag The Inner-Structure of Qohelet’s Thought ein. Für ihn ist Kohelet der Denker, der in der Krise der überlieferten Sinngebungen, die ihm an ihrem Widerspruch mit der Wirklichkeit zerbrechen, einen neuen, partiell gültigen Sinn in dem unmittelbaren Genuss des jeweils Guten entdeckt (225-238). In die Nähe dieser Position kann man auch T. Anthony Perry (Kohelet’s Minimalist Theology) rücken (451-456). Wegen ihrer Beschäftigung mit demselben Grundthema seien hier die beiden, sich nicht explizit mit Kohelets theologischer Position auseinandersetzenden Kurzbeiträge vom Dominic Rudman (The Anatomy of the Wise Man: Wisdom, Sorrow and Joy in the Book of Ecclesiastes) (465-472) und Agustinus Gianto’s Human Destiny in Emar and Qohelet (473-480) erwähnt. Hoffentlich protestiert Antoon Schoors nicht, wenn ich ihn aufgrund seines Eröffnungsvortrages Words Typical in Qohelet vorsichtig unter die Gelehrten einordne, die zwar energisch die Umwertung vieler Werte bei Kohelet betonen, ihn aber trotzdem an seiner jüdischen Rückbindung festhalten lassen. Denn Schoors findet in dem charakteristischen Wortschatz Kohelets die hochreflektierte und geradezu philosophische Eigenart des Buches gespiegelt, das trotz seiner anthropologischen Grundtendenz die Theodizeefrage nicht aus dem Auge verloren hat (17-39).

Die genau entgegengesetzte Position zu Michel vertritt Norman R. Whybray’s Vortrag im englischen Seminar Qohelet as a Theologian. Für ihn ist Kohelet ein jüdischer Theologe und Apologet, der konservativ die Grundelemente des jüdischen Glaubens bewahrte und, soweit erforderlich, der eigenen Zeit gemäß radikal veränderte (239-265). An seine Seite können wir Ludger Schwienhorst-Schönberger stellen. Er zeigt in seiner Studie über die Via Media: Koh 7,15-18 und die griechisch-hellenistische Philosophie, wie Kohelet im Spannungsfeld zwischen der jüdischen und der griechisch-hellenistischen Lebenswelt steht. So deutet er in 7,15-18 die jüdische Tradition neu, indem er die mit dem s.addîq und raschac verbundenen Vorstellungen zugunsten des Gottesfürchtigen problematisiert, dessen Verhalten per se gut ist. Dabei habe es den Anschein, als habe Kohelet die Gottesfurcht der Tora nicht wie bisher unter-, sondern vorgeordnet (182-203). Ähnlich ortet auch Vittoria d’Alario (Liberté de Dieu ou destin? Un autre dilemme dans l’interprétation du Qohélet) Kohelets Gedanken über Zeit und Schicksal auf dem Hintergrund der gleichzeitigen Diskussion in der hellenistischen Philosophie wie in der jüdischen Apokalyptik (457-463). Wie nach seinem Kommentar in der Neuen Echterbibel (19934)1 nicht erstaunlich, gehört auch Norbert Lohfink nicht zu denen, die in dem Prediger einen sich radikal von der ihn umgebenden Religion trennenden Einzelgänger sehen. Demgemäß zeigt er in seinem Beitrag Ist Kohelets HBL-Aussage erkenntnistheoretisch gemeint? in Auseinandersetzung mit Diethelm Michel, dass hæbæl von Kohelet weder zur Bewertung der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnis noch zu der des erkennenden Subjekts, sondern nur zu der von Akten und Fakten der äußeren Welt gebraucht wird (41-59). Auch der Beitrag von James L. Crenshaw über Qoheleth’s Understanding of Intellectual Inquiry lässt sich vorsichtig dieser Position zuordnen, erinnert er doch daran, dass sich die Rolle der Subjektivität im Erkennntisprozess bei Kohelet nur graduell und in der Art der pädagogischen Strategie von dem genuin weisheitlichen, auf der Erfahrung beruhenden unterscheidet (205-224).

Mit Diethelm Michels Hypothese von der antiapokalyptischen Frontstellung Kohelets setzt sich Alexander A. Fischer in seinem Beitrag Kohelet und die frühe Apokalyptik: eine Auslegung von Koh 3,16-21 kritisch auseinander: 3,17a, ist redaktionell, 3,21 keine disjunktive, sondern eine rhetorische adversative Doppelfrage, die sachlich mit 12,7 identisch ist und der Unterstreichung von 3,19 gilt (339-356). Der Versuch von A. H. J. Krüger (Old Age Frailty versus Cosmic Detoriation? A Few Remarks on the Interpretation of Qohelet 11,7-12,8), die Komposition als eine weise Warnung gegen weisheitlich-apokalyptische Spekulationen über eine bevorstehende universale kosmische Katastrophe zu deuten, hat den Rez. aus methodischen Gründen nicht überzeugt (399-411).

Mit Problemen der Sepuagintaübersetzung des Buches beschäftigen sich die Beiträge von François Vinel (Le texte grec de l’Ecclésiaste et ses caractéristiques: une relecture critique de l’histoire de la royauté) (283-302) und Johann Cook (Aspects of the Relationsship between the Septuagint Versions of Kohelet and Proverbs) (481-492).

Der erste weist sie Aquila zu, der zweite setzt sie in die Nachfolge Aquilas. Das Problem der Abhängigkeit Ben Siras von Kohelet behandelt M. Gilbert in seinem Vortrag Qohelet et Ben Sira. So wie das stereotype Mahnwort 12,13a angesichts seiner gedankenreichen Parallelen bei Ben Sira keinen sicheren Rückschluss auf eine Abhängigkeit des Redaktors von diesem erlaubt, lässt sich aus umgekehrten Gründen aus dem mit der Todesverfallenheit begründeten carpe diem bei Ben Sira nicht mit Sicherheit auf Ben Siras Kenntnis Kohelets schließen (161-179).2

Es ist ein thematisch und inhaltlich reicher Band, der nicht nur einen Querschnitt durch die gegenwärtige Koheletforschung bietet, sondern zur Weiterarbeit an den hier behandelten Problemen anregt. Dass wir dabei künftig auf die dezidierten Beiträge von Roger N. Whybray und Diethelm Michel verzichten müssen, macht uns bewusst, welchen Verlust unsere Disziplin durch beider inzwischen erfolgtes Ableben erlitten hat. Die Benutzung des Buches als Nachschlagewerk wird durch ein Abkürzungsverzeichnis und Indices der Autoren, Bibelstellen und Sachen und nicht zuletzt der hebräischen und griechischen Worte erleichtert.

Fussnoten:

1) Mit einer lesenswerten neuen Einleitung, die zur Freude der Besitzer der 1. Aufl. auch in seine Studien zu Kohelet, SBAB.AT 26, 1998, 11-30 aufgenommen ist.

2) Vgl. dazu auch J. Marböck, Kohelet und Sirach, in: L. Schwienhorst-Schönberger [Hrsg.]: Das Buch Kohelet. Studien zur Struktur, Geschichte, Rezeption und Theologie, BZAW 254, 1997, 275-297.