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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

784–786

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Florie, Rainer

Titel/Untertitel:

Paul Laymann. Ein Jesuit im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. X, 379 S. = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 165. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-402-11591-6.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg 2016 angenommene Dissertation von Rainer Florie stellt einen Jesuiten der Barockzeit vor, der bisher im Wesentlichen nur eine »Lexika-Existenz« (7) hatte, aber doch in seiner Zeit auf einigen Feldern eine Schlüsselrolle einnahm. Er ist, obwohl nicht in vorderster Reihe, ein typischer Vertreter des Jesuitenordens, des Ordens, der im Barockzeitalter die einflussreichste religiöse Bewegung im Katholizismus war. Auf ein charakteristisches Medium der Jesuiten, das Theater, anspielend setzt F. mit einem »Bereiten des Schauplatzes« (1) ein, der Skizze des politischen und kirchlichen Lebensraumes seines Protagonisten. Die folgende »Rekonstruktion der Biographie« (7) Laymanns lässt quellenbedingt die Person hinter ihrem Werk zurücktreten. Dementsprechend behandelt F. in den weiteren Teilen besonders die Hauptwerke Laymanns: seine Moraltheologie und seine Interpretation des Augsburger Religionsfriedens von 1555.
Die Theologia Moralis fasste 1625 Laymanns Lehrtätigkeit als Professor der Moraltheologie, eines Faches, das erst 1599 von der Ratio studiorum verpflichtend gemacht wurde und das er seit 1609 am Jesuitenkolleg in München lehrte, zusammen. Das Lehrbuch war das erste im deutschen Sprachraum zum Thema und erfuhr mehrere Auflagen. Vermisst wird eine Erläuterung des Titels, der wichtige Begriffe enthält, die über das Verständnis der Moraltheologie bei Laymann aufschlussreich wären, wie forum externum Ecclesiasticum, forum internum conscientiae und nova methodus (34). F. zeigt, dass Laymann in seinem Aufbau vor allem der Secunda secundae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin folgt (in der Synopse muss S. 38 in der ersten Spalte statt »III« »I–II« stehen.). Zweck des Buches sei ein pastoraler gewesen. Zu den Quellen wird vermerkt, das Werk zeige sich als »umfassende Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Literatur und theologischen und juristischen Diskussion« (40), allerdings wird nicht dargelegt, wie die angeführten Autoren bei Laymann »Verwendung« fanden. Dies wäre im Hinblick z. B. auf die Protagonisten im Gnadenstreit Bánez und Molina interessant gewesen. F. stellt aber fest, Laymann habe sich aus den theologischen Auseinandersetzungen herausgehalten, da sein Anliegen ein seelsorgerliches, kein theologisches war (316). Diese theologische Zurückhaltung zeige sich auch daran, dass Laymann seiner Moraltheologie keine Grundlegung voranschickt, wie sie etwa in der Summa Theologiae des Thomas zu finden ist, und an seiner kanonistisch-kasuistischen Methode. Ein Charakteristikum, das F. auf thomistische und ignatianische Einflüsse zurückführt, ist die das Lehrbuch Laymanns einleitende Gewissenslehre, die F. einerseits wegen des Fehlens der Gnadenlehre, der Pneumatologie und Eschatologie als Verengung, andererseits als durch den Probabilismus bedingte Ausweitung in der Moraltheologie bewertet. Inwiefern diese »vernunftorientierte Morallehre«, bei der »ein Bezug auf Gott […] allenfalls implizit […] wahrgenommen werden kann« (99), überhaupt noch als »Moraltheologie« bezeichnet werden kann und nicht vielmehr eine philosophische Ethik ist, bleibt unklar. F. berichtet über aktuelle Fragen, die Laymann behandelt, wie die der Epikie, der Häresie, der reservatio mentalis, des Duells.
Ein spezielles Kapitel ist Laymanns Stellungnahme zur Hexenverfolgung gewidmet, die in seiner Moraltheologie zu finden ist. Wie bei den anderen Themen auch, führt F. in einem ausführlichen, hilfreichen Überblick in die Vorgeschichte der Diskussion ein. Er sieht Laymanns Position in der Hexenfrage zwischen der Adam Tanners und Friedrich Spees und damit Laymann als Vorläufer Spees (180. 321), der in seiner 1631 anonym veröffentlichten Cautio criminalis noch die »Existenz der Hexerei und die Notwendigkeit ihrer Verfolgung bekräftigt« (178), aber doch eine gewisse Tendenz zur Überwindung dieser Vorstellungen ahnen lässt. Allerdings kann Laymann noch weniger als Spee und nur in einem eingeschränkten Sinn als »Kritiker der Hexenverfolgungen« (184) oder gar als ihr Gegner (180) bezeichnet werden, insofern er, die Möglichkeit von Hexerei und ihre Strafbarkeit nach wie vor unbezweifelt voraussetzend, nur die Prozesse modifiziert sehen wollte, um die Verurteilung von Unschuldigen zu verhindern. Das zeigt auch das letzte Zitat, das F. aus Laymanns Moraltheologie zu diesem Thema anführt und das mit den Worten »Verhaftung und Folter« (186) endet, wobei klar ist, dass Laymann diese Maßnahmen gegen Hexen eben nicht ausgeschlossen, sondern nur hinreichend be­gründet sehen will.
Der fünfte und umfangreichste Teil der Arbeit betrachtet Laymanns Rolle in den politisch-konfessionellen Auseinandersetzungen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Diese kam ihm als Kanonist an der Universität Dillingen zu, als ihm sein Fürstbischof 1628 den Auftrag erteilte, ein Gutachten zu den Restitutionsbestrebungen zu verfassen, das auf der Grundlage der katholischen Interpretation des Augsburger Religionsfriedens von 1555 die Rückgewinnung kirchlicher Güter nach der Rückeroberung protestantischer Gebiete rechtfertigen sollte. Diese Pacis Compositio, das »Dillinger Buch«, hatte eine große politische Breitenwirkung und festigte das katholische Verständnis des Religionsfriedens gegen das protestantische. Obwohl Laymann den Religionsfrieden wie die Protestanten als Vertrag und nicht wie die meisten Katholiken als kaiserliches Gesetz ansah, wehrte er eine vermeintliche protestantische Neu- oder Umdeutung des Vertrags ab und verneinte seine Gültigkeit für die Diözese Augsburg, so dass deren Bischof eigentlich keine Restitution vornehmen müsse, da die Kirchengüter nie rechtlich enteignet worden waren. Laymann war in einem späteren Gutachten der Meinung, der Augsburger Religionsfriede sei ein Grund für den Dreißigjährigen Krieg, so dass künftig mit den Protestanten kein weiterer Friede mehr geschlossen werden sollte. Die für die protestantische Partei kämpfenden Schweden machten Laymanns Pacis Compositio mitverantwortlich für die Verschärfung des Konflikts und die Verlängerung des Krieges (284). Dieser Einschätzung schließt sich F. an (307). Im innerkatholischen Klosterstreit um die Restitution von Klöstern an die alten oder die neuen Orden oder an die Bischöfe oder den Papst nahm Laymann in der Schrift Justa Defensio von 1631 Stellung für die letztere Auffassung: Papst und Kaiser bzw. die Bischöfe hätten die Verfügungsgewalt über kirchliche Güter. Konkret bedeutete dies, dass die Klöster nicht mehr den alten Orden zurückgegeben, sondern z. B. den Jesuiten für ihre Kollegien zur Verfügung gestellt werden sollten.
F. stellt mit Paul Laymann einen Jesuiten vor, der als Moraltheologe und Kanonist wesentliche kirchliche und politische Entwicklungen in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges begleitet und beeinflusst hat. Laymann verfolgte auf allen Feldern eine konservativ-dynamische Methode des Systemerhalts durch Anpassung und Modifikation, »den Weg einer Akzentverschiebung im System« (317, Anm. 7). Auch damit erscheint er für F. als ein »homo jesuiticus« (323).