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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

774–776

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Duncan, Patricia A.

Titel/Untertitel:

Novel Hermeneutics in the Greek Pseudo-Clementine Romance.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XIV, 204 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 395. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-155265-6.

Rezensent:

Jürgen Wehnert

Bei dieser Studie handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer von Hans-Josef Klauck und Margaret M. Mitchell betreuten Dissertation, die 2014 von der University of Chicago angenommen wurde.
Die vergleichsweise schmale Arbeit von Patricia A. Duncan will einen originellen neuen Zugang zum ersten christlichen Roman, den sogenannten Pseudoklementinen, bahnen. D. lässt sich nicht auf die viel diskutierten literarkritischen und religionsgeschichtlichen Fragen ein, die die beiden Versionen dieses antiken Erzählwerkes (die griechischen »Homilien« und die nur lateinisch, zum Teil auch syrisch überlieferten »Rekognitionen«, beide um 300 n. Chr.) aufwerfen, sondern unternimmt eine synchrone Textbetrachtung der »Homilien«, die sie als selbständiges »literary and rhetorical whole« auffasst (1).
In der Rolle der »Leserin« durchmisst D. die scheinbar vertraute Welt der Jesuszeit, in die der Ich-Erzähler Klemens sein Publikum mit beträchtlichem literarischen Geschick lockt (40–42). Diese Welt erweist sich jedoch als Gegenentwurf zum Bild, wie es die neutes-tamentlichen Schriften, speziell die Evangelien, zeichnen. Anders als jene beansprucht der Autor der »Homilien«, Augenzeuge von Ereignissen in den Jahren um 30 n. Chr. zu sein und folglich über Jesus, eine Inkarnation des seit Adam regelmäßig auftretenden »wahren Propheten« (66–69 u. ö.), und über seinen Schüler Petrus, dessen verlässlichen Interpreten (30–33), authentische Auskunft geben zu können (8 f.). Im Lichte der von Klemens mitgeteilten jesuanisch-petrinischen Lehre erweist sich die Erzählwelt zudem als doppelbödig und bedrohlich: Die Orte und Wege der geschilderten Reise von Rom bis ins syrische Antiochien gehören, wie Klemens (und mit ihm die »Leserin«) nach und nach erfährt, faktisch zum Regnum des gegenwärtigen satanischen Herrschers der Welt, der in Bälde dem zukünftigen, ewigen Reich des Gottessohnes weichen muss (111–114). So kommt es für jeden Menschen darauf an, sich auf die Seite dieses guten Königs zu schlagen, indem er sich den Ordnungen der von Petrus gelehrten »wahren« Religion unterwirft. Dadurch, so das pragmatische Ziel dieser Lehre und damit auch des klementinischen Romans, wird er von den dämonischen Mächten frei und gewinnt die Hoffnung auf ewiges Leben.
Nach einer instruktiven Einleitung in die Methodologie der Arbeit sowie in die thematischen und narrativen Grundzüge der »Homilien« (1–26) folgen, analog zu deren fünf Hauptteilen, fünf Kapitel, in denen D. die Erzählstrategie und das reichhaltige ideologische Inventar des Romans offenlegt (27–173 mit Resümee 175–177). Da die »Leserin« dem Erzählfaden folgt, werden die inhaltlichen Aspekte nicht in eine systematische Ordnung gebracht, sondern im Sinne des vom antiken Autor entworfenen Erkenntnisweges sukzessive vorgestellt. Das ist für eine wissenschaftliche Studie ungewöhnlich und bisweilen etwas verwirrend (Hilfe leistet das abschließende Sachregister, 201–204), bringt aber das Anliegen von D. zur Geltung, die »Homilien« (D. bevorzugt den mittelalterlichen Werktitel »Klementinen«, der aber zur Abgrenzung von den »Rekognitionen« wenig geeignet ist; 2–4) als planvoll gestaltetes Werk zu interpretieren.
Mit Vergnügen zu lesen sind D.s Beobachtungen zum Spiel des Autors mit seinem intendiertern Leser in den Einleitungsschriften der »Homilien« (»Epistula Petri« und »Diamartyria«): Nolens volens wird er/sie zum Zeugen eines von Petrus geforderten bizarren Ritus zur Geheimhaltung seiner Predigten. Das Verfahren, den Leser durch Mitwisserschaft zu privilegieren und zu fesseln, be­stimmt das gesamte Erzählwerk, da es sie/ihn sowohl an den öffentlichen Reden des Petrus als auch an dessen esoterischer Un­terweisung seines Schülerkreises teilhaben lässt (7 f.). Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit schenkt D. der Klemensfigur: Sie ist nicht nur Mittler zwischen der Leserin und den von Gott gesandten Kündern der »wahren« jüdisch-christlichen Religion, sondern wird als Konvertit zum unmittelbaren Vorbild für den intendierten Religionswechsel des Lesers. Der »Homilien«-Autor ist kein antiker Dan Brown (wie es D.s rein literarische Analyse nahelegen könnte), sondern ernsthafter Vertreter einer in Syrien beheimaten christlich-jüdischen Sondergruppe, der unter den Gebildeten seiner Zeit, die Klemens repräsentiert, seine exklusive, angeblich seit Adam gelehrte, ewiges Leben verheißende Religion propagieren will.
Die Inhalte dieser rational argumentierenden, ethisch rigoristischen Lehre arbeitet D. präzise heraus (57–92). Mit Recht betont sie, dass Texthermeneutik darin eine entscheidende Rolle spielt: Die heiligen jüdischen Schriften werden erst dann verbindlich, wenn man die »falschen Perikopen« aus ihnen ausgesondert hat (62–64), die Lehre Jesu, in der dessen Tod und Auferstehung keine Rolle spielen (9 f.), erst dann, wenn man sie aus dem Munde seiner wahren Schüler vernimmt (145–155 u. ö.); die Briefe des (dem Petrus feindlichen) Paulus sind hingegen ebenso abzulehnen wie die Philosophie und der astrologische Schicksalsglaube der in Unkenntnis lebenden, dämonisch kontaminierten Heiden (16–18.27–29 u. ö.).
In ihrer Darstellung der religiösen Welt der Pseudoklementinen betritt D. freilich kaum Neuland – kein Wunder, da sie inzwischen einer der am gründlichsten erforschten frühchristlichen Texte sind. Etwas aufgesetzt wirkt daher D.s abschließender Wunsch, »the Klementia may yet find its rightful place in the history of an­cient Greek narrative fiction« (177). Diesen Platz haben sie längst gefunden, wie D. selbst zeigt (3 f.).
Trotz der Beschränkungen, die sie sich auferlegt hat, legt D. ein informatives, gut geschriebenes Werk vor, das speziell Novizen als veritabler Wegweiser in die faszinierende Welt des pseudoklementinischen Romans dienen kann.