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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

49–52

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Matthews, Victor H., Levinson, Bernard M., and Tikva Frymer-Kensky [Eds.]:

Titel/Untertitel:

Gender and Law in the Hebrew Bible and the Ancient Near East.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 251 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 262. Lw. £ 35.-. ISBN 1-85075-886-7.

Rezensent:

Eckart Otto

Im November 1995 tagte die Biblical Law Group der Society of Biblical Literature in Philadelphia zur Feier der vor einhundert Jahren erschienenen "The Woman’s Bible" (2 Bde, 1895-98), die von Elizabeth Cady Stanton herausgegeben wurde. Die Referate dieser Tagung unter dem Titel "Gender and Law in the Hebrew Bible and the Ancient Near East" wurden 1998 in dem hier anzuzeigenden Band der Reihe JSOT.S publiziert. In ein Exemplar des zweiten Bandes der Woman’s Bible schrieb Elizabeth Cady Stanton handschriftlich folgende Widmung:

"A Merry Christmas and Happy New Year, compliments of Elizabeth

Cady Stanton. Genesis Chap I says Man und Woman were simulta-

neous creation.

Chap II says Woman was an afterthought,

Which is true?"

Diese Spannung durchzieht auch die zehn Beiträge dieses Sammelbandes, die weit über die unmittelbaren Rechtsüberlieferungen der Bibel und das Alten Orients hinausgehend auch die Psalmen und die Propheten darauf abklopfen, was sie über die rechtliche Stellung der Frau in der Gesellschaft Israels und Judas aussagen.

Marc Brettler, Associate Professor of Hebrew Bible an der Brandeis University, zeichnet in seinem Beitrag "Women and Psalms: Toward an Understanding of the Role of Women’s Prayer in the Israelite Cult" ein ambivalentes Bild von der Stellung der Frau im Kult. In Dtn 31 seien die Frauen Teil der Kultgemeinde und in der Priesterschrift können sie Nasiräer sein, so dass die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien bedeutsamer als die zwischen Mann und Frau sei. Daneben stehen als frauenfeindlich zu bezeichnende Psalmen wie Ps 128, in dem die fruchtbare Frau Lohn für den gottesfürchtigen Mann sei. Geschlechtsinklusive Psalmen wie Ps 65 seien eher die Ausnahmen. Frauen hätten aber ihre eigene Kultlyrik gehabt, wie u. a. ein Lied aus der Cairo Geniza zeigt, und hätten die offizielle Kultlyrik in ihrem Sinne als zweiten "Sitz im Leben" subversiv verwendet.

Carol J. Dempsey, Assistant Professor of Biblical Studies and Theology an der University of Portland, beschäftigt sich in ihrem Beitrag "The ,Whore’ of Ezekiel 16: The Impact and Ramifications of Gender-Specific Metaphors in Light of Biblical Law and Divine Judgment" mit dem ezechielischen Symbol Jerusalems als Hure. Sie zeigt auf, dass in Ez 16 noch über die gesetzliche Sanktion von Ehebruch, Bilderdienst und Kinderopfer mit dem Tode hinausgegangen wird, wenn zusätzlich die entblößte Frau von den Liebhabern erniedrigt werden soll, diese aber dem Gesetz zuwider straffrei bleiben. Die Symbolisierung des Gottesverhältnisses durch die patriarchalische Geschlechterbeziehung sei theologischer Kritik zu unterziehen.

Tikva Frymer-Kensky, Professor of Hebrew Bible and Jewish Theology an der Divinity School der University of Chicago, fragt in ihrem Beitrag "Virginity in the Bible" nach der Rechtsbedeutung der Unberührtheit der Frau und auf diesem Hintergrund einer besonders im Deuteronomium greifbaren "Scham-Kultur". Die Ehre der Männer basiere auf der Keuschheit der Frauen. Sowohl im Falle des verführten Mädchens (Ex 22,15 f.; Dtn 22,28 f.) wie der der Unkeuschheit geschmähten Braut (Dtn 22,13-21) gehe es um die Wahrung der Ehre eines Mannes. In Dtn 22,13-21 habe der Vater Macht noch über die verheiratete Tochter, da er das Beweisstück vor der Präsentation bei Gericht manipulieren könne.

Victor H. Matthews, Professor of Religious Studies an der Southwest Missouri State University, beschäftigt sich ebenfalls in seinem Beitrag "Honor and Shame in Gender-Related Legal Situations in the Hebrew Bible" mit dem Fall der geschmähten Braut auf dem Hintergrund der "Scham-Kultur". Die Hinrichtung der Frau auf den Stufen des Vaterhauses solle ihre Familie beschämen und die Ehre der geschädigten Familie des Mannes wiederherstellen, um die es auch in dem Eifersuchtsritual in Num 5,11-21 gehe.

Geoffrey P. Miller, Professor of Law an der New York University, interpretiert in dem Beitrag "A Riposte Form in the Song of Deborah" die Rolle Deboras als Teil eines "riposte". Der Begriff stammt aus der Fechtersprache und bezeichnet den Gegenhieb. In diesem Zusammenhang meint der Autor eine Form verbaler Auseinandersetzung, in der eine Beleidigung teilweise in ihrem sachlichen Gehalt akzeptiert wird, aber gerade als etwas, worauf man stolz sein könne. Werde den Israeliten also vorgeworfen, sie seien Hinterwäldler ohne Kultur, die obsolete Praktiken der Gastfreundschaft übten und deren Männer von starken Frauen dominiert würden, so streiche die Deboraüberlieferung diese Aspekte gerade als positiv heraus.

Der Rez., von dem die Herausgeberin Tikva Frymer-Kensky in der Einführung in das Buch sagt, "Otto relies on two traditional European disciplines: Rechtsgeschichte (The classic history of law approach) and redaction criticism of the Bible" will in seinem Beitrag: "False Weights in the Scales of Biblical Justice? Different Views of Women from Patriarchal Hierarchy to Religious Equality in the Book of Deuteronomy", ausgehend von den in der Forschung diametral sich widersprechenden Thesen zur Rolle der Frau, die u. a. von C. Pressler1 negativ und G. Braulik2 dagegen positiv gewichtet wird, die Bedeutung der sauberen diachronen Differenzierung innerhalb des deuteronomisch-deuteronomistischen Gesetzeskorpus3 herausarbeiten, ausgehend von der dem Deuteronomiker vorgegebenen Sammlung des Familienrechts bis hin zur postdtr Interpretation von Dtn 31,4 wobei jede diachrone Interpretation sich der Kontrolle rechtshistorischer Plausibilität zu stellen hat. Das Deuteronomium arbeite sich im Ergebnis vor zum Gedanken der kultischen Gleichberechtigung der Frau, der noch die sozialen Schutzrechte hinter sich lasse.

Caroline Pressler, Associate Professor of the Old Testament Theology am United Theological Seminary of the Twin Cities, interpretiert in ihrem Beitrag "Wives and Daughters, Bond and Free: Views of Women in the Slave Laws of Exodus 21,2-11" das Sklavinnengesetz in Ex 21,7-11 auf den besonderen Fall, dass eine unverheiratete Frau in ein Konkubinat als Sklavin verkauft wurde, während der übliche Fall des Verkaufs als Arbeitskraft durch das Gesetz in Ex 21,2-6, das die Frauen als "hebräische Sklaven" einschließe, behandelt werde. Das Deuteronomium habe den Fall des Konkubinats nicht rezipiert, da der Deuteronomiker ihn nicht mit dem Sklavenrecht in Verbindung bringen wollte.5

Martha Roth, Professor of Assyriology an der University of Chicago, analysiert in ihrem Beitrag "Gender and Law: A Case Study of Ancient Mesopotamia" die zu Lehrzwecken verfasste Prozessurkunde des bekannten "Nippur Homicide Trial", die den Gattenmord einer Ehefrau behandelnd den Einsatz von Klischeevorstellungen der "schwachen Frau" durch die Verteidiger beschreibt, die von den Richtern aber nicht geteilt wird. Sie bringen die Ungleichgewichtigkeit der Geschlechter gerade dadurch zum Ausdruck, dass sie die Frau besonders harten Maßstäben unterwerfen: Frauen galten ihnen als ausnehmend gefährlich, nicht aber als schwach.

Harald Washington, Associate Professor of Hebrew Bible an der Saint Paul School of Theology in Kansas City, sieht in seinem Beitrag "’Lest He Die in the Battle and Another Man Take Her’: Violence and the Construction of Gender in the Laws of Deuteronomy 20-22" das Schema der "schwachen Frau" in militärischem Horizont verortet: Der Kampf sei Männersache, Frauen würden im Kriege wie eroberte Städte als Opfer vergewaltigt - ein Schema, das sich auch in dem durch Kriegserzählungen gerahmten Deuteronomium in Rechtszusammenhängen niederschlage. Bei Lektüre des Krieggesetzes Dtn 20 identifiziere sich die Leserin mit der eroberten Stadt. Gegen Thesen, dass das Deuteronomium gerade Gewalt auch gegen Frauen einschränken wolle, setzt der Autor die Meinung, dass kein Text, der zur Zerstörung aufrufe, human sei und alle Gewalteinschränkung im Deuteronomium nur dem Ziel der besseren Ausbeutung der Unterlegenen und Schwachen diene. Die Tatsache, dass die hebräische Sprache keinen Begriff für die Vergewaltigung habe, zeige, dass sie als Normalfall in Israel galt. Die dtn Gesetze haben also nur dazu beigetragen, die "Institution" von Krieg und Vergewaltigung zu stabilisieren.6 Der Beitrag lässt fragen, ob nicht die selbstkritisch gewendete Ideologiekritik notwendiger Bestandteil einer kritischen Bibelhermeneutik sein sollte.

Raymond Westbrook, Professor of Ancient Law an der Johns Hopkins University, behandelt noch einmal in seinem Beitrag "The Female Slave" das keilschriftliche und biblische Sklavinnenrecht und betont den zwiespältigen Rechtsstatus der Sklavin, die dem Familienrecht wie dem Sachenrecht unterlagen. Er erhebt den Status von Sklavinnen im Keilschriftrecht durch die Analyse einschlägiger Rechtssätze der Rechtskorpora, die in den Vertragsklauseln modifiziert werden, und grenzt die altorientalischen Rechtsvorstellungen von denen des römischen Rechts ab. Einen in besonderem Maße zwiespältigen Rechtsstatus habe die zu Zwecken der Nachkommenschaft erworbene Sklavin, die Ehefrau eines Mannes und Sklave seiner ersten Ehefrau sein könne. So hat gem. Ex 21,7-11 eine für das Konkubinat erworbene Sklavin einen besonderen Status durch ihre Bindung an den Mann.

Die Beiträge zeigen in ihrer Vielfalt die Schwierigkeiten, die sich auftun, wenn man aus den antiken Überlieferungen, insbesondere den Rechtsüberlieferungen, auf den Status der Frauen in antiker Gesellschaft zurückschließen will, da die Texte nur unzureichend zu erkennen geben, ob sie bestehende Verhältnisse abbilden oder an ihnen Kritik übend Alternative sein wollen. Hinzu kommen bei der Analyse der biblischen Überlieferungen noch spezifische hermeneutische Probleme. Ist bei den Beiträgen, die sich mit dem Keilschriftrecht beschäftigen, vorausgesetzt, dass historische Sachverhalte erhoben werden sollen, so wollen einige der bibelexegetischen Beiträge mittels der historischen Kritik eine falsche Wirkungsgeschichte dieser Texte in heutiger Zeit anprangern, was zu einer hermeneutisch bedingten Überlagerung der historischen Intention der Texte führt. Hier sollten auch in der Analyse der biblischen Rechtsüberlieferungen zukünftig die Ziele deutlicher benannt und differenziert werden. Bei aller notwendigen Kritik sollte die Sympathie für die Bibel so weit erhalten bleiben, dass man sich der Mühe unterzieht, verstehen zu wollen, was die rechtshistorisch zu erhebende und interpretierende Intention biblischer Rechtstexte war. So gibt der Sammelband, der in dieser Breite altorientalisches und biblisches Recht umfassend Neuland betritt, eine Fülle von Einsichten und Anregungen, die die weiteren Diskussionen zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte voranbringen werden.

Fussnoten:

1) The View of Women Found in the Deuteronomic Family Laws, BZAW 216, Berlin/New York 1991.

2) Die Ablehnung der Göttin Aschera in Israel, in: ders., Studien zum Buch Deuteronomium, SBAB 24, Stuttgart 1997, 81-118.

3) S. dazu jetzt E. Otto, Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsreform in Juda und Assyrien, BZAW 284, 1999, 203-378.

4) S. zum postdtr Kapitel Dtn 31 jetzt auch E. Otto, Die post-dtr Levitisierung des Deuteronomiums. Zu einem Buch von Ulrich Dahmen, Zeitschrift für Altorient. u. Bibl. Rechtsgesch. 5, 1999.

5) Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass der Konkubinatsfall für das Dtn bereits als ausreichend geregelt galt, während eine Lücke in den Freilassungsgesetzen Ex 21,2-6 gesehen wurde, zu deren Füllung die im Bundesbuch implizite Nennung der Sklavin im Deuteronomium explizit gemacht wurde (Dtn 15,12). Synchron interpretiert ergänzt Ex 21,7-11 das dtn Sklavengesetz in Dtn 15,12-18; s. dazu E. Otto, Biblische Rechtsgeschichte als Fortschreibungsgeschichte, BiOr 56, 1999, 5-14; ders., Die Rechtshermeneutik der Hebräischen Bibel. Die innerbiblischen Ursprünge halachischer Bibelauslegung, Zeitr. f. Altorient. u. Bibl. Rechtsges. 5, 1999.

6) Zur Interpretation der dtr Kriegsgesetze im Dtn vgl. zuletzt G. Braulik, Die Völkervernichtung und die Rückkehr Israels ins Verheißungsland. Hermeneutische Bemerkungen zum Buch Deuteronomium, in: J. Lust/ M. Vervenne [Hrsg.], FS C. H. W. Brekelmans, BEThL 133, Leuven 1997, 3-38; E. Otto, Krieg und Frieden in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient. Aspekte für eine Friedensordnung in der Moderne, Beitr. zur Friedensethik, Stuttgart 1999 (im Druck).