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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

742–744

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Genung, Matthew C.

Titel/Untertitel:

The Composition of Genesis 37. Inco-herence and Meaning in the Exposition of the Joseph Story.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XXI, 257 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 95. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-155150-5.

Rezensent:

Jakob Wöhrle

Die Josefgeschichte hat die literaturgeschichtliche Erforschung des Pentateuch stets vor besondere Herausforderungen gestellt. Dies hat insbesondere darin seinen Grund, dass die Josefgeschichte zwar in der vorliegenden Gestalt des Pentateuch als Überleitung zwischen der Vätergeschichte und der folgenden Exoduserzählung dient, sich aber inhaltlich wie formal doch sehr deutlich von ihrem vorangehenden und nachfolgenden Kontext unterscheidet. Anders als die vorangehenden Abraham- oder Jakoberzählungen besteht die Josefgeschichte nicht aus mehr oder weniger eigenständigen Einzelerzählungen; es handelt sich vielmehr um eine zusammenhängende Großerzählung. Von der nachfolgenden Exoduserzählung unterscheidet sich die Josefgeschichte etwa durch ihr recht positives Ägyptenbild. Auf entstehungsgeschichtlicher Ebene ist schließlich bedeutsam, dass die Josefgeschichte weit weniger Du­bletten aufweist als die Väter- oder auch die Exoduserzählungen, was etwa die Vertreter der klassischen Quellentheorie schon im-mer in gewisse Erklärungsnöte gebracht hat. Kurzum: Die Josef-geschichte ist eine Größe für sich, was nach einer entstehungsgeschichtlichen Erklärung verlangt.
Einen neuen Ansatz zur Entstehung der Josefgeschichte im Kontext des Pentateuch bietet die Arbeit von Matthew C. Genung. Die am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom bei Jean Louis Ska entstandene Dissertation konzentriert sich dabei auf die Einleitung der Josefgeschichte in Gen 37 mit dem dort beschriebenen Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern, der schließlich zum Verkauf des Josef nach Ägypten führt.
Nach einem umfassenden Forschungsüberblick (1–35), geordnet nach den für die Entstehung der Josefgeschichte wie überhaupt für die Entstehung des Pentateuch vertretenen Modellen, wird im eigentlichen Hauptteil der Arbeit (37–196) eine umfassende entstehungsgeschichtliche Analyse von Gen 37 geboten. Dabei wendet sich G. zunächst dem besonders umstrittenen Abschnitt Gen 37,18–30 zu, der stets dadurch aufgefallen ist, dass hier nebeneinander und etwas unausgeglichen sowohl Ruben als auch Juda für Josef eintreten und dass hier, wiederum eher unausgeglichen, sowohl eine Gruppe von Midianitern als auch eine Gruppe von Ismaelitern genannt wird, die Josef nach Ägypten verkaufen. Unter den bislang zu dieser Passage vorgestellten Modellen wendet G. gegen die Vertreter der Quellentheorie, insbesondere gegen den neuen Entwurf von Joel Baden, ein, dass sich aus dem vorliegenden Text nicht wirklich zwei vollständige Erzählfäden rekonstruieren lassen. Gegen das recht zurückhaltende redaktionsgeschichtliche Modell von Erhard Blum, der nur die beiden Erwähnungen der Midianiter in Gen 37,28a α.36 als sekundär ansieht, spricht nach G., dass damit nicht alle Probleme im Text gelöst werden und dass gerade zwischen 37,28 und 37,36 ein Widerspruch besteht, da nach 37,28 die Midianiter Josef an die Ismaeliter verkaufen, wohingegen es nach 37,36 die Midianiter selbst sind, die Josef nach Ägypten bringen.
G. selbst stellt nun – in gewisser Nähe zum Ansatz von Peter Weimar – ein Modell zur Entstehung von Gen 37,18–30 vor, nach dem eine Grundschicht, die an Ruben und den Midianitern orientiert ist, um die an Juda und den Ismaelitern orientierten Verse 37,25aβb.26–27.28aβ ergänzt wurde. Ziel dieser Bearbeitung ist nach G., ein positiveres Bild von Juda in der Josefgeschichte zu implementieren.
Mit ebendieser Bearbeitung bringt G. nun weitere redaktionelle Prozesse in Gen 37 in Verbindung. So werden am Beginn des Kapitels, in den Versen 37,1–11, die in den Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern einführen, gleich mehrere Gründe für ebendiesen Konflikt genannt. Nach G. wurde dabei sowohl die in 37,3* belegte Erwähnung des Gewands, das Jakob seinem Sohn Josef schenkt, als auch der zweite Traum in 37,8b.9–10 erst sekundär in die Josefgeschichte eingebracht, und zwar von derselben auf Juda orientierten Redaktion wie die zuvor genannten Bearbeitungen. Denn mit den hier am Beginn der Josefgeschichte ergänzten Passagen – etwa mit der im Rahmen des zweiten Traums in 37,10 belegten Rüge des Jakob an seinem Sohn Josef – erscheint Josef nun in einem etwas schlechteren Licht.
Am Beginn von Gen 37 weist G. schließlich Teile aus 37,1–2, die gemeinhin den priesterlichen Passagen des Pentateuch zugewiesen werden, einer erst spätpriesterlichen Bearbeitung zu. Im Rahmen dieser Bearbeitung, und somit eben erst nachpriesterlich, wurde die Josefgeschichte seines Erachtens in den werdenden Pentateuch integriert.
Am Ende seiner Arbeit (197–216) kommt G. somit zu dem Ergebnis, dass in Gen 37 eine ältere Grundschicht zunächst einer Juda-orientierten Bearbeitung unterzogen wurde, die die Textbereiche Gen 37,3*.8b.9–10.23*.25aβb.26–27.28aβ.32* umfasst. Die bis zu diesem Zeitpunkt noch für sich überlieferte Josefgeschichte wurde dann im Rahmen einer nachpriesterlichen Bearbeitung, die sich in Gen 37,1–2* zeigt, in den Pentateuch integriert.
Dabei geht G. davon aus, dass schon die älteste Fassung der Jo­sefgeschichte erst recht spät, nämlich in nachexilischer Zeit, und zwar im Norden, in Samaria, entstanden ist. Dies zeigt sich seines Erachtens etwa daran, dass die Josefgeschichte selbst in späten Texten des Alten Testaments, die einen Rückblick auf die Vor- und Frühgeschichte des Volkes bieten, etwa in Neh 9, nicht erwähnt wird. Die Josefgeschichte kann dabei aber nicht, wie in neuerer Zeit häufig angenommen, als rein Diaspora-orientierte Erzählung an­gesehen werden, die ein positives Bild vom Leben in der Diaspora zeichnen will. Denn in der Josefgeschichte wird doch stets nur ein temporärer Aufenthalt der Jakobfamilie in Ägypten vorausgesetzt. Nach G. will die Josefgeschichte vielmehr zeigen, dass die Angehörigen der Diaspora noch Teil des Volkes Israel sind und der Unterstützung der im Lande Verbliebenen wert sind.
Die Studie besticht durch die gründliche, methodisch fundierte Behandlung von Gen 37, bei der zielführend zwischen den verschiedenen, in der gegenwärtigen Forschung vertretenen Ansätzen abgewogen und eine überaus interessante eigene These zur Ent-stehung der Josefgeschichte vorgestellt wird. In ihrer stark forschungsgeschichtlichen Orientierung zeigt die Studie sehr schön, wie sehr sich die Vertreter der verschiedenen Ansätze zur Entstehung der Josefgeschichte von ihren jeweiligen Großmodellen zur Entstehung des Pentateuch leiten lassen und bisweilen mehr von diesen Modellen als vom Text der Josefgeschichte her die Entstehung dieser Erzählung rekonstruieren. Der von G. geradezu mit dem Mikroskop vorgenommene isolierte Blick auf Gen 37 führt aus solchen modellbasierten Vorurteilen heraus und kommt zu durchaus nachvollziehbaren und bedenkenswerten Ergebnissen.
Fraglich ist allerdings, ob sich sämtliche in der Studie vorgestellten Ergebnisse halten lassen. So sind die von G. vorgestellten und tiefgreifender als in der bisherigen Forschung begründeten Überlegungen zu einer Juda-Redaktion in Gen 37,18–30 durchaus weiterführend. Weniger überzeugend erscheinen dagegen seine Überlegungen zur Entstehung von Gen 37,1–11. Denn die schlichte Beobachtung, dass hier mehrere Anlässe für den Neid der Brüder genannt werden, muss doch nicht zwingend Anlass für literarkritische Operationen sein. Auch die von G. vertretene Spätdatierung leuchtet nicht ohne Weiteres ein. Denn wie schon bei anderen Spätdatierern bleibt doch auch bei ihm die Frage offen, warum in solch später Zeit, lange nach dem Untergang des Nordreichs, in der Josefgeschichte die besondere Bedeutung Josefs unter den Jakobsöhnen herausgestellt wird. Denn genau dies, die besondere Stellung Josefs unter seinen Brüdern, und nicht das positive oder negative Ge­schick von Angehörigen des Volkes in der Fremde, ist doch von Gen 37 her und durch die gesamte Josefgeschichte hindurch das zentrale Thema dieser Erzählung. Und genau dies ergibt doch eigentlich nur zur Zeit des noch bestehenden Nordreichs, als dem Stamm Josef eine zentrale Bedeutung unter den Nordreichstämmen zu­kam, guten Sinn.
Die von G. vorgelegte Studie führt somit nicht nur über die bisherige Forschung zur Josefgeschichte hinaus. Sie fordert auch zu einer weiteren Diskussion über die Entstehung und inhaltliche Anlage dieser Erzählung heraus.