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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

738–740

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Veltri, Giuseppe

Titel/Untertitel:

A Mirror of Rabbinic Hermeneutics. Studies in Religion, Magic, and Language Theory in Ancient Judaism.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2015. XII, 305 S. = Studia Judaica, 82. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-036837-6.

Rezensent:

Alexander Dubrau

Das Buch vereint Aufsätze von Giuseppe Veltri zum antiken und mittelalterlichen Judentum. V., einer der bekanntesten Judaisten im deutschsprachigen Raum und seit einigen Jahren Institutsleiter und Direktor des Hamburger Maimonides Centre for Advanced Studies, vereint für den vorliegenden Band in englischer Sprache zuweilen bereits auf Deutsch, Englisch oder Italienisch veröffentlichte Beiträge.
In vier Kapiteln kommen verschiedene Themen und Phänomene des Judentums zur Sprache: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis, halakhische Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse, die rabbinische Rezeption von römischer Kultur und Religion, Übersetzungs- und Editionstheorien, Septuagintaforschung sowie Re-flexionen zum Verständnis von Wissenschaft und Magie im Judentum. Der vorliegende Band bietet aus der Perspektive einer synchronen und diachronen Darstellung ein Konglomerat philosophischer, religionswissenschaftlicher und philologischer Analysen und Beschreibungen jüdischer Geistes- und Literaturgeschichte aus komparativer Perspektive ohne enge thematische Themenführung. Im Umgang mit dem Band fällt lediglich das Fehlen eines Sachregisters negativ auf.
Im ersten Teil, Officia Rabbinica, widmet sich V. in Impertinent Students vs. Sagacious Rabbis: The Art of Learning (15–24, ursprünglich auf Deutsch veröffentlicht), dem Lehrer-Schüler-Verhältnis im rabbinischen Judentum, genauer, dem pädagogischen Impetus der talmudischen Lern- und Lebenswelt. V. zeigt, wie rabbinische Quellen einen aufmüpfigen, kühnen, gleichsam frechen Charakterzug der Schüler um des Lernens willen kreieren. In der folgenden, ebenfalls zuerst auf Deutsch veröffentlichten Abhandlung Ezra as »Reformer« in Classical Jewish Literature (25–39) stellt V. im Kontext der jüdischen, christlichen und muslimischen Rezeptionsgeschichte Esras Wirken im Prozess von Kanonisierung und Rechtsneubildung heraus. »Reform« zeichnet sich durch den Rekurs auf die Texte aus, »which form the foundation of political change or present changes as prophesided« (28). Esra, den die Rabbinen mit Mose vergleichen, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Im umfassenden zweiten Teil (Reflecting Roman Religion) widmet sich V. in Roman Religion at the Periphery of the Empire (43–96) auf Grundlage von zwei bereits veröffentlichten Beiträgen ethischen und halakhischen Aspekten des Einflusses römischer Kultur und Religion auf das palästinische Judentum. V. befasst sich dabei mit Sachverhalten wie volkstümlicher Brauch, Wissenschaft, Me­dizin, Astrologie, römischer Kalender und Feiertage, Theater oder römische Thermenkultur im dialektisch-wechselseitigen Zusammenhang zwischen jüdischer und nichtjüdischer Kultur. Dabei arbeitet V. anhand zahlreicher Beispiele heraus, dass es den Rabbinen bei der Abwehrhaltung der römischen Kultur gegenüber primär um das identitätsstiftende Moment der Bewahrung eigener, jüdischer kultureller Theoreme und pragmatischer Integration neuer kultureller Einflüsse ging.
Teil drei (Performing the Craft of Science & Magic) besteht aus sieben bereits publizierten Einzeluntersuchungen zum Thema Magie und Wissenschaft. Zwei Kapitel reflektieren den Umgang mit »Magie« in der modernen Wissenschaftskultur: On Magic: Past and Present Research (115–128) diskutiert die Auseinandersetzung mit Magie im Judentum seit dem 19. Jh.; Evidence and Plausibility: on Magic and Ariel Toaff’s Pasque di Sangue (203–214) die Plausibilität magischer Praktiken im Urteil zeitgenössischer Forschung. In »Ways of the Amorit« and Hellenism in Jewish Palestine (129–157) beschäftigt sich V. mit der Entwicklung (die sich ohne Plinius nicht erklären lässt) und den hermeneutischen Einsichten der in der rabbinischen Literatur unter der halakhischen Kategorie darkhi ha-emori (Amoriterbräuche) gelisteten verbotenen Handlungen (eine umfassende Diskussion dazu liegt von V. bereits in seiner Berliner Habilitationsschrift Magie und Halakha vor). Drei Kapitel beleuchten das Bemühen der Rabbinen um Grenzziehung zwischen tief verwurzelter und deshalb auch tolerierter Volksfrömmigkeit, kontrolliertem Wissenstransfer und verbotenem Götzendienst. In The Science(s) and »Greek Wisdom« (99–114) zeichnet V. den ambivalenten – da zuweilen mit dem Wortlaut der Schrift konkurrierenden – Prozess der Annahme von Medizin und Astrologie im palästinischen Judentum im Rahmen eines empirischen Wissenschaftsverständnisses nach. Der Figur des Magiers im antiken und mittelalterlichen Judentum widmet sich das Kapitel The Magician/Ma­gush in Rabbinic Judaism (159–172); »Watermarks« in the MS Munich, Hebr. 95 (173–183) thematisiert die Verwendung von Wasser-Segulloth (zielgerichtete Anweisungen für den Magier) im für die Forschung wichtigsten Manuskript des Babylonischen Talmud Mitte des 14. Jh.s. Über mögliche Beziehungen zwischen den aus der rö­mischen Mythologie bekannten drei Parzen und der Figur der Lilith handelt The Meal of Spirits, the Three Parcae and Lilith (185–202).
Der abschließende vierte Teil (Reflecting on Languages and Texts) diskutiert auf Basis von vier bereits publizierten Beiträgen in fünf Kapiteln das rabbinische Selbstverständnis von Sprache, Text, Geschichte und Gegenwart. In Reflecting on Languages and Texts (217–231) stehen rabbinische Aussagen zur Sprach- und Textüberlieferung im Zentrum; On Editing Rabbinic Texts (233–246) postuliert auf Grundlage einer Diskussion um »Ur-Text«, Textfluktua-tion und Editionsmöglichkeiten rabbinischer Quellen die editions-wissenschaftliche Praxis im judaistischen Curriculum; On Some Greek Loanwords in Aqiola’s Translation of the Bible (247–252) analysiert Stellungnahmen in der talmudischen Literatur zu griechischen Lehnwörtern in Aquilas Übersetzung ins Griechische; The Septuagint in Disgrace (253–266) thematisiert die im Laufe des Mittelalters wachsende Distanz der Rabbinen von Aquilas Übersetzungswerk.
Als Resümee der Studien befasst sich In Lieu of a Conclusion: Pleasure and Desire of Learning (267–280), ursprünglich auf Italienisch publiziert, mit hermeneutischen Erklärungsmodellen zum Hohelied und textuellen Verbindungen von Eros, Halakha und Jenseitsvorstellungen.
Der Band beinhaltet zudem eine prägnante Einführung in die Thematik der jeweiligen Kapitel mit Verweisen auf die Erstveröffentlichungen (1–10), eine Teilbibliographie (281–293) und ein Stellenregister zur Primärliteratur (295–305). Die 15 Einzeluntersuchungen des Bandes schließen meist mit einer Zusammenfassung. Die Leserin/der Leser wird das Buch naturgemäß je nach Interessenlage zunächst zur Lektüre eines spezifischen Abschnitts zur Hand nehmen. Der klare und engagierte Stil V.s, die zahlreichen Verweise auf jüdisches und nichtjüdisches Quellenmaterial, die Ge­genwartsbezüge und die Reflexionen zum Forschungsgegenstand der Judaistik laden zur Lektüre des Sammelbandes ein. Die überaus lesenswerten Studien überzeugen durch stringente Argumenta-tion, den beständigen Blick auf mögliche Interdependenzen mit den Umweltkulturen des Judentums sowie durch ihre reflektierten Detailuntersuchungen religionswissenschaftlicher Phänomene.