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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

696–697

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Yangwen, Zheng [Ed.]

Titel/Untertitel:

Sinicizing Christianity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XIII, 376 S. = Studies in Christian Mission, 49. Geb. EUR 127,00. ISBN 978-90-04-33037-5.

Rezensent:

Gotthard Oblau

Meistens lesen sich Konferenzbände trocken und langweilig. Dieser Band ist eine wohltuende Ausnahme. Was Yangwen Zheng, Professorin für Geschichte an der Universität von Manchester, im Nachgang zu einer Konferenz über »Chinese Glocalisation of Christianity in China« im Mai 2014 an Beiträgen ausgesucht und mit diesem Buch präsentiert hat, ist eine höchst informative und anschauliche, ja unterhaltsame Lektüre.
Anschaulich sind die Beiträge, weil sie auf Fallstudien beruhen. Hohen Informationswert haben sie, weil sie die Sinisierung des Christentums in China überwiegend daraufhin befragen, wie sie von den Chinesen selbst betrieben worden ist. Dabei spannt die Sammlung einen geschichtlichen Bogen über die letzten drei Jahrhunderte.
Schon im 18. Jh. entstand in der westlich-katholischen China-Mission aufgrund politischer Unterdrückung eine personelle Vakanz, die dazu führte, dass für etwa ein Jahrzehnt der einheimische, chinesische Klerus in der Leitung der Kirche auf sich allein gestellt war. Der US-amerikanische Historiker und Asienspezialist Robert Entenmann geht der Frage nach, was diese einzigartige Si­-tuation für die katholische Ehepraxis in der Provinz Sichuan be­deutet hat: ein frühes Fallbeispiel von Sinisierung, dessen Folgen auch für den wissenschaftlichen Laien der Gegenwart spannend und plausibel sind.
Den jüngsten Untersuchungsgegenstand liefert Yuqin Huang, Soziologin in Shanghai, die die Rolle der vielen jungen chinesischen Christen untersucht, die nach Studium und Forschungsaufenthalten an den Universitäten des Westens nach China zurückkehren und dort ihre ganz eigene Form christlich-religiöser Praxis etablieren und damit das Erscheinungsbild des Christentums in China nachhaltig beeinflussen.
Zwischen diesen beiden zeitlichen Polen wird der Leserschaft ein bunter Bilderbogen aufgespannt. Wir erfahren, wie der konservative Theologe Jia Yuming in den 1920er Jahren neokonfuzianische und christliche Werte zu harmonisieren suchte, um sie ge­meinsam in Stellung zu bringen gegen die seiner Ansicht nach zersetzenden Werte eines westlich orientierten Liberalismus (ein Beitrag von Wai Luen Kwok, Professor für Christliche Theologie in Hongkong). Mehrere chinesische Absolventen des Union Theological Seminary (New York) dagegen tragen genau dieses liberale Denken sowie auch die Ideen des Social Gospel in die Kirche Chinas ein und machen dadurch das Christentum gesprächsfähig für die Anhänger von Maos Revolution (dargestellt von Christopher Sneller).
Thomas Harvey (Oxford University) stellt die in Chinas fundamentalistischen Kreisen des letzten Jahrhunderts zu Ikonen ge­wordenen Evangelisten Wang Mingdao und John Sung vor. Während diese seitens der staatstreuen Drei-Selbst-Bewegung gern als running dogs des amerikanischen Imperialismus denunziert wurden, porträtiert Harvey sie als Prediger, die aufgrund ihrer aktuell-prophetischen Einlassungen auf die politische Gegenwart Chinas (besonders im Falle von Wang) und das Genre des autobiographischen Narrativs – des christlichen »Zeugnisses« – (im Falle von Sung) das Christentum in China gerade an der Basis und damit in seinen Tiefenschichten nachhaltig sinisiert haben.
Des Weiteren liest man in diesem Sammelband über die theologischen und linguistischen Schwierigkeiten, im Laufe der Missionsgeschichte und ihrer Bibelübersetzungen ein passendes chinesisches Wort für Gott zu finden (Monica Romano, Ethnologin in Rom); über die Bemühungen westlicher Missionare in der Republikzeit, einen sinisierten christlichen Baustil zu entwickeln – mit konfessionell unterschiedlichem Ergebnis (Thomas Coomans, Professor für Architektur in Leuven); über verschiedene Stilrichtungen sinisierter christlicher Musik (Dennis Ng, Theologe und Musikwissenschaftler in Hongkong und Shanghai, über T. C. Chao, den »Vater des chinesischen Chorals«; sowie Chen Ruiwen, Theologin und Musikerin in Hongkong, über das musikalische Leben an der Community Church in Shanghai).
Ein zeitgenössisches und im Blick auf das Thema des Buches besonders zentrales Fallbeispiel ist die Bedeutung der Ahnenhallen als Orte evangelischen Lebens in Süd-Fujian. Chris White, ein auf Ostasien-Studien spezialisierter Historiker und Anthropologe aus den USA, beschreibt, wie evangelische Christen auf dem Land ihr soziales und religiöses Leben in den und rund um die dörflichen Ahnenhallen organisieren. White versteht sein Fallbeispiel als Beleg dafür, dass in China religiöse Identität weniger durch inhaltlich bestimmte Glaubenssysteme gesichert wird als vielmehr durch soziale Zugehörigkeit und rituelle Teilnahme.
Was man diesem Buch von akademischer Seite her vorwerfen könnte, ist der Umstand, dass die Dinge methodologisch nicht hinreichend unterfüttert sind. Aber das macht nichts. Theoretische Erwägungen zu Fragen der Indigenisierung und Kontextualisierung findet man anderswo zuhauf. Woran es meistens mangelt, sind gut recherchierte und anschaulich dargestellte Fallbeispiele. Diese liefert das Buch in Fülle und auf anregende Weise. Auch mag man einwenden, dass die Auswahl der Beiträge ein bisschen eklektisch und willkürlich erscheint. Doch das macht auch nichts. Die Qualität und Eindrücklichkeit der einzelnen Aufsätze ist wichtiger als eine Systematik des Ganzen.
Dieses Buch ist ein Reader, der auch außerhalb der engeren Fachkreise zu empfehlen ist. Es eignet sich als Unterrichtsmaterial für zahlreiche Disziplinen im Umfeld von Chinastudien, Religionswissenschaft, Theologie und Missiologie. Auch von akademischen Laien wird das Buch mit Gewinn zu lesen sein, etwa als Einführungs- oder Vertiefungsliteratur für christlich interessierte internationale Chinafreunde oder für Chinesen, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie westlich die christliche Religion immer noch sei.