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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

690–691

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Clark, Anthony E. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

China’s Christianity. From Mission-ary to Indigenous Church.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XVI, 300 S. m. Abb. = Studies in Christian Mission, 50. Geb. EUR 127,00. ISBN 978-90-04-34002-2.

Rezensent:

Stefan S. Jäger

Der Band versammelt Beiträge, die auf ein interdisziplinäres Symposium zum Thema »Chinas’s Christianity: Constructing a Christian Identity – From Mission to Indigenous Church« vom 5. bis 7. November 2015 an der Whitworth Universität/Spokane WA, USA zurückgehen. Der Herausgeber, Anthony E. Clark, skizziert in seiner Einleitung »›China’s Christianity‹ and the Ideal of a Universal Church« den Problemhorizont der einzelnen Studien, der durch das Paradoxon von Universalität und Partikularität des Christentums gekennzeichnet ist. Diese Spannung besteht insbesondere für die Ekklesiologie der römisch-katholischen Kirche, die durch die staatlich vorgegebene Autonomie der Kirche in China, stärker noch als der Protestantismus durch die Drei-Selbst-Bewegung, in grundlegender Weise herausgefordert ist. Der Fokus der einzelnen Beiträge liegt jedoch auf der Frage, wie chinesische Christen indigene Formen des Christentums entwickelten. Dabei bildet vor allem das abrupte Ende ausländischer Missionsarbeit nach der Gründung der Volksrepublik (1949) eine historische Zäsur.
Joseph Tse-Hei Lee zeichnet im ersten Kapitel »Christianity along the Warpath: The Anti-Christian Movement in Shantou during the Eastern Expedition (1925)« nach, wie sich bürgerliche und kommunistische Revolution im Zuge des Nationalismus und Anti-Imperialismus gerade auch gegen das als fremd geltende Christentum wendeten. Dies forcierte zugleich einen Loslösungsprozess der zum Teil auch politisch instrumentalisierten Missionsschulen und chinesischen Gemeinden von ausländischen Missionen und deren Leitungsorganen.
Die beiden folgenden Beiträge »Imaging Missions, Visualizing Experience: American Presbyterian Photography, Filmmaking and Chinese Christianity in Republican China« von Joseph W. Ho und die liturgiegeschichtliche Studie von Audrey Seah »The 1670 Chinese Missal: A Struggle for Indigenization Amidst the Chinese Rites Controversy« erschließen die Frage der Identitätsbildung eines sinisierten Christentums durch bisher wenig beschrittene methodische Zugänge und tragen somit aufschlussreiche ästhetische und liturgiegeschichtliche Aspekte bei.
Anthony E. Clark behandelt unter der Überschrift »Sealing the Fate and Changing Course: French Chatholicism and Chinese Conversion«, wie gerade in der französischen katholischen Ordensmission während der Quing-Dynas-tie (1644–1911) das religiöse Anliegen untrennbar mit einem kulturell-nationalen Sendungsbewusstsein verbunden war und damit auch zum Vorbild eines analogen Verständnisses in China selbst wurde.
Im Beitrag von Lydia Gerber »Testing the Limits of Proper Behavior: Women Students in and beyond the Weimar Mission Schools in Quingdao 1905–1915« kommt auch ein Ausschnitt deutscher Missionsgeschichte zur Sprache, in dem sie die Tätigkeit von Richard Wilhelm (1873–1930) im deutschen Pachtgebiet Tsingtau beleuchtet. Wilhelm, der als Missionar im Auftrag des in Weimar 1884 gegründeten Allgemeinen Evangelisch-Protestantischen Missionsvereins (AEPM, Ostasienmission) tätig war, verzichtete bewusst auf Taufen und Gemeindegründungen. Vielmehr verfolgte er durch seine Schularbeit eine Synthese christlicher und konfuzianischer Werte. Im zweiten Teil ihres Beitrages skizziert Gerber anhand des Schicksals von zwei chinesischen Schülerinnen den Wandel des Rollenbildes der Frau im Kontext der Missionsschulen vor dem Hintergrund der bürgerlichen Revolution von 1911.
Durch die zwei missionsbiographischen Studien von Robert E. Carbonneau zu dem US-amerikanischen Missionspater Leonhard Amrhein, CP (1911–1990) und von Amanda C. R. Clark zu Charles McCarthy, SJ (1911–1991) wird exemplarisch die Entwicklung von zwei römisch-katholischen Ordensmissionen um die Zeit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 nachgezeichnet, wobei der Fokus auf die Entstehung einer zunehmend eigenständigen Kirche gelegt wird, wie sie auch durch die Ausweisung ausländischer Mitarbeiter notwendig geworden war.
Dass in dem Band auch die Ränder des konfessionellen Christentums in den Blick genommen werden, zeigt der Beitrag von Christie Chui-Shan Chow »Indigenizing the Prophetess: Toward a Chinese Denominational Practice« über die Übersetzung und Rezeption der Schriften von Ellen G. White und die Entwicklung der Adventisten in China.
Jean-Paul Wiest bietet unter der Überschrift »The Making of a Chinese Church: As Lived by Chinese Christians« in narrativer Form einen guten Einblick in die Feldforschung zu Glaubensverständnis und Praxis katholischer chinesischer Christen in der Provinz Guandong. Von Bedeutung ist hierbei auch die Ausbreitung des Glaubens durch Laien, wobei sich der Prozess der Indigenisierung in der Regel spontan und auf lokaler Ebene vollzieht. Anhand von vier Fallbeispielen werden durch grassroot interviews Rezeptionsprozesse, Interpretationsmuster sowie auch Konflikte zwischen registrierten und nicht-registrierten katholischen Christen vor dem Hintergrund repressiver Religionspolitik anschaulich.
Der abschließende Beitrag von Xiaoxin Wu »Rapid Progress and Remarkable Accomplishments: The Study of Christianity in China by a New Generation of Chinese Scholars« bietet einen Überblick über die Erforschung des Christentums in China durch einhei-mische Wissenschaftler, wie sie sich in den letzten 25 Jahren entwickelt hat. Nachdem zwischen 1950 und 1980 Forschung in diesem Bereich aus politischen Gründen so gut wie unmöglich war, hat sich seit einer Internationalen Konferenz in Wuhan 1989 ein weites Feld für chinesische Forscher erschlossen, wie sich an zahlreichen Fachtagungen, Publikationen und Forschungseinrichtungen ablesen lässt.
Es liegt nicht in der Intention des Bandes, ein umfassendes Werk zu dem im Titel genannten Thema zu bieten. Die Beiträge aus verschiedenen Fachrichtungen, die mitunter kleine Kabinettstücke bilden, vermitteln bewusst kaleidoskopisch ein buntes Mosaik von Entwicklungen, Aspekten und Akteuren ausländischer Missionen und einheimischer Kirchen in China. Dabei werden auch unterschiedliche methodische Zugänge gewählt, die neben historischen Fragen auch ästhetische, politische und sozialanthropologische Aspekte beleuchten. Theologische Fragestellungen spielen eine eher untergeordnete Rolle. Zusammengehalten werden die unterschiedlichen Beiträge durch die Frage nach der Indigenisierung einer »chinesischen Kirche« in den komplexen Wechselwirkungen interreligiöser und interkul-tureller Begegnung in Zeiten politischer Umbrüche. Der im ur­sprünglichen Tagungstitel enthaltene Begriff der Identitätskonstruktion bietet eine hilfreiche Leitperspektive bei der Lektüre der einzelnen Kapitel.
Jeder Beitrag bietet am Ende ein ausführliches Literaturverzeichnis, in dem die chinesischsprachigen Titel neben einer Um­schrift und Übersetzung auch in chinesischer Schrift angegeben werden, was die Brauchbarkeit für sprachkundige Leser er­höht. Ergänzt wird der Band durch 25 Schwarz-weiß-Abbildungen sowie ein Gesamtregister. Die vorliegende Sammlung von Beiträgen bildet eine Fundgrube für Historiker, Sinologen und nicht zuletzt Religions- und Missionswissenschaftler, die sich für die komplexe und dynamische Entwicklung der unterschiedlichen Formationen des Christentums in China interessieren.