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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

40–42

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sedmak, Clemens, u. Peter Tschuggnall

Titel/Untertitel:

Sie haben nur ihre Zeichen. Semiotik - Literaturwissenschaft - Theologie. Mit einem Geleitwort von Z. Konstantinovic.

Verlag:

Anif/Salzburg: Müller-Speiser 1998. XI, 210 S. 8 = Im Kontext, 7. Kart. öS 394,-. ISBN 3-85145-038-8.

Rezensent:

Wilfried Engemann

Die Vff. beabsichtigen, mit ihrem Buch den Trialog von Semiotik, Literaturwissenschaft und Theologie voranzubringen. Dies soll nach Ansicht der Vff. so geschehen, dass in drei Hauptteilen die "Idee der Semiotik im Kontext von Theologie und Literaturtheologie" erörtert (Teil I), Grundsätzliches zum Thema "Theologische Erkenntnis und ,Zeichen’" diskutiert (II) und schließlich rezeptionsästhetische Aspekte von "Literatur und Religion als ,Text’" dargestellt werden (III).

In Anbetracht der Bedeutung, die dieser Reflexionshorizont mittlerweile in der Theologie erlangt hat, ist ein Buch, das sich den damit verbundenen Problemen und Aufgaben stellt, jedem willkommen, der sich im Grenzbereich der Theologie mit Semiotik und Literaturwissenschaft auseinandersetzt. Umso enttäuschender ist es freilich, dass die Vff. ihr Buch nicht sorgfältiger in den Kontext der zahlreichen, bereits vorliegenden Arbeiten zur angezeigten Problematik einordnen, sondern zu Werke gehen, als gäbe es ein völlig neues Feld zu erschließen. So nimmt die Arbeit weder auf die kurze, aber theoriegeschichtlich innovative Debatte zwischen G.-M. Martin und H. Schröer noch auf die Studien von K.-H. Bieritz, weder auf R. Volp noch auf A. Stock u. a., geschweige denn auf Standardwerke der theologischen Auseinandersetzung mit der Semiotik Bezug. Die Mängelliste reicht hier vom Arbeitsbuch "Zeichen im Gottesdienst" (1976) bis hin zu dem Sammelband "Gib mir ein Zeichen. Zur Bedeutung der Semiotik für theologische Praxis und Denkmodelle" (1992), von anderen semiotisch-theologischen Arbeiten aus der Reihe THLI (Francke-Verlag Tübingen) ganz zu schweigen.

Statt an die in diesen und anderen Arbeiten vorgelegten Thesen anzuknüpfen, wird in dem vorgelegten Buch vieles nur ventiliert, was an anderer Stelle konkret ausgeführt und schon als Ergebnis zur Diskussion gestellt wurde. Das betrifft insbesondere die vage Einführung in die Ansätze von U. Eco und Ch. S. Peirce (3-19), die neuerlichen Erläuterungen zur semiotischen Trias und die daraus abgeleiteten, in ihrer Begründung kurzschlüssig wirkenden Thesen, wonach z. B. die Zeichen "für die Theologie deswegen von so großer Bedeutung" seien, "weil die Theologie sich auf Handlungsfelder bezieht, in denen mit ,Heiligen Zeichen’ umgegangen wird, etwa in der Liturgie". (19) Die eigentlichen Probleme, die - jenseits der Kategorisierung des menschlichen Kommunikationspotentials in heilige oder alltägliche Zeichen - mit der Einschätzung der kommunikativen Leistung bzw. Tauglichkeit von Zeichen überhaupt zu tun haben, kommen hierbei kaum in den Blick.

Dieser Mangel an Problembewusstsein zeichnet sich besonders im Kapitel Theologie und Semiotik ab, wo sich die Vff. zwar mit den Prämissen einer brauchbaren Sprachtheorie "nach Babel" auseinandersetzen, jedoch das kritisch-konstruktive Potential aus dem Dialog zwischen Semiotik und Theologie kaum in den Blick bekommen. Dazu gehörte u. a. die Auseinandersetzung mit vorliegenden Thesen zum Verhältnis von Interpretation und Offenbarung, zum Entstehen von Erfahrungen durch Zeichen und zur Symboldebatte innerhalb der Theologie, wobei auf Symbole häufig als auf das (Nur-)Zeichenhafte verwiesen wird (vgl. zur Problematik zuletzt B. Dressler/M. Meyer-Blanck [Hg.]: Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik, 1998, 15-26 und 300-324).

Diese Kritik besagt nicht, dass das Buch im einzelnen unzuverlässig informiere, sondern sie besagt, dass es auf einem Reflexionsstand informiert, der der Forschungs- und Diskussionslage der Gegenwart einfach nicht entspricht. Dies wäre zu akzeptieren, wenn die Vff. gewissermaßen ein Gegenmodell zu den bestehenden semiotisch-theologischen "Konzepten" erarbeitet hätten; man hätte dann wohl auch gern in Kauf genommen, dass dies nur in begrenzter Auseinandersetzung mit vorliegenden Arbeiten geschieht. Für dieses Fazit sind jedoch die Überlegungen "Zu einer Theorie der Theologien" allzu schmal geraten und in ihrer semiotischen Ausrichtung noch nicht deutlich genug. D. h., es wird nicht klar genug herausgestellt, inwiefern man unter Zuhilfenahme semiotischer Einsichten und Modelle zu Ergebnissen gelangt, zu denen man nicht auch auf anderem Wege gelangte. Pars pro toto folgendes Zitat, dass unter "C: Transformation der Zeichenerzeugung" als Teil eines "Antwortmodells" erscheint: "Die Rede von der ,Auferstehung des Fleisches’ ist eine christologische Rede, ist eine Aussage über das Heilshandeln und das lebenermöglichende Erlösungshandeln Jesu. Ohne expliziten Bezug auf Christus ist diese Frage nicht einmal zu verstehen, geschweige denn zu beantworten. Als Antwort auf diese Frage sind also Methoden der Christologie zu wählen, näherhin exegetische Methoden, die diese Rede plausibel machen" (136).

Ergiebiger als in den ersten beiden Teilen erweist sich das Buch in seinem dritten großen Kapitel, wo im engeren Sinne literaturtheoretische Überlegungen zum Zuge kommen und rezeptionsästhetische Kategorien die semiotischen ergänzen bzw. ablösen. Der Leser fragt sich zwar, wie das zuvor angebotene und begrifflich aufwendige Instrumentarium der Semiotik nun auch auf die dort angezeigten Fragen produktiv angewendet werden könnte; der Leser wird jedoch mit instruktiven Einzelbeobachtungen in Bezug auf die Funktionsweise von Texten befasst und zuverlässig über die Funktion des "poetischen Ich", des "Modell-Lesers" oder des Dialogs in der Literatur informiert. Freilich hätte auch dieser Diskurs - insbesondere das Kapitel "Postmoderne Ästhetik" und "Verwirrung ,nach Babel’" - erheblich gewonnen, wenn hier wiederum einschlägige Standardwerke zu Rate gezogen worden wären. So kann man beispielsweise in den (außerhalb dieses Buches) viel zitierten Arbeiten von Albrecht Grözinger (z. B. Praktische Theologie und Ästhetik, 1987) oder auch bei Hartmut Raguse (Der Raum des Textes, 1994), um nur zwei Werke zu nennen, genauere und korrektere Informationen erhalten. Es ist zu bedauern, dass die Vff. in solchem Maße die (evangelische) Forschung ausblenden. Dies wird der faktischen Interdisziplinarität der semiotischen und literaturwissenschaftlichen Forschung m. E. kaum gerecht.

Zoran Konstantinovic, der das Vorwort zu diesem Buch geschrieben hat, geht davon aus, dass sich alle Zeichen "zu einem großen umfassenden Text der Kultur zusammenführen" lassen; deshalb sei auch "die Welt ablesbar (sic!) als Text der Kultur". Dieser Hypothese wird man - zumindest auf der Basis der Ecoschen Kultur-Semiotik - sicher zustimmen können. Meine Zustimmung verweigern möchte ich jedoch der Folgerung, mit der Konstantinovic zugleich die Perspektive vorgibt, in der das Buch offensichtlich gelesen werden soll: "Lesbar kann sie [erg.: die Welt] erst aus dem Verständnis der Zeichen werden ... Wer aber könnte berufener sein, diese Zeichen zu deuten, als der Theologe, der nach der Offenbarung Gottes in dieser Welt sucht, und der Literaturwissenschaftler, der davon ausgehen darf, dass in der Literatur die gesamte Erfahrung der Menschheit und somit auch alle Zeichen der bisher geschaffenen Kultur enthalten sind" (VI). Vor solchen Überschätzungen sollte ein Buch, das Theologie und Literaturwissenschaft auf der Basis der Semiotik miteinander ins Gespräch bringt, gerade warnen: Da in unserer Kultur eben nicht nur die heiligen Zeichen aus der Bibel oder die verschrifteten Zeichen der Literatur zirkulieren, sondern alle Kommunikation auf (größtenteils gänzlich unliterarischen) Zeichen basiert, bedarf das Verstehen dieser Kommunikation ebenso wie die etwas zu verstehen gebende Beteiligung an ihr einer Zeichenanalyse, die nicht von theologischen Interessen oder literaturwissenschaftlichen Theorien geleitet ist, sondern neue Codierungen aufzudecken vermag. Andernfalls liefe die Semiotik Gefahr, als Ancilla der Theologen und Literaturwissenschaftler letztlich nur zur Vergewisserung und Bestätigung "heiliger Zeichen" beizutragen, statt Verstehensprozesse in Gang zu bringen bzw. Kommunikationsstörungen zu erklären. Nur so kann angemessen dafür Sorge getragen werden, dass letztendlich nicht einzelne Zeichengestalten oder Ausdrucksformen mit der "Sache" identifiziert werden, für die sie stehen, sondern dass der von einem Zeichen repräsentierte Gehalt - ggf. in neuer Zeichengestalt - weiter in der Kultur zirkuliert und an Menschen als "Botschaft" weitergegeben werden kann.