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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

624–627

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jamir, Lanuwabang

Titel/Untertitel:

Exclusion and Judgement in Fellowship Meals. The Socio-historical Background of 1 Corinthians 11:17–34.

Verlag:

Cambridge: James Clarke & Co. (Lutterworth) 2017. 302 S. Kart. £ 25,00. ISBN 978-0-227-17637-5.

Rezensent:

Claudia D. Bergmann

Lanuwabang Jamir promovierte 2012 an der London School of Theology/Middlesex University und ist Assistant Professor of New Testament und Dean of Graduate Studies am Union Biblical Seminary in Pune in Indien. Stephen Barton und Steve Walton begutachteten seine Dissertation, die 2016 als das nun vorliegende Werk veröffentlicht wurde. Die These des vorliegenden Buches ist, dass das Herrenmahl nur mit dem Blick zurück auf die traditionellen Gemeinschaftsmähler in der antiken Welt, vor allem im griechisch-römischen Kontext und in der jüdischen Kultur, zu verstehen ist. Dabei betont J., dass das Urteilen über Andere und das Ausschließen von Außenstehenden ein wichtiger Teil dieser Gemeinschaftsmähler war. In Korinth, so schreibt J., waren es nicht die sozialen und ökonomischen Unterschiede zwischen den Gemeindemitgliedern, die die christliche Gemeinschaft prägten und zu Abspaltungen innerhalb der Kirche führten, sondern vor allem Unterschiede in ihrer Ideologie. Paulus’ Antwort auf diese Fragen zeige, so J., dass der Apostel Krankheit und Tod mit dem Missbrauch des Herrenmahles in Verbindung brachte. Diese Verurteilung der Außenstehenden oder der Anderen sei ein Zeichen dafür, dass sich Paulus der alten Tradition von Gemeinschaftsmählern sehr wohl bewusst war, die den Ausschluss von Andersdenkenden beinhaltete, aber im Licht der Evangelien noch einmal neu ausgelegt wurde.
Im ersten Kapitel gibt J. einen Überblick über Gemeinschaftsmähler in der antiken Welt und untersucht besonders die Strukturen, den Sinngehalt und die Funktionen der antiken Mähler. J. er­wähnt dabei eine Vielzahl von verschiedenartigen Quellentexten: Texte aus der hebräischen Bibel, aus der frühjüdischen außerbiblischen und rabbinischen Literatur, aus den Werken Homers, Athenäus’ und Anderer. Methodisch basiert seine Untersuchung vor allem auf den Forschungen von Matthias Klinghardt und Dennis Smith, die in ihren Arbeiten die sozialen Aspekte christlicher Mähler herausgehoben haben. J. betont, dass man neben den Mählern, die im Rahmen von Symposien abgehalten wurden, auch alltägliche griechisch-römische Gemeinschaftsmähler untersuchen müsse, da auch diese Traditionen enthielten, die in die korinthische Mahltradition eingeflossen seien.
J. berücksichtigt in seiner Untersuchung auch einige der frühen jüdischen Gemeinschaften, wie etwa die, die sich in den Qumrantexten präsentiert. Er behauptet, dass das Motiv des »messianischen Mahles« in Qumran besonders prominent sei (39), zeigt aber an keiner Stelle auf, worauf diese These beruht. Die direkte Verbindung zwischen den Mählern in Qumran und dem Herrenmahl der frühen christlichen Gemeinde, die J. mit der älteren Forschung annimmt, ist inzwischen umstritten. Dass die Gemeinschaft, die sich hinter den Texten aus Qumran verbirgt, Mähler als Mittel zur Eingliederung in die Gemeinschaft oder zum Ausschluss aus der Gemeinschaft genutzt hat, steht jedoch außer Frage, und J. gibt dafür einige aussagekräftige Beispiele. Fraglich ist allerdings, in­wieweit die Gemeinschaft, die die Texte von Qumran aufbewahrt hat, diese Mähler tatsächlich durchgeführt hat oder ob einiges, wie z. B. die Mahlzeit in Anwesenheit des Messias in 1QSa 2,11–22, nur imaginiertes Mahlgeschehen ist.
Anzumerken ist weiterhin, dass J. zu unkritisch mit der Idee
des sogenannten »eschatologischen« oder »messianischen« Mahles in den Schriften des frühen Judentums umgeht. Er übernimmt Blenkinsopps Behauptung aus seinem Jesaja-Kommentar (Blenkinsopp, Isaiah, 1–39, 357), dass die Ursprünge des eschatologischen Mahles in Jes 25,6 zu finden seien und sich von dort aus
weit in der Literatur des frühen Judentums ausgebreitet haben.
J. spricht von den »main features of the messianic meal« (57), gar von einem Motiv »that is used frequently in both the OT and the NT« (57–58). Man muss jedoch eher davon ausgehen, dass es recht unterschiedliche endzeitliche Mahlvorstellungen im frühen Ju­dentum gegeben hat, diese aber weder häufig vorkamen noch in ihrer Mehrheit mit messianischen Vorstellungen verbunden wa­ren. Wenn der Messias in diesen Texten überhaupt erwähnt wird, dann erscheint seine Anwesenheit eher zufällig, manchmal auch als das Mahl vorbereitend. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ist der Messias jedoch weder Gastgeber noch Mit-Speisender. Diese Bilder kommen erst zu der Zeit in den Blick, als die frühen christlichen Gemeinschaften Jesus Christus als Mahlspender, als Mahlgast und/oder vielleicht auch als die Speise selbst zu verstehen beginnen.
Im zweiten Kapitel beschäftigt sich J. speziell mit den Funktionen von Gemeinschaftsmählern in der antiken Welt, wie z. B. Fragen des Zusammenhalts innerhalb der Gemeinschaft, Fragen von sozialen Unterschieden und Status, Erlangung von sozialer Identität, sowie Motiven, die auf Aspekte des Urteilens über andere hinweisen. Hier wendet sich J. gegen Klinghardts und Smiths Vorschlag, dass von einer gemeinsamen Mahltradition in der antiken Welt auszugehen sei, und postuliert, dass sich viele Mahltraditionen unabhängig voneinander und mit ihrer eigenen Bedeutung nebeneinander her entwickelt hätten. Aus Ähnlichkeiten zwischen griechisch-römischen, jüdischen und christlichen Mahltraditionen sollte man also, laut J., nicht schließen, dass es hier eine Abhängigkeit voneinander gegeben habe. Während das oft bestritten wird, ist J.s Einsicht, dass die verschiedenen Mähler und Mahltypen einen Einblick in die sozialen Perspektiven und Alltagssituationen der Zeitgenossen erlauben, jedoch zuzustimmen. Dass sich hier heiliges und alltägliches Handeln mischen, Geschichte und zu­künftige Hoffnungen verschmelzen, zeigt, dass Mähler ein »in­tegral part of […] religious expressions and practices« (113) waren.
Im dritten Kapitel untersucht J. dann die Gemeinschaftmähler in Korinth und nimmt dabei besonders den Missbrauch des Herrenmahls in den Blick. Dabei hebt er besonders heraus, welche Bedeutung die Passage zum Herrenmahl im 11. Kapitel des 1. Ko­rintherbriefes für die Entwicklung des Abendmahlsverständnis-ses in der Kirche hat. Die Analyse der Situation der Gemeinde in Korinth nimmt einen großen Teil dieses Kapitels ein, ebenso die Antwort des Paulus auf die Probleme in dieser Gemeinde und seine Interpretationen der Traditionen vom Herrenmahl. J. hebt dabei die Einsicht des Paulus hervor, dass das gemeinsame Speisen nicht nur eine spirituelle Gemeinschaft unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen am Tisch schafft, sondern auch eine soziale Einheit herstellt. Rasse, Gender, Status oder Ideologie hätten keinen Platz in dieser neuen Gemeinschaft, betont J. (164).
Kapitel 4 beschäftigt sich dann speziell mit dem Aspekt des Urteilens oder Verurteilens innerhalb der Tradition des Herrenmahles in Korinth. J. widmet sich diesem Thema, indem er wichtige griechische Begriffe, die gutes und schlechtes Verhalten und ihre Konsequenzen beschreiben, analysiert. Dabei unterscheidet J. zwischen den Folgen schlechten Verhaltens, die in dieser Welt, im Hier und Jetzt, eintreffen, und den Folgen, die sich auf die Endzeit beziehen.
In seiner Zusammenfassung bietet J. eine Synopse der Ergebnisse seiner Untersuchungen. J. unterstreicht hier noch einmal, wie wichtig die antiken Gemeinschaftsmähler für eine sachgerechte Interpretation des Herrenmahles der Gemeinschaft von Korinth sind. J. hebt hervor, dass sich die Antwort des Paulus auf die Frage nach der Bedeutung des Herrenmahles in Korinth am korrekten Verhalten der Gemeindemitglieder orientiert. Das Urteilen oder auch Verurteilen, das im Zusammenhang mit dem Mahl ge­schieht, habe sowohl weltliche als auch endzeitliche Konsequenzen. Feiere man das Herrenmahl aber auf korrekte Art und Weise und mit einem soliden christologischen Hintergrund, könnten alle Verurteilungen vermieden werden.
Ein Blick auf das Literaturverzeichnis zeigt, dass J. vor allem die englischsprachige Literatur, aber auch wichtige deutsche Titel – wie die von Matthias Klinghardt – in sein Buch einbezogen hat und auch die neuere Literatur zum Thema ›Mahl‹ rezipiert. Leider geht er noch immer von einem Geschichtsmodell aus, das zwischen der Zeit des Alten Testamentes, der »intertestamental period« und der Zeit des Neuen Testaments klar unterscheidet (vgl. z. B. 37). Diese Denkweise zieht nach sich, dass Ähnlichkeiten zwischen griechisch-römischen, christlichen und jüdischen Praktiken zuerst einmal überraschen. Geht man aber davon aus, dass die religiösen und politischen Kulturen des Mittelmeerraumes wie auch die Mahlkulturen zu dieser Zeit durchaus durchlässig und für gegenseitige Beeinflussung offen waren, überraschen diese Ähnlichkeiten nicht mehr.
J.s Monographie reiht sich in die zahlreichen Werke ein, die sich in den letzten Jahrzehnten mit der Frage der Mähler in der Geschichte des frühen Christentums beschäftigt haben. Das Besondere seines Buches ist, dass es die Frage des Richtens, Urteilens und Verurteilens innerhalb der neutestamentlichen und frühchrist-lichen Mahltraditionen hervorhebt. Abgesehen von den oben er­wähnten unkritischen oder zu kurz gefassten Bemerkungen über endzeitliche Mahltraditionen im frühen Judentum und der Rolle des Messias in denselben ist J.s Buch trotz allem ein informatives und lesenswertes Werk.