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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

616–617

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Billings, Drew W.

Titel/Untertitel:

Acts of the Apostles and the Rhetoric of Roman Imperialism.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2017. XIII, 231 S. m. 21 Abb. Geb. £ 75,00. ISBN 978-1-107-18785-6.

Rezensent:

Knut Backhaus

Das Buch von Drew W. Billings vergleicht die Apostelgeschichte mit der Trajanssäule zu Rom. Wer die Lektüre nach diesem Eingangssatz noch nicht abgebrochen hat, mag sich dafür interessieren, welche Gründe für einen solchen Vergleich sprechen, der auf den ersten Blick abwegig scheint. Indes ist das heuristische Potential dieser der McGill University (Montreal) vorgelegten Dissertation nicht zu unterschätzen. Sie ist Ausdruck zweier seit einiger Zeit die Kulturwissenschaften bewegenden Trends: »physical turn« und Intermedialität. B. untersucht die mediale Repräsentation des kaiserlichen Wirkens und die epigraphische Rhetorik der Trajan-Zeit am Beispiel eines gut dokumentierten Monuments und erschließt so Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster, wie sie zeitgenössisch auch für die lukanische Erzählung und deren Rezeption prägend sind.
Nach einer knappen Verortung seiner Studie in der aktuellen englischsprachigen Forschung datiert B. – eher thetisch als argumentativ – Apg in den trajanischen Prinzipat (98–117 n. Chr.). Er ordnet sie der »apologetic historiography« (im Sinne von Gregory Sterling) zu: Sie dient im Modus herkunftsbezogener Identitätskonstruktion der Selbstbehauptung einer kulturellen Minderheit im Römischen Reich. Wie von selbst ergibt sich damit eine Vergleichsebene zur monumentalen Herrschaftslegitimation des optimus princeps. Die helikale Episodenfolge auf der Trajanssäule inszeniert die Dakerfeldzüge als überlegene Kulturstiftung; die lineare Epi-sodenfolge der Apg inszeniert den Siegeszug des Evangeliums in einer wissenspragmatisch vergleichbaren Weise. Hier wie dort dienen bezeichnende Szenen einer »Eroberung mittels Reise« dazu, Recht und Glanz der jeweiligen Protagonisten zu vergegenwärtigen, hier in der eidetischen Rhetorik der Bild-, dort in der dramatischen Rhetorik der Erzählsequenz. B. ordnet das Kommunikat der Trajansäule dem in den Provinzen medial repräsentierten Herrscherbild der Trajan-Zeit zu, in dem das Motiv der εὐεργεσία des Kaisers als Patron der οἰκουμένη eine zentrale Rolle spielt, nicht zuletzt für den nachahmenden Öffentlichkeitsstil der lokalen und regionalen Eliten. Solche sozialen Plausibilitäten üben einen unterschwelligen, aber nachhaltigen Einfluss auf das in Apg kommunizierte Bild von Gott, Universalismus und Patronage aus, wie sie vor allem der Weltreisende Paulus widerspiegelt. Den notwendigen Kontrast bieten, visualisiert wieder auf der Trajanssäule, die Antagonisten: hier die dakischen Barbaren, dort die trotz mancher Differenzierung denn doch vorwiegend misanthropisch gezeichneten Juden, ein polemisches Bild, das sich dem Umfeld der Diasporaaufstände (115–117 n. Chr.) einfügt. Auch die Darstellung des weiblichen Geschlechts entspricht sich in beiden Medien: Frauen geben der Darstellung die Farbe lebensweltlicher Realität und erhellen in ihrer empfangenden und erduldenden Passivität die Rolle des (männlichen) Siegers und Wohltäters. Insgesamt macht die Trajanssäule einen kulturellen Kosmos sichtbar, dessen soziale Standards und ethische Hierarchien Verfasser und Leser der Apg, und sei es auf präkognitive Weise, teilen.
»Modern readers will quite likely never know why Luke wrote Acts« (189). Diese magere Einsicht, mit der B. theologische Bilanz zieht, verdankt sich seiner Methode. Wem es um die ureigene Darstellungsabsicht des Lukas geht, dem sei zu dem diametral entgegengesetzten Werk von C. Kavin Rowe geraten (World upside down. Reading Acts in the Graeco-Roman Age, Oxford 2009), der Apg als autarken Gegenentwurf zu ihrer zeitgenössischen Mehrheitskultur liest – und dabei ohne Trajan auskommt. Gleichwohl ergänzen sich beide Studien: Nicht was und warum es Apg sagt, erhellt B., sondern wie das Kommunikat zur Geltung gebracht und wahrgenommen wird. Dazu bündelt er Erkenntnisse aus Altertumswissenschaft, Kunstgeschichte, Wissenssoziologie, fachlich verantworteten gender studies und neutestamentlicher Exegese und trägt so zu einer tieferen Rekontextualisierung des einzigen Werks ur­christlicher Historiographie bei. Zu bedauern ist die kulturelle Einseitigkeit der Untersuchung selbst. Viel mehr als »Conzelman« (so durchgehend) rezipiert B. von der deutschsprachigen Lukasforschung kaum, und in der Trajanforschung nimmt er nicht einmal die aktuelle Standardbiographie von Karl Strobel zur Kenntnis.
Es stellt durchaus einen Fortschritt dar, wenn eine exegetische Studie, statt undifferenziert vom römischen Kaiserreich und seiner Rhetorik zu handeln, die Diachronie dieses vielschichtigen Phänomens in den Blick nimmt (vgl. 9 f.). B.s Sprung in die Trajan-Zeit wirkt jedoch allzu abrupt. Er folgt einem maßgeblich von Richard Pervo geförderten, aktuell manche Relektüre der Apg anregenden Trend. Auch der Rezensent hält die Datierung der Apg in die Trajan- oder Hadrian-Ära für die derzeit tragfähigste Lösung (ZNW 108 [2017], 212–258), aber sie hängt nicht an der Individualität dieses oder jenes Prinzeps. Der »Zeitgeist« weht breiter, und die urchristlichen Schriften reagieren auf Kulturen, nicht auf Kaiser. Eine Fixierung auf Trajan dürfte die Lektüre verzerren – wie denn auch das Bild, das B. von Domitian zeichnet (124 f.), eng und obsolet wirkt. Am deutlichsten zeigt sich der innovative Wert der Untersuchung in der Korrelation von Bild- und Textebene. Gerade Lukas – den die Legende nicht ohne Sachgrund als Maler malt – neigt zu einer eidetischen Darstellungsweise, die die Lesenden zu »Augenzeugen« werden lässt. Die Bildlichkeit von Texten stand seit Apollonios von Rhodos auf dem Programm hellenistischer Erzählkunst. Auf der anderen Seite verkörpert die Trajanssäule die Tex­tualität einprägsamer Bilder. B.s originelle Vergleichsarbeit lässt Suggestivität durchschauen.
»The medium is the message«: Apg belegt durch ihr pures Da­sein einen erstaunlichen Geschichts- und Kulturanspruch der urchristlichen Minderheit. Ein Unterschied scheint mir freilich zu wenig bedacht: Die Trajanssäule ist für den normalen Betrachter nicht (als Sequenz) lesbar. Sie verewigt den Kaiser und sein Reich. Lukas dagegen bleibt auf Augenhöhe: Er erdet Gott und seine Basileia in menschlichen Geschichten. Und doch arbeitet diese Studie ertragreich heraus, wie Lukas sein Werk denn wohl gesehen hat: als erstes Monument des werdenden Christentums.