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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

612–613

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Meyer, Berend

Titel/Untertitel:

Das Apodiktische Recht.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2017. 208 S. m. 4 Abb. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 213. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-17-031129-9.

Rezensent:

Eckart Otto

Berend Meyer ist Amtsrichter im Ruhestand aus Westerstede, der aufgrund eines Interesses am Verfassungsrecht nach seiner Pensionierung sich der Mühe unterzogen hat, die vorliegende Studie zum apodiktischen Recht, von F. Golka »an langer Leine betreut«, so der Vf., zu verfassen, und sie der Philosophischen Fakultät der Universität Oldenburg als Dissertation einzureichen, was Respekt verdient.
Ausgangs- und Richtpunkt der Dissertation ist Albrecht Alts klassische Studie zu den Ursprüngen des israelitischen Rechts aus dem Jahr 1934 mit der Unterscheidung von kasuistischem und apodiktischem Recht, an der der Vf. zu Recht festhält. Während A. Alt im apodiktischen Recht aber ein altes Gottesrecht aus der Wüste sah, will der Vf. den Nachweis führen, dass das apodiktische Recht nicht am Anfang, sondern am Ende der biblischen Rechtsentwicklung steht. Er will damit die Diskussion um die Funktion des apodiktischen Rechts, die er in einer ausführlichen Forschungsgeschichte skizziert, weiterführen. Es ist bedauerlich, dass der Vf. nur deutschsprachige Literatur heranzieht, die gesamte fremd-sprachige Literatur dagegen unberücksichtigt bleibt, so dass er die einschlägige Studie von Bernard S. Jackson zur Semiotik des biblischen Rechts nur in Gestalt des Referats in der Münchener Dissertation der Koreanerin Eun-Ae Lee (Forschungsgeschichte der Diskussion um das apodiktische Recht, 2003) zur Kenntnis nimmt.
Einer Frühdatierung des apodiktischen Rechts stehen nach Meinung des Vf.s historische, sprachliche und rechtshistorische Gründe entgegen. So fehlen einem frühen, aus Kanaan entstandenen Israel die Trägerkreise für dieses Recht, wie auch der masoretische »Endtext« sprachgeschichtlich nicht rückprojiziert werden dürfe und in rezenten Gesellschaften heute noch existierender Naturvölker kein apodiktisches Recht nachweisbar sei: »Einen afrikanischen Dekalog gibt es nicht« (131). Mit Eun-Ae Lee sieht der Vf. im apodiktischen Recht Grundnormen, die mit F. Crüsemann Verfassungscharakter haben sollen.
Es schließen sich Exkurse zur Entwicklung der Menschenrechtsidee und des Verfassungsgedankens in der Moderne an, die allerdings entgegen der Intention des Vf.s eher zeigen, dass der Verfassungsbegriff nur begrenzt auf die Hebräische Bibel anwendbar ist, da der formelle Verfassungsbegriff einen rechtshistorischen Mo­dernismus bezeichnet, der materielle Verfassungsbegriff aber, der »die Gesamtheit aller rechtlichen Regelungen umfasst«, gerade nicht eine Normenhierarchie in Bezug auf das apodiktische Recht ausdrücken kann, so dass der Vf. auch das Alten Testament insgesamt als »legitime Verfassungsordnung« (179) bezeichnen kann. Daher dürfte der von Eun-Ae Lee gewählte Begriff der »Grundordnung« rechtshermeneutisch für das apodiktische Recht angemessener als der Verfassungsbegriff und von einem biblischen Verfassungsrecht nur im metaphorischen Sinn zu sprechen sein, weswegen die Frage zu stellen ist, ob das apodiktische Recht in der Antike Funktionen wahrgenommen habe, die in der Moderne vom Verfassungsrecht wahrgenommen werden. Der Vf. sucht auch durchaus nach Funktionsanalogien zwischen dem biblischen apodiktischen Recht und dem modernen Verfassungsrecht, die er darin sieht, dass Verfassungen in der Regel Rechtsentwicklungen in Umbruchszeiten zum Abschluss bringen, Legitimationsfunktion haben und häufig einen Gottesbezug aufweisen, was der Vf. u. a. durch eine Studie von K.-Th. Frh. zu Guttenberg, die für einige Turbulenzen sorgte, untermauert wissen will.
Es bleibt das mit der Anwendung des Verfassungsbegriffs auf das biblische apodiktische Recht implizierte Problem einer Hierarchisierung von Rechtsnormen im biblischen Recht, das nicht durch den Verweis auf die redaktionsgeschichtlichen Überlegungen in der Dissertation von Eun-Ae Lee gelöst werden kann. Weiter führt in dieser Frage die Innsbrucker Dissertation von Dominik Markl SJ (Der Dekalog als Verfassung des Gottesvolkes, HBS 49, Freiburg/Basel/Wien 2007), der durch eine literaturhistorisch synchrone Analyse der Vorderen Sinaiperikope in Ex 19–24 und des Deuteronomiumrahmens in Dtn 5 eine Normenhierarchie in Bezug auf den Dekalog aufzeigen kann. Es ist bedauerlich, dass der Vf. diese für sein Thema einschlägige Studie unberücksichtigt lässt, nur im Vorwort auf ihre Einführung in das Thema verweist, sie dann aber nicht mehr berücksichtigt.
Man hätte der Dissertation des Vf.s eine Publikation in populärwissenschaftlichem Kontext gewünscht, der ihr mehr interessierte Leser gebracht hätte als die Veröffentlichung in einer fachexegetischen Reihe.