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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

607–609

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Janowski, Bernd, u. Daniel Schwemer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Weisheitstexte, Mythen und Epen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. XIX, 534 S. = Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge, 8. Geb. EUR 168,00. 
ISBN 978-3-579-05281-6.

Rezensent:

Bernd U. Schipper

Mit diesem Band wird das Spektrum der Texte, die in der »Neuen Folge« zur bekannten TUAT-Reihe vorgelegt werden, entscheidend erweitert. Nach Texten zum Rechts- und Wirtschaftsleben (Bd. 1), zu politischen Dokumenten (Bd. 2), Briefen (Bd. 3), Omina, Ritualen und Beschwörungen (Bd. 4), Texten zur Heilkunde (Bd. 5), Grab-, Sarg- und Votivinschriften (Bd. 6) sowie Hymnen, Klageliedern und Gebeten (Bd. 7) wird mit Bd. 8 der vorletzte geplante Textband vorgelegt. Der ursprünglichen Planung zufolge sollen noch ein Band zum Alltagsleben (Bd. 9) und ein Bildband (Bd. 10) folgen. Der Band enthält – wie bei TUAT.NF üblich, auf ein knappes Vorwort folgend – sieben Textbereiche, die sich wie folgt verteilen:
I) Texte aus Mesopotamien mit sumerischen Mythen: 1. Enmerkara und der Herr von Arata, 2. Bilgameš, Enkidu und die Unterwelt, 3. Innana und Ebiḫ, 4. Innana holt das erste Himmelshaus auf die Erde, 5. Nin-me-šara – Mythen als argumentative Waffen in einem rituellen Lied der Hohepriesterin (Eh-ḫedu-ana), dem akkadischen Bazi-Mythos und akkadischen Epen (Tukultī-Ninurta, Enūma Eliš, Atra-ḫasīs).
II) Hethitische Texte, aufgeteilt nach einheimischen anatolischen Mythen, 1. wie z. B. dem Drachenkampf (CTH 321) oder dem Telipinu-Mythos (CTH 324.1), dem »Kumarbi-Zyklus« 2., sowie verschiedenen Mythen 3., wie Elkunirša und Ašertu (CTH 342.1.1), dem Märchen von Appu und seinen Söhnen (CTH 260.1) oder dem Märchen von dem Sonnengott, der Kuh und dem Fischer (CTH 363.1).
III) Texte aus Syrien: der Baal-Zyklus (KTU 1.1–6 + 1.8), das Epos über König Kirta (KTU 1.14–1.16), das Epos über König Aqhatu (KTU 1.17–1.19) und die rapiʾūma-Texte (KTU 1.20–22).
IV) Texte aus Ägypten, aufgeteilt nach neuägyptischen Texten, wie der Erzählung vom verwunschenen Prinzen, der Lehre Amunnachts, den so genannten Prohibitions (ein Kompendium negativer Lehrsätze) und einer Neuübersetzung der Lehre des Amenemope, und demotischen Texten: der Petition des Peteese, den beiden Setne-Erzählungen, dem Kampf um die Pfründe des Amun (Papyrus Spiegelberg), die Erzählungen über Amasis und den Schiffer, die Schwalbe und das Meer sowie die Verurteilung des Djedher.
V) Texte aus dem Iran mit den Inschriften des Ober-Magiers Kardēr (KNRm, KKZ, KNRb, KSM) und der Reise ins Jenseits (KSM und KNRm).
VI) Texte aus Transjordanien und Idumäa mit einer Neuübersetzung der aramäischen Wandinschriften von Tell Deir Alla und zwei Weisheitstexten aus Marissa/Maresha.
VII) Griechische Texte aus Ägypten mit dem Fragment eines kosmogonischen Textes, der griechischen Fassung des ägyptischen Mythos vom Sonnenauge (vgl. dazu TUAT.AF 3, 1038–1077), dem Traum des Nektanebos, der Erzählung vom Propheten Tinuphis, zwei neuen Mythen, den sibyllinischen Orakeln (Parallelüberlieferung zu Buch 3 und dem Florentiner Fragment zu Buch 5), ferner Reflexionen über das rechte Verhalten, allgemeinen Lebensregeln und den sogenannten Menander-Sentenzen.
Umfangreiche Zeittafeln (519–534) sowie vier Landkarten, Letztere auf die Innenseiten des Buchumschlags (U 2 und U 3) verteilt, ergänzen die übersetzten Texte.
Bereits die Bezeichnungen der einzelnen Literaturwerke zeigen, dass die drei Wörter »Weisheitstexte, Mythen und Epen« im Titel des Bandes weniger einen systematischen Zugang darstellen als vielmehr ein Spektrum an Texten abbilden sollen, die in die bisherigen Bände nicht aufgenommen wurden. Dementsprechend ist beispielsweise dem ägyptischen Material eine kurze Einleitung des Fachherausgebers vorgeschaltet, die nur noch von »literarischen Texten« spricht (303 f.). Zugleich ging es darum, Texte nachzutragen, die in der alten TUAT-Reihe fehlten (z. B. die Erzählung vom verwunschenen Prinzen oder die griechische Literatur), sowie in begründeten Einzelfällen Neuübersetzungen vorzulegen. Folgende bereits in TUAT.AF enthaltene Texte wurden neu übersetzt: Enūma eliš (TUAT.AF 3, 565–602), Atra-ḫasīs (TUAT.AF 3, 612–645), der Ba’al-Zyklus (TUAT.AF 3, 1091–1198.1213–1253.1254–1305), die aramäische Wandinschrift von Tell Deir ‘Alla (TUAT.AF 2, 138–148) und die ägyptische Lehre des Amenemope (TUAT.AF 3, 222–250). Man kann immer fragen, in welchen Fällen sich eine Neuübersetzung anbietet und in welchen nicht. So würde mancher meinen, dass es angebracht gewesen wäre, in TUAT.NF auch eine Neuübersetzung der »Geschichte und Sprüche des weisen Achiqar« aufzunehmen, da die von Ingo Kottsieper in TUAT.AF 3, 320–347 vorgelegte Übersetzung allein schon bei der Anordnung der Papyri ganz eigene Wege geht. Auch bei den demotischen Weisheitstexten hätte sich unter einem philologischen Blickwinkel eine Neuübersetzung angeboten, denn die Übersetzungen des Großen demotischen Weisheitsbuches (Papyrus Insinger) und der Lehre des Chacheschonqi (Anchcheschqoni) in TUAT.AF 3 sind in vielen Punkten verbesserungswürdig. Die Herausgeber haben sich jedoch dazu entschieden, bei den ägyptischen Texten allein die Lehre des Amenemope in neuer Übersetzung vorzulegen. Der Grund ist, dass Vincent M. Laisney in seiner Berliner Dissertation den Papyrus British Museum 10474 völlig neu kollationiert hat und dabei einige Lesungen korrigieren konnte (L’enseignement d’Aménémopé, Rom 2007). Die verbesserten Lesungen werden jedoch an vielen Stellen durch eine recht freie Übersetzung egalisiert. Laisney selbst verweist in zahlreichen Fußnoten auf die wörtliche Übersetzung. Als Beispiel sei 3,10–11 genannt, wo Laisney übersetzt: »mache deinen Geist aufmerksam, um sie zu verstehen. Es ist nützlich, sie in dein Herz aufzunehmen.« Im ägyptischen Text steht zweimal das Wort jb (Herz), so dass wörtlich zu übersetzen ist: »gib dein Herz, um sie zu verstehen, es ist nützlich, sie in dein Herz aufzunehmen.« Insofern wird man nicht allein Laisney folgen können, sondern immer auch die Übersetzung von Irene Shirun-Grumach in TUAT.AF 3 zu Rate ziehen.
Was schließlich die vorgelegten Texte betrifft, so wird vermutlich jeder Leser andere Literatur vermissen, die hätte aufgenommen werden können. Vom Blickwinkel des Rezensenten aus hätten folgende Texte gut in den Band gepasst, die bislang von der alttes­tamentlichen Forschung in der Regel übersehen wurden: die hieratische Lehre des Papyrus Brooklyn 47.218.135 aus der 26. Dynastie (7./6. Jh.), die fragmentarische demotische Lehre des Papyrus Louvre N 2414 und einige Abschnitte aus dem überaus wichtigen demotischen »Thotbuch« (vgl. R. Jasnow/K.-T. Zauzich, Conversations in the House of Life. A New Translation of the Ancient Book of Thot, Wiesbaden 2014). Hinzu kommt bei den griechischen Texten jene Weisheitsliteratur, für die Nikolaos Lazaridis gezeigt hat, dass sie Gemeinsamkeiten zu den demotischen Weisheitstexten enthält, die wiederum mancher Passage im alttestamentlichen Sprüchebuch nahestehen (N. Lazaridis, Wisdom in Loose Form, Leiden 2007, darin die Sentenzen des Pseudo-Phokylides und des Sextus [im Lateinischen als Enchiridion Sexti überliefert]).
Insgesamt ist den beiden Herausgebern und den Mitarbeitern des Bandes für ihr großes Engagement und für diese Form der Grundlagenarbeit zu danken, von der kommende Forschergenerationen noch profitieren werden. Wie schon bei den Bänden 1–7 handelt es sich auch bei TUAT.NF Band 8 um ein unerlässliches Hilfsmittel für den religionsgeschichtlich arbeitenden Alttestamentler, das man, was die ägyptischen Texte betrifft, gerne zusammen mit der von Friedhelm Hoffmann und Joachim Friedrich Quack vorgelegten »Anthologie der demotischen Literatur« (2007) zur Hand nehmen wird.