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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

591–593

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

McKim, Robert [Ed.]

Titel/Untertitel:

Religious Perspectives on Religious Diversity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2016. 258 S. = Philosophy of Religion – World Religions, 6. Geb. EUR 115,00. ISBN 978-90-04-32268-4.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

Im Vorwort benennt der Herausgeber – Professor für Religion und Philosophie an der University of Illinois in Urbana-Champaign – die beiden Doppelfragen, die den zur Mitarbeit an diesem Band eingeladenen jüdischen, muslimischen und christlichen Autoren zur Bearbeitung aufgegeben waren: Wie sehen die »insider« einer Religionsgemeinschaft die »outsider« und deren Religionstraditionen? Wie verstehen sie sich selbst und ihre eigene Religion im Gegenüber zu diesen? In Anknüpfung an seine früheren Arbeiten zu diesem Thema ( Religious Ambiguity and Religious Diversity, 2001, und On Religious Diversity, 2011) hat Robert McKim sie um ihre (religiösen) Deutungen religiöser Diversität gebeten.
Einige der Beiträge setzen sich mit dem religionstheologischen Dreierschema Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus auseinander, die meisten lassen explizit und implizit eine Tendenz zum Inklusivismus erkennen. Sie sind darum bemüht, die Bindung an die je eigene Religionstradition mit einer Wertschätzung anderer Traditionen und deren Anhängern zu verbinden. Dazu (re-)interpretieren sie zentrale Motive aus dem Selbstverständnis der eigenen Tradition (wie den Erwählungs- und Bundesgedanken im Judentum), normative Texte (wie die vatikanische Erklärung »Do­minus Iesus«) oder Ansätze aus der Theologiegeschichte (wie den ›Inklusivismus‹ Al-Ghazalis) in einer Weise, die Anhänger anderer Religionen und diese selbst in eine positiv-partizipative Beziehung zum Identitätszentrum der je eigenen Religion setzt.
Jerome Gellman versteht die Erwählung des Volkes Israel in einem inklusiv-signifikativen und repräsentativ-instrumentellen Sinn: An Israel demonstriere Gott seinen Willen zur Gemeinschaft mit der ganzen Menschheit. Durch diese heilsgeschichtliche Avantgarde ergeht sein Ruf an alle Völker. Eugene Korn zieht die Unterscheidung zwischen dem Sinai- und dem Noahbund zur Beziehungsbestimmung des Judentums zu anderen Religionen heran. Der Bund mit Mose begründe eine einzigartige und exklusive Beziehung der Juden zu Gott, die aber den in Noah mit den anderen Völkern geschlossenen Bund nicht aufhebe. Die Bünde bestehen neben- und miteinander.
Daniel Madigan und Diego Sarrio Cucarella unterziehen nachkonziliare Dokumente, vor allem »Dominus Iesus«, einer Relek­türe. Unter Absehung vom dekretorischen Stil, in dem diese Erklärung verfasst ist, sollen die darin enthaltenen Ansätze einer interreligiösen Wertschätzung gewürdigt werden. Die Erklärung neh­me frühere lehramtliche Äußerungen wie das Konzept der »unüberwindbaren Unkenntnis« (aus der päpstlichen Allokution Singulari quadam von 1854) und einem »unbewussten Verlangen« nach dem mystischen Leib Christi (aus der Enzyklika Mystici Corporis Christi von 1943) auf, um die Heilsmöglichkeit für Nichtchristen zu postulieren. Dem stünden allerdings Begriffe wie »absolut«, »vollständig« und »definitiv« entgegen, die ein zu statisches Verständnis von Offenbarung insinuierten und die Geschichtlichkeit der Gotteserkenntnis unterbestimmt sein ließen.
Die beiden Beiträge von evangelischen Autoren lassen deren Prägung durch evangelikale Theologien erkennen und geben einen Einblick in die dort geführten Diskussionen. John Sanders unterscheidet sechs Ansätze des religionstheologischen Exklusivismus, die (mit Ausnahme des sechsten) den expliziten Glauben an Jesus Christus als Bedingung der Heilsgewährung ansehen, vom Inklusivismus, der diese »belief condition« suspendiert, um die Universalität des Heilswillens Gottes zur Geltung zu bringen. Seine Argumentation läuft auf einen charismatischen – auf das universale Wirken des Geistes Gottes rekurrierenden – Inklusivismus hinaus. Auch Paul Rhodes Eddy arbeitet am religionstheologischen Dreierschema. Seine Überlegungen zielen aber nicht darauf, sich innerhalb dieses Schemas zu positionieren, sondern das Schema als solches durch die Benennung und Widerlegung von fünf Einwänden zu verteidigen.
Die beiden islamisch-theologischen Beiträge eruieren – weniger in koranexegetischer und mehr in theologiegeschichtlicher und systematischer Perspektive – Ansätze und Argumentationsfiguren, die Nicht-Muslime als nicht notwendigerweise von Gott Verurteilte zu sehen erlauben. Mohammad Hassan Khalil vergleicht die drei inklusivistischen Konzepte von Ibn Taymiyya, Ibn Arabi und Al-Ghazali, die in unterschiedlicher Weise die Universalität der Gnade Gottes zum Ausdruck bringen wollen. Angesichts der offensichtlichen Tatsache, dass es Rationalität und Moralität auch unter Nicht-Muslimen gebe, spricht sich Imran Aijaz für eine Revision des Begriffs »kafir« (Ungläubiger) aus.
In den Beiträgen von David Basinger und Robert McKim geht es weniger um theologische Begründungsfiguren interreligiöser Offenheit und mehr um hochschuldidaktische Überlegungen zur Auseinandersetzung mit konkurrierenden Wahrheitsansprüchen in­nerhalb der eigenen Glaubenstradition und zwischen den Traditionen (Basinger) sowie um Komponenten eines Ethos der interreligiösen Bescheidenheit und Großzügigkeit (McKim). Der Beitrag des Herausgebers unter dem bedeutungsvollen Titel »I’m Okay, You’re Okay (more or less)« kreist um den Begriff der religiösen Ambiguität, versteht darunter aber lediglich die Interpretationsoffenheit von Glaubensinhalten, die ihn zur Forderung führt, andere Glaubensweisen zu akzeptieren. Die mit diesem Begriff verbundenen Reflexionen auf die destruktiven Ausprägungen religiöser Überzeugungen bleiben ausgeblendet.
Wenn man den Band nicht an dem vom Herausgeber erhobenen Anspruch misst, dass damit neue Wege der interreligiösen Anerkennung eröffnet werden (20), bietet er durchaus wertvolle Bei-
träge, die die religionstheologischen Debatten auch hierzulande be­fruchten können. Seine interkonfessionelle und interreligiöse (al­lerdings nur auf die abrahamischen Religionen beschränkte) Ausrichtung setzt die innerhalb der jeweiligen Theologien geführten Diskurse in Beziehung zueinander und erlaubt Vergleiche.