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Ausgabe:

Juni/2018

Spalte:

587–589

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Loretan, Adrian

Titel/Untertitel:

Wahrheitsansprüche im Kontext der Freiheitsrechte.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2017. 308 S. = Religionsrechtliche Studien, 3. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-290-20159-3.

Rezensent:

Irene Klissenbauer

Während Adrian Loretan bereits im ersten Band der Religionsrechtlichen Studien »Religionen im Kontext der Menschenrechte« betonte, dass eine gemeinsame Grundlage des friedlichen Zusammenlebens nur dann gegeben sein kann, wenn Muslime, Christen und Atheisten sich auf den pluralistischen Verfassungsstaat einlassen, und in dem zweiten als Sammelband erschienenen »Religionsfreiheit im Kontext der Grundrechte« einige Spezialfragen hierzu aufgriff, widmet sich der nun dritte Band der Religionsrechtlichen Studien der brennenden Frage, wie mit Wahrheitsansprüchen im Kontext der modernen Freiheitsrechte umgegangen werden kann. Dabei wird vor allem an den im zweiten Teil des Bandes von L. beschriebenen konkreten Fragestellungen deutlich, wie zentral dieses Thema für das Zusammenleben in pluralen, multikulturellen Gesellschaften und damit für sie Sozialethik ist.
Vor dem Hintergrund der permanenten Gefährdung der Freiheitsrechte und damit der Menschenwürde verfolgt L. in dem vorgelegten Band mehrere Ziele: Die Bedeutung der Freiheitsrechte für die Achtung der Menschenwürde soll, durch die umfassende Darstellung dieser als zentrale Grundlage moderner, liberaler Gesellschaften, in Erinnerung gerufen werden. In diesem Zusammenhang beschreibt L. auch, unter welch massivem Druck diese durch die Wahrheitsansprüche der Fundamentalismen, aber auch durch populistische Angstszenarien und eine polarisierende poli-tische Kultur und Kultur-Szene stehen. Dabei beschränkt er sich
in seinem Band nicht nur auf die Darstellung dieser vielschichtigen Herausforderungen, sondern entwickelt darüber hinaus auch exemplarische Lösungsansätze, die dazu dienen sollen, diese zeitgenössischen Probleme zu bewältigen. Was es nach L. braucht, ist ein Gespräch zwischen den unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen von Religionsgemeinschaften und den individuellen Freiheitsrechten. Dieser Austausch muss an unterschiedlichen Orten, wie etwa der Schule, der Universität, aber auch in Film, Theater und Kultur im Allgemeinen, geführt werden.
Von besonderem Interesse ist hierbei, dass L. die Freiheitsrechte nicht nur als Kriterium des Sozialismus und des Christentums beschreibt, sondern ebenso auf das Ringen um Freiheitsrechte in islamischen Gesellschaften, am Beispiel der Rechtsstellung der Frau in der iranischen Verfassung, eingeht und hierbei auf die Dissertation von Parinas Parhisi zurückgreift, die in dieser sowohl das derzeitige Verfassungsrecht des Iran als auch die reale Situation von Frauen und die inneriranische Kritik an Frauenrechten untersucht hat. Besonderer Wert kommt diesem erweiterten Blick auch deshalb zu, weil dadurch die Vielfalt und Komplexität der Fragen, von denen moderne Freiheitsrechte (auch außerhalb Europas) konfrontiert sind, umso deutlicher wird. Was sie eint, ist die Wahrheitsfrage und damit jene nach der Rolle der Religion im Staat und dem Umgang mit Pluralität.
L. selbst betont, dass Freiheitsrechte als Kriterium für ein friedliches Zusammenleben jedoch nicht einfach vorausgesetzt werden können, sondern selbst der Überprüfung bedürfen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb bereits im Rahmen der Darstellung der Grundlagen ein ausführlicher Blick auf den Fundamentalismus, im Besonderen christlich und islamisch, geworfen wird, den L. als eine Antwort auf die Freiheitsrechte charakterisiert. Eine weitere zentrale Grundlage sieht L. in der Betonung der Frauenrechte als Menschenrechte, die nicht zuletzt durch den Wahrheitsanspruch fundamentalistischer Gruppierungen weltweit un­ter Druck stehen.
Nach einem umfassenden Blick auf den Umgang mit den Freiheitsrechten in der (katholischen) Kirche, der sowohl historische als auch zeitgenössische Entwicklungen und Fragen (auch Missbrauchsfälle werden hierbei angesprochen) thematisiert, geht L. im Detail auf die Herausforderungen ein, die der Pluralismus für die Gesellschaft im Allgemeinen und die Religionsgemeinschaften im Besonderen mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich für L. klar, dass das, was pluralistische Gesellschaften heute zusammenhält, das Recht ist und dass der Rechtsstaat in Zukunft genauer wird darauf schauen müssen, ob die in ihm praktizierenden Re-ligionsgemeinschaften gegen Grundrechte verstoßen. Die in diesem Band dargestellte lange Auseinandersetzung und das Ringen um die Anerkennung der Menschenrechte von Seiten der katholischen Kirche, die L. auch als noch nicht völlig abgeschlossen sieht, macht die große Herausforderung deutlich, vor der heute, so L., der Islam im Besonderen steht: die Begründung der Menschenrechte von religiöser Seite.
So wird auch augenscheinlich, dass es Aufgabe der Theologie ist, die Notwendigkeit zu erläutern, sich überhaupt mit den Menschenrechten auseinanderzusetzen. Das von L. selbst gebrachte Argument, dass Religionsgemeinschaften und Kirchen Menschenrechte nicht zuletzt deshalb einhalten müssen, um in einer Gesellschaft, in der die Menschenrechte als Standard gelten, noch hochqualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen finden zu können, ist wenig überzeugend. Vielmehr unterstreicht es die von L. selbst mehrfach betonte Dringlichkeit des Dialogs zwischen der Theologie, der Rechtswissenschaft und der Politikwissenschaft, um gemeinsam neue Denkmodelle zu entwickeln und so die beschriebenen Probleme lösen zu können.
Dies zeigt sich vor allem auch im zweiten Teil des Bandes, der der Anwendung der genannten Fragen gewidmet ist und sich im Besonderen mit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung des Islam und der Frage nach dem Umgang mit Geschlechtergerechtigkeit von Seiten der Religionen befasst. Es sind ebensolche Themenbereiche, die die notwendige Zusammenarbeit von Staat und Religion – vor allem im Sinne eines gegenseitigen Korrektivs bei der Umsetzung von gerechten Verhältnissen – deutlich machen.
Der 3. Band der Religionsrechtlichen Studien leistet hier we­sentliche Vorarbeit, indem er eine gute Zusammenschau von historischer Entwicklung, derzeitigem Stand und einem lösungsorientierten Blick in die Zukunft bietet und nicht zuletzt aus diesem Grund lesenswert und empfehlenswert ist.