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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

563–564

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Young, Francis

Titel/Untertitel:

Inferior Office? A History of Deacons in the Church of England.

Verlag:

Cambridge: James Clarke (Lutterworth) 2015. 218 S. Kart. £ 25,75. ISBN 978-0-227-17488-3.

Rezensent:

Matthias A. Deuschle

Charakter und Funktion des Diakonats sind in den evangelischen Kirchen in Deutschland regelmäßig Gegenstand von Diskussionen. Das verwundert nicht, schließlich ist das Amt verhältnismäßig jung und war schon bei seiner Etablierung im 19. Jh. umstritten. Man sollte meinen, in einer Kirche, in der dieses Amt seit jeher existierte und für die das dreifache Amt zum Selbstverständnis gehört, sei dies anders. Dass dies nicht der Fall ist, belegt die vorliegende Studie. Sie verfolgt den Wandel des Diakonenamtes in der Church of England von seinen Anfängen in der Reformationszeit bis in die Gegenwart. Dabei geht es nicht um das Diakonat als einer Durchgangsstation auf dem Weg zur Priesterweihe, sondern um das lebenslange Diakonat, dessen Eigenständigkeit und Eigenart neben den beiden anderen Ämtern immer wieder für Diskussionen sorgte.
Die Untersuchung von Francis Young besticht durch zweierlei: zum einen durch die nüchterne Betrachtung. Dass das Amt ein Schattendasein führt, wird zwar durchgängig erwähnt, jedoch führt der Vf. keinen Kampf für das lebenslange Diakonat, er erzählt schlicht »a history of a marginalised institution« (XXXII). Zum an­deren besticht die Arbeit durch den sozialgeschichtlichen Ansatz. Es wird konsequent danach gefragt, von welchen Personen unter welchen Bedingungen und an welchen Orten das Amt ausgefüllt wurde. Dass es sich um ein »marginalisiertes Amt« handelt, macht die Spurensuche zu einem komplizierten Unterfangen, zu dem ganz unterschiedliche Quellenarten herangezogen werden müssen, wobei besondere Aufmerksamkeit den Immatrikulationsverzeichnissen aus Canterbury gewidmet wird, die – im Unterschied zu denjenigen aus Oxford – für die Fragestellung fruchtbare Details enthalten (vgl. 19).
Theologische Grundsatztexte, bei denen allererst eruiert werden muss, inwiefern sie die Wirklichkeit abbilden, werden zwar auch behandelt, allerdings eher im Hintergrund. Durchgängig werden jedoch Ordinationsformulare herangezogen. Auffällig ist, dass je näher die Darstellung an die Gegenwart heranrückt, desto mehr die theologischen Grundsatztexte in den Vordergrund rücken, was schlicht an der Menge der Textproduktionen im 20. Jh. bis hin zur Gegenwart liegen dürfte. Insgesamt umfasst das Buch fünf Kapitel, von denen sich die ersten vier der geschichtlichen Entwicklung und das letzte der gegenwärtige Stellung der Diakone in der Church of England widmen.
Die Grundspannung zwischen dem selbständigen Diakonat und dem Diakonat als Vorstufe oder Teilbereich des Priesteramtes wird bereits im ersten Kapitel bei der Schilderung der Neuordnung des Amtes unter Edward VI. deutlich, wenn das Diakonat einerseits, so die Konzeption von Bucer und Cranmer, als »distinctive office« eingeführt werden soll, es im Ordinationsformular aber als »inferior office«, dem Priester untergeordnet, bezeichnet wird (8 f.). Diese Spannung – selbständiges Amt oder abgeleitetes, untergeordnetes Amt – durchzieht die ganze Geschichte. Die Darstellung stellt klar vor Augen, wie die Sicht des Diakonats in der Regel mit unterschiedlichen theologischen Strömungen oder Interessen korreliert: In der elisabethanischen Kirche beispielsweise werden die Diakone Assistenten der Priester, was dazu führt, dass die Puritaner dem Diakonat kritisch gegenüberstehen.
Das Buch bietet neben einem guten Überblick und zahlreichen Entdeckungen auch neue Perspektiven, insbesondere in den Kapiteln über das 18. und 19. Jh. Während für das 18. Jh. die Meinung vorherrscht, es gebe das Diakonat nur als Durchgangsstadium, kann der Vf. zeigen, dass mit knapp 10 % die lebenslangen Diakone einen weitaus größeren Anteil ausmachen als vermutet, wobei so­wohl die Gründe für die Wahl dieses Amtes als auch seine Ausgestaltung alles andere als einheitlich sind (vgl. 51). In strukturschwachen Gegenden konnte es unter anderem dazu dienen, als »workforce of the Church of England« (41) Laienaktivitäten in engen Grenzen zu halten. Das innovative Potential des Amtes wird an Persönlichkeiten wie John Wesley und George Whitefield aufgezeigt (55 f.), die allerdings beide später zu Priestern geweiht wurden (zu Wesleys Verständnis des Diakonates vgl. 57–60).
Das 19. Jh. gilt in der Regel als Blütezeit des Diakonenamtes. Die soziale Frage und die Entkirchlichung der Großstädte bildeten den Hintergrund für den Ruf nach einem Amt, das die Brücke zwischen den Geistlichen und den Laien bilden sollte (63). Wahlweise sollte das Diakonat die der Kirche entfremdeten Massen erreichen oder als Gegenmittel gegen den Landgewinn der Dissenters dienen. Ausgehend von Thomas Arnolds Konzeption bietet der Vf. einen Überblick über die breite Diskussion und die Fülle von Grundsatzpa-pieren, die im 19. Jh. entstanden, kommt aber schließlich zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die zahlreichen Entwürfe weit hinter ihren Ansprüchen zurückblieben und durch die Unbeweglichkeit der institutionellen Gegebenheiten keine Chance hatten (84 f.).
Wie das Diakonat regelmäßig zum Schauplatz für Stellvertreterkriege wurde, verdeutlicht bestens das Kapitel zum 20. Jh., in dem die Diskussion um die Frauenordination bestimmend wurde. Die Belebung, die das Diakonat durch die Öffnung für Frauen 1987 erhielt, sollte nicht von langer Dauer sein und endete sieben Jahre später, sobald Frauen zum Priesteramt ordiniert werden konnten. Damit begann die jüngste Debatte um »a renewed Diaconate in the Church of England«, wie der Untertitel des 2001 veröffentlichten Papiers »For Such a Time as This« lautet (119–123).
Der Durchgang durch die Jahrhunderte ist eine Fundgrube bei der Suche nach Begründungsfiguren für ein eigenständiges Diakonat, allerdings werden diese zugleich durch die Konfrontation mit der realen Entwicklung des Amtes massiv in Frage gestellt. Dadurch befördert die Studie, die durch eine Chronologie der wichtigsten Stationen, ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein detailliertes Register abgerundet wird, die realistisch-sachliche Betrachtung eines »marginalisierten Amtes«, für das der Vf. am Endes des Buches dann doch noch eine Lanze zu brechen scheint (vgl. 148). Die instruktive Studie ist nicht nur ein kirchengeschichtliches Lehrstück, sondern ein Muss für alle Diakonatstheoretiker.