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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

560–562

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Podgorelec, Ivan

Titel/Untertitel:

Marienrede, nicht Mariologie. Die Gestalt Marias bei Karl Barth. Geleitwort v. B. Körner.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2017. 447 S. = Mariologische Studien, 26. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-7917-2883-4.

Rezensent:

Frank Jehle

Im Unterschied zu andern evangelischen Theologen hatte Karl Barth keine Berührungsängste gegenüber dem Katholizismus. Be­reits in einer seiner Safenwiler Predigten sagte er am Reformationssonntag 1911, die Glocken in einem katholischen Nachbardorf seien ein Zeichen dafür, dass auch dort Gott gesucht und gefunden werde. Und nach Ausbruch des Weltkriegs im Sommer 1914 er­wähnte er auf der Kanzel das Gebet für den Weltfrieden Papst Pius X. als den zurzeit einzigen Lichtpunkt. Als Professor in Münster in Westfalen und in Bonn benützte er das Vorhandensein einer katholischen theologischen Fakultät zu intensiven persönlichen Kontakten. Als spektakulär wurde empfunden, dass er im Wintersemester 1928/29 den Jesuiten Erich Przywara in sein Seminar über Thomas von Aquin einlud. Umgekehrt nahmen Vertreter der katholischen Theologie Barth von Anfang an ernst. Karl Adam in Tübingen schrieb 1926, dass Barths »Römerbrief« wie eine Bombe auf dem Spielplatz der Theologen eingeschlagen habe. Bekannt sind die Barthstudien Hans Urs von Balthasars (1951), Hans Küngs und Henri Bouillards (beide 1957).
Das hier anzuzeigende Buch reiht sich in diese Tradition ein. Ivan Podgorelec (geb. 1963) ist ein Unbeschuhter Karmeliter in Kroatien und dort Priester an einem Marienheiligtum. Theologie studierte er in Zagreb. Bei einem Sabbatical in Graz schrieb er diese umfangreiche Dissertation. In bewundernswerter Weise las er sich in das für ihn ursprünglich fremde Thema ein. Aus sämtlichen ihm zugänglichen gedruckten Werken Barths trug er dessen Äußerungen über Maria, die Mutter Jesu, zusammen. Er verarbeitete auch viel Sekundärliteratur evangelischer, eines orthodoxen und katholischer Autoren. (Die gewichtige Studie des Schweizer Fundamentaltheologen Heinrich Stirnimann O. P. »Marjam, Marienrede an einer Wende« von 1989 scheint ihm entgangen zu sein.) P. zeichnet sich durch eine irenische Haltung aus und versucht, Barths Gedankengänge so korrekt wie möglich nachzuzeichnen. Am Schluss des Buches versichert er, er wolle ihn nicht »ungerechterweise für die katholische Kirche vereinnahmen« (435).
Einiges Stirnrunzeln bereitete dem Rezensenten, dass P. im Bücherschreiben eher unerfahren ist. Die Disposition ist nicht im­mer geschickt, besonders wenn er die Äußerungen Barths über Maria nicht (oder nur teilweise) chronologisch ordnet, sondern von den verschiedenen literarischen Gattungen ausgeht. Dies führt da­zu, dass inhaltlich Zusammengehöriges auseinandergerissen wird. Man muss hin und her blättern. Ein Register fehlt (das Inhaltsverzeichnis ist allerdings detailliert). Da Barth während Jahrzehnten weitgehend die gleiche Position vertrat, gibt es Redundanzen.
Aber was soll’s? Wenn man das Buch rückwärts liest, wird deutlich: P. hat gute Arbeit geleistet. Für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen wollen, bleibt es als Materialsammlung unersetzlich. Schade ist, dass P. von seiner eigenen mariologischen Position kaum etwas verrät. Gerne würde man erfahren, was er z. B. persönlich von der von Barth als »Wucherung« scharf kritisierten »Lauretanischen Litanei« hält, diesem nach dem Marienwallfahrtsort Loreto genannten und auch von den heutigen Päpsten hochgehaltenen Gebet mit den fast unzähligen Marienprädikaten wie: »Jungfrau der Jungfrauen«, »Mutter der Kirche«, »unbefleckte Mutter«, »Pforte des Himmels, »Königin der Engel« usw.
Karl Barths Haltung gegenüber Maria lässt sich nach P. knapp so zusammenfassen: 1. Wie bereits angedeutet, lehnt er die katholische Mariologie ab, wie sie z. B. in der »Lauretanischen Litanei« zum Ausdruck kommt und die er eine »Wucherung« nennt, die vom Wesen des christlichen Glaubens ablenkt. In einem vergleichsweise frühen Text spricht Barth sogar von einer »nicht nur überflüssige[n] und künstliche[n], sondern verderbliche[n] Spielerei« (95). In einem Brief an Hans Küng nennt er die Mariologie »ein schon im Ansatz zum Absterben verurteiltes und darum morsches Gebilde« (134). Wie P. zusammenfassend sagt, sei die Mariologie für Barth »eine Bedrohung für das Werk und Wort Gottes in Jesus Christus«. »Die von der Mariologie erfundene und ausgeschmückte regina coeli stehe in unvermeidlicher Konkurrenz mit dem himmlischen Vater.« (137)
2. Doch das ist wichtiger: Im Unterschied zur liberalen Theologie, von der er herkommt, und auch von »positiven« evangelischen Theologen wie Reinhold Seeberg, Paul Althaus und Emil Brunner, hält Barth, wie P. betont, viel von der Lehre von der Jungfrauengeburt und vom Marientitel Theotokos (Gottesgebärerin) des Konzils von Ephesus 431. Dieser Titel hat für ihn, wie P. richtig sieht, allerdings anders als für die traditionelle katholische Theologie keine mariologische Bedeutung, sondern eine christologische. Das »Ge­heimnis von Weihnachten« ist für Barth unaufgebbar: Das Kind in der Krippe ist wirklich Gott in Person! Das »Wunder von Weihnachten« (gegenüber dem »Geheimnis« sekundär), die Jungfrauengeburt, zeigt dagegen, wie P. zu Recht festhält, dass die Erlösung ausschließlich Gottes Werk ist. »Das biblische Zeugnis, dass Jesus eine menschliche Mutter, aber keinen menschlichen Vater hatte«, versteht Barth – so P. zutreffend – »als einen starken Ausdruck für die Wahrheit, dass der Mensch Jesus von Nazareth nicht aus der menschlichen, von Männern gemachten Geschichte heraus stammt« (372). Barth wird von P. folgendermaßen zitiert: »Gott selbst fängt an zu sein […] im Leib der Maria – aber Gott selbst durch Gott selbst – […] ohne Vater, ohne Zeugung, ohne den Menschen als Ursache des Menschen, darum eben ›geboren aus Maria der Jungfrau‹.« (33) Eine »menschliche Eignung für Gott« und eine »Befähigung zur Mittlerschaft« gebe es nicht. Die Gestalt Mariens ist gemäß dem sorgfältigen Referat P.s ein »Zeugnis für das Außerordentliche Gottes«, das für Barth die »Barmherzigkeit Gottes« ist, »die sich des Menschen annimmt« (40).
Deutlich wird bei P., weshalb Barth einerseits manche Katholiken irritiert – wegen seiner fundamentalen Kritik an der katholischen Mariologie – und anderseits viele von ihnen anzieht. Sie wissen sich von seiner Wertschätzung des Ausdrucks »Gottesgebärerin« angesprochen. P. und vor ihm schon andere römisch-katholische Autoren weisen gerne darauf hin, dass Barth sich im Verlauf seines langen Lebens gewandelt hat. In den letzten, von ihm publizierten Bänden der »Kirchlichen Dogmatik« betont er die Aktivität des von Gott angesprochenen Menschen stärker als in seiner »dialektischen« Zeit. Der Jesuit Klaus Riesenhuber machte bereits 1973 auf eine Stelle in Barths »Kirchlicher Dogmatik IV/3« (erschienen 1959) aufmerksam, dass ein Christ vor Gott »nicht bloß ein von ihm bewegtes und benütztes totes Instrument«, sondern ein »lebendiges und also tätiges Subjekt« sei. Der späte Barth könne deshalb in Maria das »Urbild und Exemplar aller zum Glauben und zum Gehorsam und zum Dienst berufenen und bestimmten Christen« erkennen (347). Bahnt sich hier nicht eine Annäherung zwischen der evangelischen und der katholischen Theologie an?
Gestützt auf einen Aufsatz Heinrich Otts, Barths Nachfolger in Basel, referiert P., dass Barth an Mariä Empfängnis, am 8. Dezember 1968 (zwei Tage vor seinem Tod), eine katholische Radiopredigt hörte, und zwar »im nachkonziliaren Geiste«. Dem Radioprediger schrieb Barth (vielleicht in seinem letzten Brief), »man habe wohl diese ganze Frage der Mariologie theologisch doch noch nicht aufgearbeitet und man müsse sie auch evangelischerseits noch einmal von Anfang an durchdenken. Das sei ihm durch diese Predigt klar geworden.« (259) P. sagt deshalb am Schluss seines Buches etwas vollmundig, die »Entwicklung und Wandlung in Barths Kritik an der Mariologie« habe in dieser »totalen Wende« ihren »Endpunkt« erreicht. »Von den anfänglichen kritischen Äußerungen über die schonungslose Kritik zum moderaten Ton bis zur Zurücknahme der Kritik an der Mariologie«, so lasse sich der »Weg des ständigen Ringens von Karl Barth mit der Mariologie beschreiben« (435). Darüber muss man diskutieren.