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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

557–559

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Melloni, A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Great Councils of the Orthodox Churches. From Constaninople 861 to Moscow 2000. 2 vols. Vol. I: From Constantinople 861 to Constantinople 1872. Vol. II: From Moscow 1551 to Moscow 2000.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers 2016. XXXII, 1096 S. = Corpus Christianorum Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta, 4.1–2. Geb. EUR 495,00. ISBN 978-2-503-52529-7.

Rezensent:

Martin Illert

Die beiden Bände stehen in der alten Tradition westlicher Ausgaben ostkirchlicher Synodaltexte. Auf den ersten Editionen, die im Klima der konfessionellen Polemik der Reformationszeit erschienen waren, bauten spätere Sammlungen wie die »regia« der Pariser Jesuiten Philippe Labbé (1607–1667) und Gabriel Cossard (1615–1674) und die »amplissima« des italienischen Polyhistors und Erzbischofs von Lucca, Giovanni Domenico Mansi (1692–1769) auf. Seit eine wachsende Zahl von Stücken des »Mansi« durch kritische Editionen ersetzt wurde, traten allmählich interkonfessionelle und internationale Kooperationen an die Stelle alter apologetischer Profilierungen bei der Edition und Erforschung der Konzilstexte. Diesem ökumenischen Wandel entsprechend haben sowohl römisch-k atholische als auch orthodoxe und evangelische Forscher an den vorliegenden Bänden mitgearbeitet und ein Werk erstellt, das höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
Welch tiefgreifenden Veränderungen die orthodoxen Kirchen im dokumentierten Zeitraum unterworfen waren, macht ein Vergleich des ältesten Dokumentes, der unter Patriarch Photios (858–867 und 878–886) abgehaltenen »Protodeutera«-Synode von 861, mit dem jüngsten Dokument, der Millenniumssynode des Moskauer Patriarchats aus dem Jahr 2000, deutlich. Während das erste Dokument noch innerhalb der kirchenrechtlichen Strukturen der Spätantike denkt, setzt das Millenniumsdokument nicht allein den 1054 vollzogenen Bruch der Orthodoxie mit Rom, sondern vor allem die Umgestaltung des »byzantinischen Commonwealth« (Obolensky) zur Gemeinschaft der aktuell vierzehn autokephalen Kirchen der Panorthodoxie voraus. Auch der Umstand, dass nach dem Ende des für den Synodenvorsitz verantwortlichen byzantinischen Kaisertums die russische Kirche eine Führungsrolle in der Orthodoxie für sich beanspruchte, tritt beim Vergleich des letzten mit dem ersten Dokument hervor. Dass schließlich auch das theologische Denken der Orthodoxie weder mit den Auseinandersetzungen um den Hesychasmus in 14. Jh. noch mit den Diskussionen über reformatorische Einflüsse in der Theologie im 17. Jh. oder über den Phyletismus im 19. Jh. endete, verdeutlichen die sozialethischen Themen der Millenniumssynode. Schon diese grobe Gegenüberstellung lässt erahnen, vor wie vielschichtigen kirchenpolitischen, kirchenrechtlichen und theologischen Herausforderungen die orthodoxen Synoden im behandelten Zeitraum von zwölf Jahrhunderten standen, deren jeweils spezifische Gestalt die einem jeden Text vorangestellten kirchen- und theologiehistorischen Einführungen kenntnisreich skizzieren.
Die Entscheidung der Herausgeber, orthodoxe synodale Dokumente als Ergänzung der zwischen 2006 und 2013 publizierten Reihe katholischer Konzilsdokumente vorzulegen, stellt die orthodoxen Dokumente aber nicht allein in ihren unmittelbaren kirchenhistorischen Kontext, sondern regt die Leser zugleich dazu an, oft vernachlässigte Wechselbeziehungen zwischen westlicher und östlicher Kirchenpolitik und Theologie zu bedenken. Die Lektüre der orthodoxen Synodenbeschlüsse insbesondere des ersten Bandes macht das Konzept der Ergänzung westlicher Konzilstexte durch ihre östlichen Entsprechungen unmittelbar plausibel. Während nämlich unter Photios die kirchliche Gemeinschaft mit der lateinischen Kirche ohnehin nur vorübergehend infrage gestellt zu sein schien, nahmen selbst die nach dem Schisma von 1054 abgehaltenen Synoden orthodoxe Positionsbestimmungen vor, deren Eigenart vielfach erst durch den Blick auf parallele oder gegenläufige Entwicklungen der westlichen Kirche fassbar wird. Dies gilt nicht allein für die Synoden von 1285 und 1484, auf denen die 1272 in Lyon bzw. 1438 in Florenz geschlossene Union mit der lateinischen Kirche widerrufen wurde. Vielmehr positionierte sich die Orthodoxie ebenso 1341, 1347 und 1351, als man die Lehre des Gregor Palamas (1296–1356) bestätigte und den scholastischen Ansatz Barlaams von Kalabrien (1290–1348) verurteilte, und darüber hinaus auch 1691, als man die Transsubstantiationslehre im Sinne der orthodoxen Eucharistielehre deutete, in kritischer Auseinandersetzung mit dem lateinischen Westen.
Neben der römischen Kirche traten auch weitere Kirchen in das Blickfeld der orthodoxen Synoden. Die Synode von 1030 bestimmte das Verhältnis zur syrisch-orthodoxen Kirche, während die 1638 und 1642 zusammengetretenen Synoden durch die Verurteilung des Bekenntnisses des Patriarchen Kyrillos Loukaris (1572–1638) eine Auseinandersetzung mit Lehren der Reformation, insbesondere mit der reformierten Theologie, führten. Der Plan der Herausgeber, die Bände zur Orthodoxie durch weitere Bände zu den Altorientalen und zum Protestantismus zu ergänzen, wird deshalb den vielfachen »ökumenischen« Kontexten der Synodaldokumente hervorragend gerecht.
Dass die orthodoxen Synoden als »ökumenische Konzilien« be­zeichnet werden, ist dem übergreifenden Konzept der Gesamtreihe geschuldet. Die Herausgeber legen hier ein spezifisch römisch-katholisches Verständnis der Synodalität zugrunde, dem gemäß jede Gesamtsynode zugleich auch ein ökumenisches Konzil ist. In den nach dem 13. Jh. entstandenen orthodoxen Dokumenten ist ein solcher Anspruch allerdings nicht erkennbar. Dass für die Orthodoxie im Übrigen nicht der universalistische Machtanspruch eines kanonischen Kirchenrechtes die Geltung der synodalen Entscheidungen begründet, sondern die liturgische Rezeption, belegen in Besonderheit die den ersten Band abschließenden griechischen, georgischen, bulgarischen, serbischen und russischen Versionen des »Synodikon der Orthodoxie«, das bis heute am ersten Sonntag nach Ostern im Gottesdienst verlesen wird.
Diesen liturgischen Sitz im Leben orthodoxer kirchenrechtlicher Dokumente erläutert der Leiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion Alfeev, in seiner Hinführung zu den im zweiten Band dokumentierten Synoden der russischen Kirche am Begriff der »Konziliarität«/»Katholizität« (russ. »sobornost«). Diese bezeichne nicht primär eine administrative oder juristische Dimension, sondern beschreibe vor allem die liturgische, in der Eucharistie gründende Gemeinschaft der Kirche und der miteinander in eucharistischer Liebe verbundenen orthod oxen Lokalkirchen. Folgt man Hilarions liturgischem Ansatz, dann steht jede Lokalsynode ebenso in einer Beziehung zur Ge­samtorthodoxie wie jede orthodoxe Eucharistiefeier die feiernde Gemeinde in das ostkirchliche »Pleroma« der Gesamtkirche einbindet. Der so eingeleitete, zweite Band beginnt mit der Hundert-Kapitel-Synode (russ. »Stoglav«) von 1551, auf der u. a. der – mög-licherweise als Fernwirkung der Reformation zu verstehende – Be­schluss gefasst wurde, in allen russischen Städten Schulen zu errichten.
Die als zweites Dokument präsentierten Synodenbeschlüsse von 1666–67 entschieden rituelle Fragen durch den Rückgriff auf byzantinische Traditionen und entfremdeten damit die Gruppe der Altgläubigen. Aus dem 20. Jh.werden das Landeskonzil von 1917–18, auf dem das Patriarchat »von Moskau und ganz Russland« wiederhergestellt wurde, die zur Feier der 500-jährigen Autokephalie abgehaltene Synode von 1948, die Synode von 1971, die Landessynode zum Taufmillennium von 1988 und abschließend die Millenniumssynode von 2000 dokumentiert. Insbesondere im um­fangreichen Schlussdokument mit seinen Entscheidungen zur Individualethik, zur Bioethik und zur Ökologie scheinen zentrale Motive der für den dritten Band vorgesehenen, panorthodoxen Synode von Kreta vorab anzuklingen. Damit wird auch deutlich, dass die Beschlüsse von 2016 allen innerorthodoxen Kontroversen zum Trotz zu beachtlichen Teilen auch auf Vorarbeiten der russischen Orthodoxie zurückgreifen.
Ein Verzeichnis der zitierten Bibelstellen und ein Verzeichnis der weiteren Quellen runden dieses verdienstvolle Werk ab.