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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

555–557

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Link, Hans-Georg, u. Barbara Rudolph [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Nehmt einander an. Der ökumenische Weg der Evangelischen Kirche im Rheinland zwischen dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Reformationsjubiläum (1960–2017).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 482 S. m. 2 Abb. Geb. EUR 35,00. ISBN 978-3-7887-3098-7.

Rezensent:

Jörg Bickelhaupt

Eine, vielleicht sogar die zentrale Herausforderung für die Ökumene besteht in der aktiven Rezeption ihrer theologischen Inhalte wie ihres historischen Verlaufs, konkret: in der Vergegenwärtigung zentraler Ereignisse wie auch der fortlaufenden Wiederaufnahme von und der Beschäftigung mit ökumenischen Themen, Texten und Dialogen. Es wundert nicht, dass zuweilen der Seufzer zu hören ist, mit jeder neuen Theologen-Generation fange man in oecumenicis in gewisser Weise wieder »bei Adam und Eva« an und bei neuen Beauftragten in diesem Bereich bestehe zumindest po­tentiell die Gefahr einer Analogie zu jenem Pharao, der von Josef nichts mehr wusste (Ex 1,8).
Mit dem Werk »Nehmt einander an« unternimmt man es in der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Details der Entstehung und Geschichte eines neuen Verhältnisses zur römisch-katholischen Kirche (die Multilateralität von Ökumene bleibt dabei stets im Blick) dem drohenden Vergessen zu entreißen, denn die Protagonisten der Ökumene der ersten Stunde in den 50er und 60er Jahren leben heute großenteils nicht mehr. Allererste ökumenische Kontakte in den 1930er Jahren wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen; schließlich in den 1960er Jahren der charismatische rheinische Präses Joachim Beckmann, ein fundierter Kenner und Förderer der Ökumene, der früh (um ein Wort des Zweiten Vatikanischen Konzils aufzugreifen) die ökumenischen »Zeichen der Zeit« erkannte, die jenes Konzil und seine Verlautbarungen auch für die evangelische Kirche bedeuteten.
Zwei profilierte Ökumeniker, die wie kaum zwei andere für Geschichte und Gegenwart der Ökumene in der EKiR stehen, ha­ben diese Dokumentation auch im Sinne einer darstellenden Vergewisserung konzipiert und herausgegeben, indem sie Rückblick und Ausblick mit einer zusammenfassenden Darstellung ökumenisch relevanter Texte aus dem Bereich der EKiR aus sechs Jahrzehnten verbinden: Hans-Georg Link – langjähriger Kölner Ökumenepfarrer, entscheidender Mit-Initiator ökumenischer Gemeindepartnerschaften, der als Theologe die Entwicklungen der Öku­mene über Jahrzehnte hin verfolgt, begleitet und selbst gestaltet hat – und Barbara Rudolph, in den vergangenen 20 Jahren eine der be­deutenden evangelischen Persönlichkeiten der Ökumene in Deutschland, zunächst als Geschäftsführerin der Bundes-ACK, nun als theologisches Mitglied der Kirchenleitung sowie Leiterin der Abteilung Theologie und Ökumene im Landeskirchenamt der EKiR.
Der Untertitel des Werks umschreibt dessen Inhalt: »Der ökumenische Weg der Evangelischen Kirche im Rheinland zwischen dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Reformationsjubiläum (1960–2017)«. Das Buch ist auf die EKiR und die Geschichte ihrer sich entwickelnden ökumenischen Beziehungen in ihrem Bereich fokussiert; das ist schon darum sachgemäß, weil sich etwa eine gesamtdeutsche Darstellung mit einer schier unüberschaubaren Vielfalt von Texten befassen müsste und dieses Werk anregt, die Ökumene-Geschichte der eigenen Kirche im Blick auf Parallelen und Unterschiede zu untersuchen. Die Veröffentlichung fokussiert auf jenen Zeitraum, da sich in ihm das Verhältnis zwischen der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche (nicht nur) im Rheinland in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils grundlegend neu justiert hat – es impliziert aber stets auch die multilaterale Perspektive, in der die Catholica-Themen der Natur der Sache nach stark überwiegen, aber keineswegs alleine da stehen.
Nach einem Vorwort von Präses Manfred Rekowski und einem Grußwort des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki skizziert Hans-Georg Link in einer »Einführung« (17–80) »die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die Evangelische Kirche im Rheinland«. Nach einer Darstellung von »Öffnungen und Spannungen zwischen den Konfessionen vor dem Konzil« (I., 17–25) be­schreibt er in einem II. Kapitel »Aufbrüche und Wechselwirkungen während des Konzils«, in dem er vor allem die Rezeptionen und kritischen Würdigungen von Konzilstexten und -ereignissen durch Präses Beckmann vor der rheinischen Landessynode darstellt und kommentiert (25–36). Die ökumenischen Aufbrüche und Konsequenzen in der Folge des Konzils, aber auch zuweilen retardierende Ereignisse stellt Link in Kapitel III. unter der Überschrift »Auswirkungen auf die ökumenische Zusammenarbeit nach dem Konzil« dar. Er benennt darin drei zentrale Zeitabschnitte: Ein erster Abschnitt (37–43) reicht vom Kölner Kirchentag 1965 zur Landessynode 1973, beginnend mit dem epochalen Podiumsgespräch zwischen Präses Beckmann und Lorenz Kardinal Jaeger auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1965. In der Folge entwickelten sich vielerorts ökumenische Kooperationsstrukturen; jene Aufbruchphase mündete in die rheinische Landessynode von 1973 un­ter dem Titel »Ökumene am Ort«.
Ein zweiter Abschnitt (43–55) umschließt das Jahrzehnt der 1990er Jahre, in dem sich erstmals in bedeutendem Umfang Ökumene in kritischer Zeit zu bewähren hatte: a) das Schreiben der römischen Glaubenskongregation »Über einige Aspekte der Kirche als Communio« (1992), die ganz überwiegend kritischen Reaktionen aus dem evangelischen Bereich hierauf, aber auch die erläuternden Schriftwechsel zwischen Präses Peter Beier und Joseph Kardinal Ratzinger sowie die Verlautbarungen der rheinischen Synode in diesem Zusammenhang; b) die Feier der 450. Wiederkehr des Entscheidungsjahres 1543 mit dem schließlich gescheiterten Reformprogramm des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied; c) das Jahr 1996 mit gleich drei bedeutenden Ereignissen – einer Taufvereinbarung der EKiR mit den fünf katholischen Bistümern Köln, Aachen, Münster, Essen und Trier, die die unsägliche Pra-xis der Konditionaltaufe bei Übertritten getaufter evangelischer Christen in die römisch-katholische Kirche beendete; die ökumenischen Veranstaltungen zu Luthers 450. Todesjahr sowie die ökumenische Einladung des Trierer Bischofs Hermann Josef Spital zur Heilig-Rock-Wallfahrt, die seinerzeit angenommen und ja 2012 unter der Überschrift einer »Christuswallfahrt« erneuert wurde; d) die in ihrer ökumenischen Wirkung äußerst heterogenen Publikationen (ab extra) zur Jahrtausendwende, die das ökumenische Klima (nicht nur im Rheinland) noch für lange Zeit bestimmen sollten – zwischen der Annäherung in der grundlegenden, zur Reformationszeit die konfessionelle Trennung auslösenden Frage der Rechtfertigung in der »Gemeinsamen Erklärung« von 1999 und der Erklärung »Dominus Iesus« der römischen Glaubenskongregation vom 6. August 2000, mit ihrer invertierenden Hermeneutik der Rezeption und Zitation der die Ökumene betreffenden Texte des Vaticanum II. Ein dritter Abschnitt (55–59) untersucht regionale Akzente, insbesondere im Blick auf die Beziehungen zu den ein-zelnen Bistümern. Das die Einführung abschließende Kapitel IV (59–8 0) untersucht »Theologische Auswirkungen auf das Leben der Evangelischen Kirche im Rheinland« und stellt dies anhand von sechs Themenfeldern dar: Gottesdienst, Taufe und Rechtfertigung, Abendmahl, konfessionsverschiedene Ehe, Kirchen- und Ordina-tionsverständnis, Verhältnis von Christen und Juden.
Auf diese Einführung folgen die – den Großteil des Bandes um­fassenden – Publikate der einzelnen Jahrzehnte, gegliedert von den 1960er bis zu den 2010er Jahren (Letztere mit den Schwerpunkten Heilig-Rock-Wallfahrt 2012 und Reformationsjubiläum 2017).
Nach der eher genetischen Darstellung bis dahin bindet Barbara Rudolph in ihrem Nachwort (478–482) Rückblick und Ausblick zusammen. »Die Aufgabe der Ökumene wird in der Zukunft sein, in kooperativer, arbeitsteiliger und stellvertretender Zusammenarbeit neue Wege des kirchlichen Miteinanders zu bahnen.« (480) Hierzu ist eine solche Dokumentation im Sinne einer – gemeinsamen – Vergewisserung sinnvoll und zielführend. Es wäre interessant zu lesen, wie man etwa im Erzbistum Köln (oder in einem der anderen Bistümer) eine solche Dokumentation verfassen würde, wie man die nun vorliegende liest und wie weit man die eigene Perspektive in ihr wiederfindet? Solche Vergewisserung ist auch darum wichtig, weil Entwicklungen oft erst in einer Perspektive sichtbar werden, die das eigene Er-Leben übersteigt. Die grund-legende ökumenische Verbundenheit unserer Tage ist in ihrer Verankerung in den Kirchen inzwischen selbst mit jener des ökumenischen Aufbruchs der späten 1960er Jahre in der Folge des Konzils nicht mehr zu vergleichen – von den 1950er Jahren ganz zu schweigen.
»Nehmt einander an« – diesem Buch sei eine zahlreiche Leserschaft, nicht nur innerhalb der EKiR, ebenso gewünscht wie weitere Auflagen.