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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

551–553

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Sendler-Koschel, Birgit

Titel/Untertitel:

In Kommunikation mit Wort und Raum. Bibelorientierte Kirchenpädagogik in einer pluralen Kirche und Gesellschaft.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2016. 379 S. = Arbeiten zur Religionspädagogik, 58. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-8471-0532-9.

Rezensent:

Mirjam Zimmermann

Die im Jahr 2015 von der Universität Hildesheim (Betreuer: Martin Schreiner und Bernhard Dressler) angenommene Dissertation verknüpft bibeldidaktische Fragen mit dem Konzept der Kirchenpädagogik. Als experimentelle religionsdidaktische Praxis entwickelte sich die Kirchenpädagogik seit den 1970er Jahren mit dem An­spruch, kunsthistorische und theologische Zugänge zum Kir-chenraum und seiner Ausstattung als inszenierte Verlangsamung aktiv-entdeckend anzuleiten. In theorieorientierten wissenschaftlichen Diskursen ist das Themenfeld aber bisher eher randständig bearbeitet worden, während viele Publikationen für die Praxis zugänglich sind. Die Arbeit von Birgit Sendler-Koschel stellt nun nicht nur Entwicklungslinien dieses religionspädagogischen Konzepts dar, sondern geht anhand der Leitbegriffe Wort und Raum weit darüber hinaus, indem ein eigenes Konzept profiliert wird, das »das Wort Gottes als Ereignis der Aktualisierung des Christusgeschehens in der je individuell bedeutsamen Kommunikation und Rezeption des Evangeliums in Wort-Raum-bezogenen Lernprozessen« (222) zum Inhalt hat.
Die Struktur der Arbeit ist gut zu erschließen, die komplexe, begriffslastige Sprache dagegen fordert bisweilen heraus. In einem ersten Teil (21–137) werden die Genese, die Begrifflichkeit und das bisherige Spektrum der Kirchenpädagogik umfassend aufgearbeitet und reflektiert.
Die Vfn. fokussiert dann ihre Analysen wie durch den Untertitel bereits angezeigt auf einen bibelorientierten Schwerpunkt (108–126) und fragt: »Kommt bei kirchenpädagogischen Erschließungen für die Lernenden in den Blick, dass nicht nur Architektur und Kunst durch die biblische Tradition inspiriert wurden, sondern dass sie in Beziehung stehen zur sich ständig neu ereignenden Aktualisierung der Bibel als des in Gottesdienst und Andacht zur Verkün-digung kommenden Wortes Gottes?« (17) Sie stellt ihre Untersuchung damit zugleich unter die abstraktere Leitfrage, ob und wie die Kirchenpädagogik eine Kirche als Wortraum erschließen kann. Dazu werden bibelorientierte Auslegungsperspektiven in der bisherigen Kirchenpädagogik und ihre Bedeutung in einer konfessionssensiblen und ökumenisch ausgerichteten Weiterentwicklung der Kirchenpädagogik dargestellt. Thetisch wird dann in einem Resumee festgehalten, dass sich Kirchenpädagogik im Verständnis der Vfn. als Religionspädagogik im Kontext des Auftrags der Kirche zur »Kommunikation des Evangeliums« (D. Lange) verstehe (134–137). Hier ist allerdings kritisch anzumerken, dass die Auseinandersetzung mit dem in jüngerer Zeit von Christian Grethlein neu profilierten und z. B. auch im Sammelband von Bernd Schröder und Michael Domsgen reflektierten Begriff der Kommunikation des Evangeliums als einem der aktuellen Leitbegriffe der Praktischen Theologie nicht besonders intensiv und kritisch erfolgt.
In einem zweiten Hauptteil (139–224) wird geklärt, wie Wort und Raum in Theologie, Semiotik, Rezeptionsästhetik, Soziologie und Philosophie verstanden werden, welche Zusammenhänge es zwischen diesen beiden Leitbegriffen gibt und wie sie in kirchenpädagogisch geplanten Lernprozessen aufeinander bezogen interpretiert werden können. Darauf aufbauend entwickelt die Vfn. dann einen eigenen, auf der Semiotik basierenden religionspädagogischen und religionsdidaktischen Ansatz, wie sich biblische Texte und Kirchenraum wechselseitig erschließen sollen, Erleben und Reflektieren zusammengedacht werden und so die Pluralitätsfähigkeit religiös Lernender erweitert werden kann. Mit Hilfe des semiotischen Ansatzes lasse sich ein Kirchengebäude als »Wort«-Raum so erschließen, dass biblische Traditionen und architektonische, künstlerische oder liturgische Zeichen in doppelten Semiosen für Lernende bedeutsam werden. Dieser Ansatz erweise sich so als fruchtbar für neue, erlebnisintensive und verständigungsorientierte religiöse Kommunikations- und Lernprozesse, was nun allerdings empirisch überprüft werden müsste.
In einem dritten Teil (225–326) wird die Kirchenpädagogik als kirchliche Bildungsaufgabe im Rahmen einer christlichen Religionspädagogik verortet. Dabei hat die Vfn. einerseits die Kirchenentwicklung im Kontext von Pluralität im Blick, andererseits ordnet sie mögliche religionspädagogische Zielperspektiven ihres Konzeptes in die Kompetenzdebatte ein und skizziert nachvollziehbar die durch ihr kirchenpädagogisches Konzept zu erwerbenden Kompetenzen. Mit einem kompetenzorientierten Zugang tut sich dieser Ansatz allerdings insofern schwer, weil er eben nicht vorrangig auf Handlungskompetenz zielt, weit mehr als kognitive Herausforderungen bearbeiten möchte und zu Recht feststellt, dass der Lerngegenstand Religion nur teilweise in operationalisierbaren Bildungsstandards erfasst werden kann. Die Vfn. verschreibt sich auch deshalb nicht Weinerts Kompetenzkonzept, sondern schließt sich Gerhard Zieners an, bei dem »Erfahrungen mit ästhetischem Genießen und Freude an der Weltbegegnung und im Erleben religiöser Kommunikation« (264) besser integrierbar seien. Die kritische Wahrnehmung der Kompetenzorientierung wird dann indirekt herangezogen, um zu begründen, warum im Rahmen dieser Arbeit nicht empirisch (Kompetenzen überprüfend) gearbeitet werden könne, so wie es ja auch noch keine methodisch tragfähigen Untersuchungen zur Kirchenpädagogik gäbe (271), die den Lernzuwachs kirchenpädagogischer Lerngänge darstellten. Diese Lücke konnte inzwischen durch die Arbeiten von Katharina Kind ermann und Ulrich Riegel im Rahmen ihres DFG-Projekts zur Kirchenpädagogik geschlossen werden, deren Ergebnisse allerdings als kritische Anfrage gegen die These der Vfn. zu verstehen sind.
Abschließend wird das Konzept dann durch unterrichtliche Schritte konkretisiert, die in den vier Phasen »Wahrnehmen – Selektieren und konzentrieren – Deuten und Deutungen vergleichen – Gestalten und erproben« bestimmt werden. Hierbei bieten die religionsdidaktischen Beispiele aber kaum Neues.
Dass z. B. die Er­schließung eines Bibeltextes im Kirchenraum durch »Aneignung und Gestaltung« einen spezifischen Wert hat, leuchtet unmittelbar ein; ob dies zugleich »zu einem vertieften Wissen über den Psalm« (291) führt, mag man als Bibeldidaktikerin durchaus skeptisch sehen. Hier steht die Arbeit grundsätzlich in der Gefahr, dass sie bisweilen zu viel verknüpfen will, ohne sich auf den spezifischen (und damit auch begrenzten) Wert ihres Zugangs zu beschränken. Ein unbestreitbar heuristischer Wert liegt darin, dass durch die Explikation dreier Varianten (Kirche im Mittelpunkt; Bibeltext im Mittelpunkt; Bibeltext und Kirche zugleich erschlossen) nochmal die Spielarten einer wechselhaften Bezogenheit von Bibelwort und Kirchenraum in differenzierter Weise präsentiert werden.
Warum danach, quasi am Ende der Arbeit stehend (es folgt nur noch eine knappe Zusammenfassung, 327–333) und nicht schon in einem der einleitenden Teile die Kirchenpädagogik in den Kontext aktueller religionsdidaktischer Ansätze wie performative Didaktik, Theologisieren mit Kindern/Jugendlichen/Erwachsenen u. a. eingeordnet wird, erschließt sich der Rezensentin nicht. An dieser Stelle wirkt das wie ein nicht homogener Appendix.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Vfn. im Rückgriff auf semiotische und rezeptionsästhetische Theorien und raumtheoretische Diskurse das pluralitätsfähige Konzept einer bibelorientierten Kirchenpädagogik für eine Kirche und Gesellschaft im religiösen Wandel umfassend und theoriegeleitet darstellt, bei dem sowohl formales, aber auch non-formales Lernen an Orten gelebten Glaubens eine Rolle spielt. Dabei wird deutlich, welche bibeldidaktischen Chancen (auch für Religionsferne) zur Geltung kommen können, wenn »Kommunikation mit Wort und Raum« sinnvoll angeleitet wird.