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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

549–551

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Rothgangel, Martin, Lück, Christhard, u. Philipp Klutz

Titel/Untertitel:

Praxis Religionsunterricht. Einstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen von ReligionslehrerInnen.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2016. 297 S. m. 59 Tab. = Religionspädagogik innovativ, 10. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-17-028945-1.

Rezensent:

Günter Beck-Mathieu

Ausgehend von der Position, dass Lehrkräften eine zentrale Rolle für die Ausgestaltung eines Schulfaches zukomme, legt das Autorenteam Ergebnisse und Interpretation einer quantitativen und qualitativen Befragung evangelischer Religionslehrkräfte der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) vor, die im Jahr 2013 durchgeführt wurde.
Die Studie besteht aus drei methodologisch hochdifferenzierten und transparent dargestellten Teilstudien: Die quantitative Teilstudie eruiert bei Lehrkräften (n = 1093) online u. a. zu den Bereichen Zielvorstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen für den Religionsunterricht. Die qualitative Teilstudie I analysiert offene Items der Onlinebefragung vor allem zu Organisationsformen des Religionsunterrichts, Kontexten, Kooperationen und Fortbildungsangeboten. Die qualitative Teilstudie II versucht, mit Hilfe von Dokumentation und Interpretation dreier Gruppendiskussionen »Tiefenbohrungen« (22) zum Religionsunterricht an Grundschulen vorzunehmen. Die Ergebnisse der Teilstudien werden dann triangulativ verschränkt, um via Konvergenzen und Divergenzen zu differenzierteren Ergebnissen zu gelangen.
Die rheinischen Religionslehrkräfte markieren im quantitativen Teil der Studie in den Zieldimensionen als »sehr wichtig« bzw. »wichtig« nach Häufigkeit in folgender Reihenfolge »Die Schüler-Innen«, »Ihr Gewissen« und »Die Bibel«. Die Schüler und Schülerinnen als zentrale Bezugsgröße werden von den Lehrkräften in ihrer zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Heterogenität wahrgenommen. Hierbei wollen sie im Kontext ökumenischen und interreligiösen Lernens vor allem auf Vermittlung von Toleranz und Offenheit fokussieren. Zugleich aber ist Einführung in die eigene Religion (Konfession) im Bereich der Zieldimensionen relevant, was sich in der Forderung nach Beibehaltung des Konfessionalitätsprinzips von Religionsunterricht konkretisiert. Die Religionslehrkräfte fassen beide Zieldimensionen nicht als unüberwindbare Dichotomie, sondern fordern einen Religionsunterricht ein »jenseits der Skylla konfessionalistischer Enge und der Charybdis eines Religionskundeunterrichts« (121). Die Stellung des Reli-gionsunterrichtes innerhalb der Schule wird als »eher hoch« wahrgenommen, die Kooperation mit katholischen Fachkollegen als intensiv beschrieben. Das Verhältnis der Religionslehrkräfte zur Institution Kirche wird als entspannt beschrieben; über zwei Drittel markieren die kirchliche Vokation als »sehr wichtig« bzw. »wichtig«, jede zehnte Lehrkraft jedoch auch als »gar nicht wichtig«. Als Formen der Kooperation von Schule und Gemeinde werden Planung und Feier von (auch ökumenischen) Gottesdiensten genannt. Gleichwohl wünschen sich die Religionslehrkräfte eine stärkere Unterstützung durch Staat und Kirche, wie sie beide für die Bedeutung des Religionsunterrichts als res mixta bedeutsam sind. Das Interesse der Religionslehrkräfte am theologischen und methodisch-didaktischen Fachdiskurs zeigt sich in einer hohen Fortbildungsfreudigkeit. Differenzen innerhalb der Befragung zeigen sich weniger entlang des Alters oder des Geschlechts, denn eher entlang der Schulform.
Der qualitative Teil I der Studie wertet offene Items der Befragung aus. Zu den Items der Organisationsform von Religionsunterricht wird eine hohe Zufriedenheit mit der aktuellen Situation erhoben, wobei hierzu die Bedeutung der Bezugsgruppen (Schüler, Schulleitung, Kollegium) hervorgehoben wird. Zugleich aber werden zunehmend Phasen ökumenischer und interreligiöser Kooperation als bedeutsam für die Wahrnehmung sowohl der eigenen Position als auch der des Anderen beschrieben. Kooperationen mit katholischen Lehrkräften werden sehr positiv beurteilt, ebenso jene mit Philosophie/Ethik. In beiden Fällen wird notiert, dass vor allem die persönliche Ebene zwischen den Lehrkräften bedeutsam sei; gleiches gilt notabene für die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde vor Ort. Mit den Fortbildungsangeboten der EKiR zeigt sich hohe Zufriedenheit.
In Teil II der qualitativen Studie werden drei Gruppendiskussionen rheinischer Religionslehrer an Grundschulen in Gummersbach, Trier und Duisburg dokumentiert und einer komparativen Analyse unterzogen. Indem das Fach im schulischen Kontext allzu oft mit Formen sozialen Lernens in Verbindung gebracht werde, wird eine schulorganisatorische Fragilität des Faches beklagt, was dazu führt, dass aufgrund anderer schulischer Aktivitäten Religion häufig von Stundenausfall betroffen ist. Orientierungsrahmen für Religionsunterricht bleiben auch hier Anliegen und Bedürfnisse der Schüler. Deshalb sind auch Themen, die nicht im Lehrplan verankert sind, Gegenstand des Unterrichts. Religionsunterricht im Klassenverband wird zwiespältig beurteilt. Einerseits wird die Offenheit dieser Organisationsform von Religionsunterricht wahrgenommen sowie die Orientierung am Bedürfnis der Kinder, andererseits wird aber Sorge um evangelische Identität laut.
In der Triangulation der Ergebnisse wird die paidotrope Orientierung der Lehrkräfte bestätigt. Offenheit von Religionsunterricht und gleichzeitige Schärfung des konfessionellen Profils werden nicht als sich ausschließende Dichotomie wahrgenommen, wie der universitäre Fachdiskurs ab und an insinuiert. Das Anliegen von Identitäts- und Verständigungsförderung zieht sich durch die Wünsche zu Kooperationsformen und Organisationsformen von Religionsunterricht. Kooperative Formen des Religionsunterrichts werden vor allem mit der katholischen Fachschaft genannt, in geringerem Maße mit islamischem Religionsunterricht und Philosophie/Ethik. Moniert wird, dass vor allem die offizielle katholische Kirche diese Kooperationen nicht immer mitträgt. Als Organisationsform wird der konfessionell-kooperative Religionsunterricht favorisiert; anders Religionslehrkräfte an berufsbildenden Schulen, die interreligiös-kooperative Formen präferieren. Eine wie auch immer geartete allgemeine Religionskunde wird eher abgelehnt. Grundsätzlich wird ein Bedürfnis eruiert, in Eigenverantwortung zu entscheiden, welche Organisationsform von Religionsunterricht für die jeweilige Schule die geeignete sei, um nicht beständig auf den »Bummelzug kirchenamtlicher Absprachen« (Günter Böhm; 264) warten zu müssen. Als wichtiger Prädikator für die Stellung des Religionsunterrichts an der Schule erweist sich die regelmäßige Feier von Gottesdiensten und/oder Andachten.
Die Studie zeichnet ein hochdifferenziertes Bild der Einstel-lungen, Wahrnehmungen und Präferenzen von Religionslehrern. Desiderat für weitere Forschung wäre neben der Wahrnehmung der Lehrkräfte nun eine komplementäre Befragung von Schülern.
Erste Voten aus Forschung, Fortbildung und Kirchenleitung zu Ergebnissen und Interpretation der Befragung sind dem Band beigefügt, um den notwendigen Dialog zu eröffnen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Die Studie ist insoweit über die EKiR hinaus relevant. Für die weitere Diskussion stellt die Studie wertvolle empirische Fakten und Argumentationsmuster bereit.