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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

547–549

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hermisson, Sabine

Titel/Untertitel:

Spirituelle Kompetenz. Eine qualitativ-empirische Studie zu Spiritualität in der Ausbildung zum Pfarrberuf.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2016. 361 S. m. 15 Abb. = Arbeiten zur Religionspädagogik, 60. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-8471-0451-3.

Rezensent:

Katja Dubiski

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Hermisson, Sabine, u. Martin Rothgangel [Hrsg.]: Theologische Ausbildung und Spiritualität. Göttingen: Vienna University Press bei V & R unipress 2016. 210 S. = Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft, 12. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-8471-0549-7.


Sabine Hermisson legt mit ihrer Wiener Dissertation eine präzise Analyse kirchlicher Ausbildungsdokumente vor, die auch über den religionspädagogischen Bereich hinaus die theologische Diskussion über »Spiritualität« bereichert. Ihre theoretischen Grundfragen »Welche theologischen Vorstellungen und pastoralen Leitbilder sind die Grundlage für das Ausbildungsdesiderat Spiritualität? Was ist ›spirituelle Kompetenz‹?« (13) spitzt sie auf die Frage nach »Spiritualität als Thema der Ausbildung« sowie deren Förderung zu. Damit knüpft sie an den relativ neuen Diskurs um Spiritualität in der theologischen Ausbildung an, wie er z. B. im Sammelband »Spiritualität im Diskurs« (Kunz/Kohli Reichenbach) Ausdruck findet.
H. analysiert die aktuellen Ausbildungspläne und Beurteilungsraster der beiden Ausbildungsphasen zum Pfarramt in lutherischen, reformierten und unierten Kirchen im deutschsprachigen Raum unter Verwendung der »Grounded Theory« (Strauss/Corbin). Zur Vertiefung bestimmter Aspekte zieht sie ergänzend Texte kirchenleitender Gremien und Einzelpersonen sowie Paralleltexte der römisch-katholischen Kirche, der lutherischen Kirche in den USA sowie der anglikanischen Kirche von England heran.
Im Ergebnisteil geleitet H. ihre Leserinnen und Leser jeweils mit weiterführenden Fragen zum nächsten Abschnitt, so dass die Darstellung zu jedem Zeitpunkt logisch nachvollziehbar ist. Zentrale Ergebnisse seien in Auswahl genannt: Alle Texte setzen Begriffe aus dem Wortfeld »Spiritualität/spirituell« in Bezug zu »einer Vielzahl von Wörtern aus dem lexikalischen Feld ›können‹« (116) und zielen mit dieser Verbindung auf die Qualifizierung für den Pfarrdienst. Allerdings wird häufig die genaue Bezugnahme beider Begriffe aufeinander »in der Schwebe« (122) gelassen. Insgesamt zeigt sich, dass »die persönliche Spiritualität angehender Pfarrerinnen und Pfarrer und die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Lehr- oder auch Evaluierbarkeit« (130) in den Ausbildungsdokumenten eine deutlich ge­ringere Rolle spielt als »die Kommunikation von Spiritualität« (130). Darüber hinaus ergibt die Untersuchung dessen, wie »spirituelle Kompetenz« konkret zu fördern versucht wird, dass hier zwei Perspektiven spannungsvoll aufeinandertreffen: die zweckfreie Übung von Spiritualität durch externe Experten sowie die auf die Be-rufsqualifizierung ausgerichtete Einrichtung der Kurse durch die Ausbildungsleitungen. Der Außenvergleich erweist schließlich die »funktionale Fokussierung von Spiritualität« als »ein evangelisches Charakteristikum des deutschsprachigen Raums« (214).
Der Grund für die funktionale Einbindung von Spiritualität in die Ausbildung ist für H. das zugrunde liegende funktionale Amtsverständnis. Die Vorstellung von erforderlichen »Kompetenzen« für den Pfarrberuf findet sich bereits bei Luther und Schleiermacher und seit den späten 1980er Jahren auch in der Diskussion der EKD über »theologische Kompetenz«. Man gehe offensichtlich davon aus, dass auch »›spirituelle Kompetenz‹ zum Gelingen der pastoralen Aufgabe« (230) beiträgt. Für H. zeigt die Analyse jedoch, »dass die Verbindung von Spiritualität und Funktionalität einiges Konfliktpotential birgt« (232). Die scheinbare Lösung des Konflikts, ausschließlich funktionalisierbare Aspekte von Spiritualität – wie Sachwissen und Kommunikationsfähigkeit über Spiritualität – in die Ausbildung zu integrieren, entspricht offensichtlich nicht dem Anliegen der Kirchenleitungen, da diese immer wieder auch persönliche As­pekte wie z. B. Erfahrung ins Spiel bringen. Ein Zusammenspiel von Spiritualität und Funktionalität erweist sich für H. hingegen da als möglich, wo Kirchenleitungen Rahmenbedingungen für zweckfreie Spiritualität schaffen (Finanzierung, Zeiträume), ohne diese dann direkt selbst zu steuern (u. a. durch externe Experten).
Insgesamt bietet H. eine sehr gut lesbare und durchgängig transparent konstruierte Analyse des für die Ausbildung zum Pfarrdienst entscheidenden Textkorpus im deutschsprachigen evangelischen Raum. Dabei fallen theoretische Einleitung und abschließende Diskussion im Vergleich zu Methodik und Ergebnissen zwar leider etwas kurz aus, allerdings enthalten die Ergebnisse zahlreiche hellsichtige Beobachtungen H.s, die diese zu einem nachvollziehbaren Gedankengang verknüpft. Letztlich zeigt H., dass eine weitere Reflexion des Spiritualitätsbegriffs erforderlich ist– vor allem, was seine Verbindung zur Theologie insgesamt so­wie zum protestantischen Amtsverständnis im Speziellen angeht.
Im beinahe zeitgleich zur Dissertation erschienenen Sammelband »Theologische Ausbildung und Spiritualität« versammeln Sabine Hermisson und Martin Rothgangel Beiträge aus verschiedenen Perspektiven.
Texte aus universitätstheologischer Perspektive eröffnen die Diskussion, darunter der des Praktischen Theologen Jan Hermelink, der die Debatte um Spiritualität in der theologischen Ausbildung durch einen Abgleich mit historischen Reformdebatten ergänzt: Die Reformdebatte ab 1886 und die Debatte der 1950er Jahre verbindet die Annahme einer »Spiritualität der wissenschaftlichen Praxis« (43). Hermelink regt deshalb an, auch heute »das mit ›Spiritualität‹ Gemeinte und Gewollte nicht allein jenseits des Theologiestudiums zu suchen, sondern die Transzendenz des persönlichen Erlebens vielmehr in den Strukturen einer gemeinsamen, reflektierten und eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit selbst zu finden und ans Licht zu bringen« (43).
Im zweiten Teil kommen Vertreter kirchenleitender Perspektive zu Wort. So weitet z. B. der Beitrag von Michael Wöller zum Ausbildungsdokument der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (2012) den Blick über den deutschsprachigen Raum hinaus: Hier wird die theologische Ausbildung selbst »als eine bestimmte Form evangelischer Glaubenspraxis« (99) verstanden.
Der dritte Teil umfasst »Praxiserkundungen«, wobei der Praktische Theologe Ralph Kunz in seinem Erfahrungsbericht von einer Wechselwirkung zwischen spiritueller Übung und akademischem Studium ausgeht, wenn Studierende z. B. im Rahmen einer Lehrveranstaltung wöchentlich die Tagzeitenliturgie des Reformierten Gesangbuchs beten. In einem anderen Seminar erhalten Studierende »die Aufgabe, täglich ein bis drei Psalmen zu lesen, darüber zu meditieren, und im Tagebuch den inneren Weg reflektierend zu dokumentieren« (171), und werten dies in einem Blockseminar aus.
Abschließend resümiert Martin Rothgangel u. a., dass die Verwendung des bildungswissenschaftlichen Kompetenzbegriffs eine Operationalisierung und empirische Überprüfung »spiritueller Kompetenz« erfordert. Darüber hinaus kritisiert er die »Behauptungskultur« (189) im Kontext spiritueller Kompetenz in der Ausbildung – da je nach subjektiv wahrgenommener Situation und postulierter Zusammenhänge andere Folgerungen hinsichtlich der Förderung spiritueller Kompetenz resultieren.
Insgesamt bietet der Sammelband einen guten Einblick in die Begründungsmuster der an der Diskussion beteiligten Akteure. Mit den dargestellten Praxismodellen in Kirche und Universität werden darüber hinaus die Chancen und Schwierigkeiten verschiedener Vorgehensweisen konkret.
Beide Bücher schaffen einen stabilen Ausgangspunkt für den weiteren Diskurs, wobei die zentrale Herausforderung in der bislang unscharfen theologischen Begründung »spiritueller Kompetenz« liegt. Erst dann ist eine fundierte Einschätzung darüber möglich, inwiefern empirische Studien sinnvoll und möglich sind.