Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

546–547

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Gennerich, Carsten, u. Reinhold Mokrosch

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht kooperativ. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Niedersachsen und Perspektiven für einen religions-kooperativen Religionsunterricht.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2016. 192 S. m. Abb. u. Tab. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-3-17-030940-1.

Rezensent:

Rainer Timmer

Die Autoren, Carsten Gennerich, Professor für Gemeindepädagogik an der EH Darmstadt, und Reinhold Mokrosch, Professor i. R. für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück, beide selbst von der zielführenden Perspektive der konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht überzeugt, legen mit dieser Studie, nach einer kurzen historischen Einführung in die Hintergründe der Entwicklung der konfessionellen Kooperation, eine empirische Evaluation der konfessionellen Kooperation in Niedersachsen (1998 eingeführt) aufgrund der ausführlichen Befragung von 152 Religionslehrerinnen und -lehrern aus den Jahren 2005/2006 vor. Eine erweiternde Interviewstudie mit 22 Lehrkräf-ten (2015/16), darunter auch muslimische Religionspädagogen, die neben Erfahrungshintergründen mit der konfessionellen Koope-ration auch Fragen bzgl. möglicher Perspektiven für einen reli- gions-kooperativen Religionsunterricht beinhalten, ergänzt die Untersuchung. Die Reflexion der Perspektiven eines religions-kooperativen Religionsunterrichts als erweiternde Option zur Ge­staltung der Religionsunterrichte in Anknüpfung an Erfahrungen der konfessionellen Kooperation und unter Berücksichtigung der fortschreitenden kulturellen und religiösen Pluralität innerhalb der Schülerschaft ist die spürbar engagierte Leitfrage der Autoren.
Die Ergebnisse der Befragung sind außerordentlich hilfreich und lesenswert für den weiteren Diskurs zur Gestaltung der Zu­kunftsfähigkeit des Religionsunterrichts. Zentrale Befunde der Untersuchung: Offensichtlich haben die befragten Lehrkräfte den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht intensiv vorbereitet, vor allem durch kollegiale Absprachen sowie entsprechende Diskurse in den Fachkonferenzen. Jedoch ist die Kernidee der konfessionellen Kooperation – Gemeinsamkeiten stärken und Un-terschieden gerecht werden – nicht die Hauptintention der Lehr-kräfte. Vielmehr zeigt sich – auch durch die stark nachlassende religiöse Sozialisation der Schülerinnen und Schüler motiviert – eine deutliche Präferenz für einen ökumenischen Religionsunterricht im Klassenverband, der hauptsächlich christliches Basiswissen vermitteln soll (83 %, bestätigt durch die Interviews 2015/16). Die Thematisierung konfessioneller Unterschiede findet deutlich we­niger Beachtung. Ob die Ausweitung der konfessionellen Kooperation auf ein religions-kooperatives Modell die Beachtung von Unterschieden »erzwingen« kann (so die Autoren), darf angefragt werden. Religionskooperativer Religionsunterricht könnte analog zu den oben genannten Ergebnissen auch zur Konzentration auf die Gemeinsamkeiten der Religionen führen. Jedenfalls hat die Erhaltung des Klassenverbandes für die Lehrkräfte höchste Priorität. So verwundert es nicht, dass ein KOKORU, insofern er verbunden ist mit einem Wechsel von getrennten und gemeinsamen Unterrichtsphasen, geringe Zustimmung findet (33 %). Die Leitfrage der Autoren nach einer Erweiterung zu einem religionskooperativen Unterricht findet eher geringe Zustimmung. Die Analyse der Werthaltungen der Lehrkräfte verbunden mit einer interessanten Entwicklung einer Lehrertypologie zeigt, dass viele Lehrkräfte diesbezüglich eher skeptisch sind. Die befragten Lehrkräfte lehnen allerdings auch ein religionskundliches Modell deutlich ab. Besonders muslimische Lehrkräfte legen Wert auf Phasen getrennten Unterrichts (mehr als evangelische/katholische Lehrkräfte). Dass zumindest Phasen gemeinsamen Religionsunterrichts in einem Kooperationsmodell zukunftsweisend sein werden, insbesondere unter Aufnahme des in der EKD-Denkschrift »Religiöse Orientierung gewinnen« formulierten zentralen Bildungsziels der Pluralitätsfähigkeit, lässt sich m. E. kaum bezweifeln, setzt aber die Implementation des islamischen Religionsunterrichts und entsprechende Rechtssicherheit in der Konstruktion voraus. Grundlage der konfessionellen Kooperation ist in allen Bundesländern eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Kirchen, um den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Übereinstimmung (Art. 7.3 GG) zur Geltung zu bringen. Eine solche Vereinbarung müsste es – wenn weltanschaulich neutrale Religionskunde vermieden werden soll – auch für ein religionskooperatives Modell geben. Ob die von den Autoren im letzten Kapitel der Untersuchung entfalteten theologischen Begründungen eines religionskooperativen RU kirchlicherseits Zustimmung finden werden, bleibt abzuwarten.
Die Untersuchung gibt einen sehr intensiven und wirklichkeitsnahen Einblick in den Alltag des konfessionell-kooperativen Reli-gionsunterrichts in Niedersachsen. Die überaus empfehlenswerte Lektüre zeigt m. E. vor allem: Eine zukunftsfähige Erweiterung der Optionen des konfessionellen Religionsunterrichts kann nur gelingen, wenn die Lehrkräfte dafür gewonnen werden, sowohl durch entsprechende Vorbereitung in der Ausbildung als auch die intensive Unterstützung und Begleitung in der praktischen Umsetzung.