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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

537–538

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Heimbach-Steins, Marianne [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zerreißprobe Flüchtlingsintegration.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2017. 224 S. = Theologie kontrovers. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-451-37618-4.

Rezensent:

Alexander Dietz

Nachdem Marianne Heimbach-Steins, Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und Sozialethische Genderforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, bereits vor einem Jahr einen Sammelband mit sozialethischen Positionen zur Flüchtlingskrise vorgelegt hatte, legt sie nun mit dem vorliegenden Band zum Thema Flüchtlingsintegration nach. Das Werk umfasst fünfzehn Beiträge ausschließlich katholischer Theologinnen und Theologen (und einer Gewerkschaftsvertreterin). Im Vergleich zum ersten Band ist leider nicht nur die konfessionelle Zusammensetzung der Autoren begrenzter, sondern auch die positionelle Heterogenität. Nur einer der Beiträge ( Axel Bernd Kunze) vertritt eine dezidiert konservative Position, alle anderen Aufsätze sind aus einer erkennbar links-liberalen Perspektive verfasst. Das mindert zwar nicht ihre Qualität, aber enttäuscht die Erwartung, die der Titel der Reihe »Theologie kontrovers« sowie die Absichtserklärung am Ende des Einleitungskapitels, das Buch wolle »zur wechselseitigen Wahrnehmung kontroverser Positionen anregen« (23), wecken. Immerhin hätte es ja einige hochkarätige katholische Denker gegeben, die in der vorliegenden Diskussion andere Positionen vertreten (beispielsweise Robert Spaemann oder Wolfgang Ockenfels).
Der argumentative rote Faden, der sich durch das ganze Buch zieht, kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Alle Menschen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, sollten (ungeachtet ihres Rechtsstatus) in die deutsche Gesellschaft integriert werden (15.97.131). Begründet wird diese Forderung mit der (christlichen) Pflicht zu (universaler?) Solidarität (8.22.51ff.189 ff.) sowie einer historischen Mitschuld an den Fluchtursachen (7.34). Integration wird nicht als Assimilation, sondern als »Ermöglichung des Zusammenlebens mit gleichem Respekt und gleichen Teilhaberechten für alle« verstanden (16 ff.39.200 f.). Dieser gleichberechtigte, wechselseitige Integrationsprozess führe zu zunehmender (erstrebenswerter) gesellschaftlicher Heterogenität (13 f.42 ff.159), während sich Vorstellungen von Homogenität und Leitkultur als naive Konstruktionen und die Idee des Nationalstaats als überholt enttarnen ließen (11 ff.26 ff.42). Kritiker dieser Entwicklung seien Opfer »diffuser Ängste« und Projektionen (43.55.73.88 f.186.193). Integration könne gelingen, wo Vorurteile (insbesondere Islamophobie) überwunden würden (20 f.31.48.70 ff.91 f.152.166.200), den Migranten ein Vertrauensvorschuss gewährt werde (54.133) und den Menschen genug Zeit gelassen würde (196 ff.221). Eine besondere Bedeutung komme dabei den Schulen sowie der Integration in den Arbeitsmarkt zu (18 f.51.120.137 ff.).
Alle Artikel lesen sich in diesem Sinne flüssig und plausibel. Neues, Überraschendes oder den Horizont der Diskussion Erweiterndes gibt es allerdings wenig – trotz des zunächst viel versprechenden Reichtums an inhaltlichen Perspektiven der Beiträge, wie geflüchteten Frauen, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder der Rolle des Islam. Positiv hervorzuheben sind, neben dem bereits erwähnten streitlustigen und klugen Plädoyer Axel Bernd Kunzes für Grenzen der Gastfreundschaft aus staatsethischen Gründen, noch zwei weitere Beiträge: Hildegard Wustmans stellt in ihrem Beitrag zu Pfarrgemeinden als Orten der Integration besonders interessante Beispiele für Konfliktsituationen dar, weist auf problematische Implikationen beliebter Gemeindeangebote (»Flüchtlinge kochen«) hin und benennt differenziert gesellschaftspolitische Potenziale der Gemeindearbeit. Ulrike Kostka stellt in ihrem Beitrag aus der Perspektive der Caritas notwendige Fragen unter anderem nach diakonisch-sozialräumlichen Aspekten der Integration, nach Veränderungen in der Migrationsberatung und nach dem armutspolitischen Kontext.
Der Sammelband ist ein sinnvoller theologischer Beitrag zu einer aktuellen ethischen Debatte. Gleichwohl wurde die Chance zu einer tatsächlich kontroversen Diskussion nur punktuell ge­nutzt. Die Frage danach, wer darüber nach welchen Kriterien mitentscheiden dürfen sollte, welche Menschen in die Gesellschaft integriert werden sollten und in welche Richtung sich die Gesellschaft dabei weiterentwickeln sollte (und in welche nicht), bleibt ungestellt. Das zitierte Fazit einer Lehrerin aus einer Umfrage: »Irgendwie werden wir das hinkriegen« (121) reicht eben nicht, auch nicht, wenn es als vermeintlicher Ausdruck einer »theologischen Tugend« der »geerdeten Hoffnung« (ebd.) überhöht wird.