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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

27–29

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ikechukwu Mike Nduka

Titel/Untertitel:

Al-’Asabiyya.A Conflicting Socio-religious Factor in the Modern Times? Approximation of Nigeria’s "groups-in-group" syndrome.

Verlag:

Würzburg: Echter; Altenberge: Oros 1998. 408 S. 8 = Religionswissenschaftliche Studien, 49. DM 80,-. ISBN 3-429-02073-5 u. 3-89375-171-8.

Rezensent:

Klaus Hock

Ibn Khaldun hat Generationen von Denkern fasziniert. Als Kulturphilosoph von großem Weitblick ist er insbesondere durch die Muqaddima, die "Einleitung" zu seiner Universalgeschichte, bekannt geworden, in der dem Konzept der ’asabiyya besondere Bedeutung zukommt: ’asabiyya, ca. "Gruppenzusammenhalt", wurde zum Schlüsselbegriff seiner Theorie, mit der er den Aufstieg und Verfall der islamischen Reiche zu deuten versuchte.

Die vorliegende Studie ist darum bemüht, die Kategorie ’asabiyya auf ihre Tragfähigkeit und Brauchbarkeit für die Moderne hin zu untersuchen, wobei sich der Vf. durchaus der Problematik bewusst ist, ’asabiyya im Blick auf zwei so unterschiedliche historische Kontexte zu beziehen: "... there are differences between the modern time and that of Ibn Khaldun. The destinies and troubles of our kind are not the troubles and destinies of sinility and exhaustion, but of increasing and still undisciplined communal strength, group and social solidarity" (12). Der Pessimismus von Ibn Khalduns Geschichtsphilosophie, so der Vf., hinterlasse ihre Spuren auch in der vorliegenden Untersuchung, die sich allerdings nicht in diesen negativen Aspekten erschöpfen dürfe: "exploitative, de facto, destructive asabiyya is the pivoting motive behind much religious, ethnic, cultural, national and international rapprochement in the modern times. However, this does not nullify honest efforts in this direction, but rather subjugates such effort under suspicion until they prove and justify their interim motives" (12 f.).

Der Vf. knüpft in seiner Untersuchung einerseits an der alten Frage nach dem Zusammenhalt - der ’asabiyya - von Gruppen und Staatsgemeinschaften an, erweitert diese jedoch andererseits durch die Fragestellung, inwiefern es möglich sei, die destruktiven Aspekte der ’asabiyya zu überwinden, um durch die Mobilisierung ihrer positiven Wirkkräfte einer humaneren Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens den Weg zu bereiten. Er geht sein Projekt dabei in vier großen Abschnitten an: In Kapitel I rekonstruiert er Ibn Khalduns Verständnis von ’asabiyya und entwickelt auf dieser Grundlage seine Überlegungen zur Relevanz des Konzepts für die Gegenwart. Hier verweist er als Beispiel für die zerstörerischen Auswirkungen der ’asabiyya u. a. auf diverse Typen ethnischer Konflikte, wie sie in den letzten Jahren vermehrt aufgetreten sind. Wie der Vf. feststellt, gibt es bislang nur wenige tragfähige Konzepte, die das Problem des friedlichen Ausgleichs interethnischer Spannungen zufriedenstellend gelöst haben:

"The reflection highlights also the socio-religious negative and so, destructive influences which, buttress the fact that the modern man has displaced his historical consciousness and de facto not learnt from history. It is therefore, necessary viewing this modern articulation of solidarity through the reflections of Ibn Khaldun, who offered sources and exclusive information concerning such incidents in world history" (111 f.)

Im zweiten Abschnitt bemüht sich der Vf. darum, diese allgemeinen Überlegungen am Beispiel des subsaharischen Afrika zu "kontextualisieren"; auch hier werden seiner Meinung nach vornehmlich die desintegrierenden Aspekte der ’asabiyya in vielfältiger Weise sichtbar. Doch jenseits des - im engeren Sinne: sozialen und politischen - Gruppenzusammenhalts fasst der Autor die Möglichkeit einer religiösen Ausrichtung von ’asabiyya ins Auge (239), wobei er der "Afrikanität" eine besondere Bedeutung zuschreibt, die über die Grenzen Afrikas hinaus Vorbildcharakter haben könnte, aber auch von Christentum und Islam einen konstruktiven Beitrag erwartet:

"Africa may in the future, give the world an idea and positive effect of religion that synthesizes Islam, Christianity and ATR. ... It is ... up to Islamic and Christian beliefs, to give Africa a common spiritual denominator to work from towards realizable unity of purpose, that may perhaps lead to ... continental unity in a future time" (241 f.).

Im dritten Abschnitt seiner Analyse konkretisiert der Vf. die Bedeutung von ’asabiyya am Beispiel Nigerias. Auch hier liegen seiner Meinung nach die destruktiven Folgen der ’asabiyya in ihren unterschiedlichen - ethnischen, religiösen, kulturellen, politischen - Spielarten offen auf der Hand. Doch zugleich sieht der Vf. auch positive Anzeichen für eine Überwindung der negativen Aspekte eines überzogenen Gruppenzusammenhalts: Die - allerdings annullierten - Wahlen von Juni 1993 dienen ihm als Beleg dafür, dass hier im Wahlverhalten eine Einstellung erkennbar wurde, die sich über die Grenzen ethnischer und religiöser Zugehörigkeit hinaus an Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des wirtschaftlichen Wohlergehens der gesamten Nation orientierte.

Im vierten Abschnitt weitet der Vf. wiederum die Perspektive und versucht eine "General Comparative Conclusion". Auch hier ist er darum bemüht, die positiven Aspekte der ’asabiyya allen ihren negativen Implikationen zum Trotz ins Feld zu führen, und zwar sowohl durch den Gedanken einer "globalen ’asabiyya" (333) als auch durch die Hoffnung auf eine dialogische Verständigung zwischen einzelnen ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppen, in der sowohl das friedliche Zusammenleben als auch die Integrität ihrer unterschiedlichen ’asabiyyat gewahrt bleibt (386).

So interessant das Vorhaben auch scheint, Ibn Khalduns Verständnis der ’asabiyya im Blick darauf zu untersuchen, inwieweit es auf den heutigen Kontext übertragen werden kann- dieser Studie jedenfalls ist es nicht gelungen, die Kategorie der ’asabiyya in tatsächlich überzeugender Weise so zu rekonstruieren, dass ihr über eine bloß heuristische Funktion hinaus besondere analytische Erklärungskraft oder geschichtsphilosophische Qualität zukommen könnte.

Das mag zum Teil an Ibn Khalduns genialem Entwurf selbst liegen, der sich vielleicht gegenüber Versuchen, seine Kategorien auf andere Kontexte zu transferieren, als sperrig erweist; das hat aber auch damit zu tun, dass der Vf. sich wohl zu viel vorgenommen hat. Die Stärken der Arbeit liegen jedenfalls eher in jenen Passagen, wo es um die Darstellung konkreter Probleme und Fragestellungen geht; dort jedoch, wo der Vf. beginnt, in globaler Perspektive quasi "über Gott und die Welt" zu philosophieren, wird mit zahlreichen Worten Vieles aneinandergereiht und durcheinandergemischt, was zwar die Belesenheit des Vf.s auf vielen Gebieten belegt, aber doch die Stringenz in der Darstellung vermissen lässt.

Ein Ärgernis ist die äußere Form dieser Publikation: Im Zeitalter der elektronischen Textverarbeitung ist die Präsentation einer Veröffentlichung in der vorliegenden Form, gelinde gesagt, eine Zumutung - Satzspiegel, Seitenzahlen, Fußnotenlayout, weiße Flecken statt der angekündigten Abbildungen, Tippfehler und mangelhafte Interpunktion, wie bereits die oben angeführten Zitate erkennen lassen. Davon unberührt bleibt, dass die Arbeit trotz ihrer Schwächen durchaus einige anregende Gedanken enthält, denen nachzugehen lohnend sein könnte, wenn sie im Rahmen notwendiger Begrenzungen und Konkretisierungen entwickelt werden.