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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

522–523

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Leaver, Robin A.

Titel/Untertitel:

The Whole Church Sings. Congrational Sing-ing in Luther’s Wittenberg.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2017. 220 S. Kart. US$ 22,00. ISBN 978-0-8028-7375-0.

Rezensent:

Ute Poetzsch

Mit seiner Studie über die Anfänge und Wurzeln des lutherischen Singens hat Robin A. Leaver, emeritierter Professor des Westmins­ter Choir College der Rider University und Spezialist für Kirchenmusik, Liturgie und Theologie, seinen Veröffentlichungen zu diesem Themenkreis ein weiteres Werk hinzugefügt. Konzipiert wurde es für englischsprachige Leser, denen eine übersichtliche Darstellung vor allem über die Entwicklung der frühen lutherischen Gesangbücher, ihre Quellen und einzelne Lieder in die Hand gegeben werden sollte.
Das Buch, dessen Titel eine Formulierung aus Luthers »Deutscher Messe« aufnimmt, ist in Hinblick auf das 500. Jubiläum der Wittenberger Reformation entstanden. Dementsprechend wirft L. einführend einen Blick auf die gut dokumentierten frühneuzeit-lichen Feiern dieses Ereignisses 1617 und 1717 in Sachsen und die Rolle, die bestimmte, immer wiederkehrende Lieder in den Festliturgien spielten. Auch kann für das Jubiläumsjahr 1717 durch die Edition der drei ältesten Gesangbücher aus der Reformationszeit der Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der lutherischen Liedtradition festgestellt werden. In den folgenden Kapiteln werden die Quellen für das reformatorische lutherische Lied vorgestellt – die volkssprachlichen Volkslieder, der Meistergesang, Balladen und Leisen, denn alle diese Formen finden sich in Luthers Liedern wieder. Die für die Erläuterungen herangezogenen Beispiele erscheinen jeweils in Originalsprache und Übersetzung synoptisch nebeneinander. Mitgeteilt werden weiterhin Informationen über Luthers musikalische Sozialisation, genannt werden zeitgenössische Liedsammlungen, die Luther sicherlich gekannt hat. Ein weiteres Kapitel enthält eine knapp gefasste Geschichte der Wittenberger Reformation und ihre Widerspiegelung im Lied. Als das wohl berühmteste wird »Die Wittenbergische Nachtigall« von Hans Sachs mit seiner Vorlage besprochen, um das älteste nachweisbare Lutherlied »Ein neues Lied wir heben an« damit vergleichen zu können. Das nächste Kapitel widmet sich den 1523/24 entstandenen Liedern. Jedes genannte Lied wird in seiner Geschichte und seiner formalen Gestalt analysiert, sei seine Herkunft ein Volkslied, ein älteres geistliches Lied, ein Psalm oder eine Neuschöpfung. In einem eigenen Kapitel werden dann die frühen Drucke der Enchiridia und Johann Walters Chorgesangbuch behandelt und ihre Inhalte wiedergegeben, wobei das Chorbuch zwar das Repertoire bereicherte und damit einen Fortschritt dokumentiert, aber mit seinen ausgearbeiteten mehrstimmigen Motetten in Bezug auf den Gemeindegesang eher wie ein Fremdkörper wirkt und damit nicht so recht in dessen Geschichte zu passen scheint (»it seems more like a stumbling block«, 101). Die für den Gebrauch in der Gemeinde konzipierten, in den Jahren 1524 bis 1526 in Wittenberg herausgebrachten Liederbücher und ihr Inhalt sind Gegenstand eines weiteren Kapitels. Im Mittelpunkt steht das Enchiridion von 1526 mit seinem Anhang, das gegenüber Walters Chorgesangbuch eine Erweiterung des Repertoires darstellt und auch andere Melodievarianten enthält.
Den neuen Entwicklungen in der Gestaltung der Gottesdienste, die sich in diesem Enchiridion widerspiegeln, das zur Orientierung der Gemeinde auch die Abfolge der Gesänge für die Wochentagsgottesdienste und Psalmen enthält, ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Hier wird auch die Frage diskutiert, welchen Raum der Ge­sang der Gemeinde innerhalb der Liturgie tatsächlich einnahm. Für L. besteht kein Zweifel, dass die Gemeinde umfänglich beteiligt war, wofür er instruktive Formulierungen aus den Quellen – Gesangbüchern und Kirchenordnungen – heranzieht. Im abschließenden Kapitel werden weitere wichtige, vom Enchiridion 1526 abgeleitete Gesangbücher beschrieben und verglichen. Intensive Auswertung erfahren dabei die nur in der zweiten Auflage von 1533 erhaltenen »Geistlichen Lieder« von 1529 (»Klugsches Gesangbuch«) als Grundstein und Basis für spätere Gesangbücher.
Insgesamt fünf Anhänge bereichern die Darstellung. Sie enthalten Übersichten über die Lieder in den Enchiridien von 1524 bis 1526, den Inhalt des »Klugschen Gesangbuchs«, die beiden diesem beigegebenen Vorreden Luthers in englischer Übersetzung und eine Synopse der amerikanischen Ausgaben der Lieder Luthers. Die Lieder sind mit ihren Incipits in moderner deutscher Schreibung angegeben, was sie eindeutig identifizierbar macht. In einer Tabelle sind die nicht von Luther stammenden Lieder jeweils mit Referenz auf Wackernagels »Das deutsche Kirchenlied« verzeichnet, und es gibt eine Liste der behandelten Quellenwerke. Die Register erschließen das Buch über die erwähnten und besprochenen Lieder, Namen und Sachen. Zahlreiche Text- und Notenbeispiele ergänzen im Hauptteil die informative und den modernen Stand der Forschung zusammenfassende, auf profunder Kenntnis beruhende Einführung in ein kompliziertes Thema.