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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

511–513

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lum, Kathryn Gin

Titel/Untertitel:

Damned Nation. Hell in America from the Revolution to Reconstruction.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2014. 328 S. m. 20 Abb. Geb. US$ 33,95. ISBN 978-0-19-984311-4.

Rezensent:

Benedikt Brunner

Kathryn Gin Lum, die an der Stanford University in den USA lehrt, stellt in dem hier anzuzeigenden Buch die Hölle ins Zentrum ihrer Untersuchung und fragt danach, wie die mit der Hölle verbundenen Diskurse das gesellschaftliche und politische Leben in den USA – in der Zeit zwischen der Amerikanischen Revolution 1776 und dem Beginn der »Reconstruction« – beeinflusst haben. Dabei untersucht sie die Positionen führender Theologen wie Jonathan Ed­wards und Charles Finney ebenso wie die »gewöhnlicher« Frauen und Männer. Wie in vielen amerikanischen Dissertationen erfahren wir wenig über die theoretischen Prämissen und die Methodik, die der Arbeit zugrunde liegen. Dies wird allerdings – und hierin liegt ja auch die große Stärke vieler Arbeiten aus dem anglo-amerikanischen Raum – durch einen hervorragenden Schreib- und Er­zählstil weitestgehend wettgemacht.
Im ersten Abschnitt rekonstruiert sie die Entwicklung der Lehre von der Verdammnis im frühen Amerika sowie deren Verbreitung. Hierbei spielte das »Second Great Awakening« für die Popu-larisierung der damit verbundenen Vorstellungen eine überaus prominente Rolle. Insbesondere der Erweckungsprediger Charles Finney perfektionierte Methoden, um den Inhalt seiner Predigten mit dem entsprechenden theatralischen Nachdruck zu unterstreichen. Dabei gab es eine ganze Reihe von Instruktionen, die den Predigern an die Hand gegeben wurden, um zur Bekehrung zu animieren. Neben den Memoiren der erfolgreichsten Protagonisten gab es Handbücher und spezielle Zeitungsartikel, die die vermeintlich richtige Herangehensweise darstellten. Dabei spielte die Bedrohung mit dem Höllenfeuer eine wichtige Rolle, auch wenn man die Tücken und Risiken, die damit verbunden waren, durchaus ernst nahm. Über die amerikanischen Missionsbemühungen verbreiteten sich diese Ideen noch weit über den spezifisch nationalen Rahmen hinaus. Die Auseinandersetzungen, die sich hier-bei entspannen, kann L. nur andeutungsweise darstellen, hier scheinen noch weitergehende komparative Studien lohnenswert zu sein.
Im nächsten Abschnitt untersucht ein Kapitel zunächst die An­eignung der Lehren von der Verdammnis unter Laien. Auf dieser Ebene zeigte sich schnell die Ambivalenz dieses Konzepts. Auf der einen Seite zeigte die Anwendung der Verdammnisrhetorik Erfolge bei den Missionsbemühungen, die die verschiedenen Kirchen durchführten. Auf der anderen Seite zeigten sich aber schon bald negative Auswirkungen, die bis zu psychischen Erkrankungen von Gemeindemitgliedern reichen konnten. Kritische Stimmen fragten sich, ob die Drohungen mit der Hölle nicht zu schrecklich sein könnten für »ordinary people« (125). Mit diesen ablehnenden Stimmen, die sich in vielfältigen Formen manifestierten, setzt sich das nachfolgende Kapitel dann ausführlicher auseinander. Dabei war die Hölle ein polarisierendes Konzept, und über die Auseinandersetzungen kann L. viel über das jeweilige religiöse Selbstverständnis ihrer Akteure zeigen. Für Native Americans, Mormonen und Spiritualisten grenzte man sich im Modus der Verdammnis von den religiösen Antagonisten ab. Das Wechselspiel von Alterität und Identität kam auch in diesem Fall zum Tragen. In der ersten Hälfte des 19. Jh.s mischten sich aber außerdem noch rassistische Argumentationsmuster in die Verdammnisrhetorik.
Im letzten Abschnitt dieses fesselnden Buches thematisiert L. die Verteidigung dieser Rhetorik sowie ihre anschließende Auflösung. Insbesondere das fünfte Kapitel über die Verwendungsweisen in der Kontroverse über die Sklaverei ist äußerst interessant. Abolitionisten setzten sich für die Abschaffung der Sklaverei ein, indem sie diese als eine Hölle beschrieben und die Sklavenhalter als »Verdammte« bezeichneten. Allerdings mussten sie hierbei auch auf ihre weißen Unterstützer aus den Nordstaaten Rücksicht nehmen, was insgesamt zu einem Rückgang der Popularität dieser Metapher führte. Hölle und Verdammnis waren also keineswegs nur konservative Theologumena, sondern wurden in den Forderungen nach Reform und Abschaffung der Sklaverei durchaus innovativ adaptiert. »Damnation presented«, so L., »the ultimate consequence of, and the ultimate language with which to condemn, the slavery to sin and the sin of slavery, even as it offered slavery’s apologists a language with which to deflect the blows« (200). Der amerikanische Bürgerkrieg, mit dem sich das abschließende Kapitel auseinandersetzt, sei sowohl der Kulminationspunkt als auch eine Weggabelung für die Rhetorik der »Damnation« gewesen. Durch die schiere Anzahl der Toten habe die Hölle an Attrak- tivität verloren und man präferierte eher tröstende Vorstellun-gen vom Himmel, in dem man seine Verstorbenen wiedertreffen würde.
Verschwunden sind Hölle und Verdammnis aus dem rhetorischen Arsenal des amerikanischen Christentums – und der amerikanischen Gesellschaft insgesamt – bis heute nicht. L. führt hierfür schöne, illustrative Beispiele in ihrem Epilog an. Für ein Verständnis der diffusen Welt des amerikanischen Christentums leistet ihr Buch einen wichtigen Beitrag, auch wenn man sich gewünscht hätte, dass die methodischen Prinzipien, mit denen sie arbeitet, insgesamt deutlicher gemacht worden wären. Gleichwohl hat die amerikanische Religionshistorikerin ein beeindruckendes, interessantes Erstlingswerk vorgelegt, dem ähnliche Studien aus anderen Ländern an die Seite zu stellen wären.