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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

506–508

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Freist, Dagmar

Titel/Untertitel:

Glaube – Liebe – Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter Oldenbourg 2017. XII, 504 S. = Bibliothek altes Reich, 14. Geb. EUR 79,95. ISBN 978-3-486-74969-4.

Rezensent:

Patrick Bahl

Dagmar Freist widmet sich in ihrer Monographie dem Problem der interkonfessionellen Ehe in der Frühen Neuzeit, wobei sie ihr Augenmerk auf »die Bedingungen, Praktiken und Grenzen religiös-konfessionell gemischten Zusammenlebens, die in Mischehen als kleinste soziale Einheit beobachtbar werden« (4), richtet. Dabei erweist sich die Verwendung des Doppelbegriffs »religiös-kon-fessionell« als wegweisend für die Studie, insofern F. »zur Kennzeichnung obrigkeitlicher Formungsprozesse entlang normativ gesetzter konfessioneller Unterscheidungsmerkmale innerhalb des Christentums« (7) auf das Adjektiv »konfessionell«, zur Kennzeichnung der subjektiven Aneignung dieser konfessionellen Prägung auf den Begriff »religiös« zurückgreifen und so den »konfessionellen Formungsanteil in der religiösen Selbstverortung der Ehepaare« (7) differenziert in den Blick nehmen möchte.
Die interkonfessionelle Ehe erweist sich nun als überaus vielschichtiges Problem, das F. aus verschiedenen Blickwinkeln be­leuchtet. So geht es im ersten Kapitel der Studie (21–128) um die theologischen und juristischen Voraussetzungen der Beurteilung der interkonfessionellen Ehe. Dabei bestätigt sich im Großen und Ganzen der weithin anerkannte Eindruck, dass Theologen beider Lager die interkonfessionelle Ehe als unerwünscht und als die konfessionelle Uniformität störend erachteten, doch F. kann darüber hinaus zeigen, dass sich die diversen Rechtsforen keineswegs apodiktisch und a priori mit der Mischehe befassten und sie sanktionierten, sondern vielmehr auf die Faktizität der Mischehe reagierten und einen Rechtsausgleich herzustellen versuchten. Dabei blendet F. notabene nicht nur die loci classici des römisch-katholischen und protestantischen Eheverständnisses ein, sondern lässt auch schmählich vernachlässigte Theologen (wie. z. B. Hemmingsen) zu Wort kommen. Im zweiten Kapitel (129–185) wird erkennbar, dass die von Kirche, Obrigkeit und gesellschaftlichem Diskurs vorgegebene, religiös-konfessionelle Leitidentität auf der sozialen Ebene der Familie nicht die erwünschten Bindungskräfte entfalten konnte, sondern sich innerhalb des Hauses »komplexe Prozesse kreativer Aneignungen konfessioneller Deutungsangebote und das Aushandeln von Differenzen im Alltag« (19) vollzogen. In diesem Zusammenhang kann F. zudem zeigen, dass im 17. und 18. Jh. ein theologischer und politischer Diskurs über die Entwicklung der religiösen Identität von Kindern und deren religiöser Auskunftsfähigkeit im Gange war, wobei die protestantischen Theologen verschiedene Altersgrenzen in Bezug auf die Gotteserkenntnis diskutierten, während diese katholischerseits auch schon im frühen Kindesalter für möglich gehalten wurde. Im dritten Kapitel (187–299) der Untersuchung legt F. drei »Fallstudien« zur Kurpfalz, Osnabrück und Kursachsen vor. Diese sind insofern aufschlussreich, als dass sie einen sehr unterschiedlichen Umgang mit dem Problem der interkonfessionellen Ehe dokumentieren: Sei für das konfessionell schwankende Fürstbistum Osnabrück eine ständige Selbstvergewisserung der konfessionellen Parteien auf die Recht-setzung der Capitulatio Perpetua Osnabrugensis charakteristisch, versuchten in der weitestgehend rekatholisierten Kurpfalz die protestantischen Geistlichen vor allem unter Zuhilfenahme anderer protestantischer Fürsten und unter Berufung auf den Westfälischen Friedensvertrag eine öffentliche Aufmerksamkeit für die Verletzung der konfessionellen Integrität zu schaffen. Einen Sonderfall nehme Kursachsen ein, denn in dem konfessionell homo-genen Fürstentum sei das Problem der interkonfessionellen Ehe besonders intensiv diskutiert worden, was F. mit der Furcht vor einer Rekatholisierung nach der Konversion Augusts des Starken plausibel begründen kann. Das vierte Kapitel (301–371) beleuchtet unter der provokanten Überschrift »Glaube – Liebe – Zwietracht« die Gefährdung des Familien- und Hausfriedens durch die interkonfessionelle Ehe. Zwar seien zwischen den Eheleuten oftmals Verträge und Vereinbarungen (vor allem über die religiöse Erziehung der Kinder) getroffen, aber gelegentlich auch umgangen oder mit dem Tod des Ehepartners als hinfällig erachtet worden. In dies en Konfliktfällen wurden Gerichte eingeschaltet, die zu prüfen hatten, unter welchen Bedingungen die Konversion der Kinder rechtsgültig sein könne. Besonders drastisch sind die von F. ge­schilderten Fälle der Kindesentziehung durch Elternteile, weitere Verwandte, aber auch die Obrigkeit oder Geistlichkeit, um die fremdkonfessionelle Erziehung der Kinder durchzusetzen oder zu verhindern. Auch hier zeigen sich die Zuständigkeitskonflikte zwischen Obrigkeit und Kirche: Die verschiedenen Parteien haben den Rahmen von Augsburger und Westfälischem Frieden immer wieder neu definiert, um die Gewalt des pater familias durch das In-sistieren auf die Religionsfreiheit zu begrenzen bzw. außer Kraft zu setzen, oder aber jene Begrenzung als Argument gegen die interkonfessionelle Ehe anzuführen. Das fünfte Kapitel (373–452) weitet noch einmal den Blick hinsichtlich des öffentlichen und kontrovers geführten Diskurses über die interkonfessionelle Ehe im Kontext der Gewissensfreiheit und der freien Religionsausübung nach 1648. Hervorzuheben sind hier zum einen der aufsehenerregende Fall des katholischen Reichskammergerichtsassessors von Albini (1760), der die katholische Erziehung seiner Tochter gegen die Interessen seiner reformierten Frau und unter Hinweis auf seine väterliche Gewalt zu behaupten suchte, zum anderen die von F. ausgewerteten, fast grotesken Protokolle der Befragung konvertierter bzw. zwangskonvertierter Kinder: Hier wurden die klassischen Katechismusfragen, aber auch die Haltung zum und die innere Beteiligung am kirchlichen und gottesdienstlichen Leben geprüft, denn wenn eine Konfliktpartei Gewissenszwang nachweisen konnte, stand die Freiwilligkeit der Konversion der Kinder massiv in Frage. So zeigt F., dass in einem Fall von vier durch ihren katholischen Onkel entzogenen Kindern die mit dem Fall befassten (freilich protestantischen) Hallenser Gutachter »Papageiengeschwätz« (426) at­testierten und auf jesuitische Gewissensnötigung befanden, um die Rückführung der Kinder durchzusetzen.
F.s großes Verdienst besteht darin, dass sie durch ihre ausgleichende, umsichtige Darstellung das intrikate Verhältnis von politischem bzw. theologischem Konfessionalismus und familiärer Konfessionsidentität zu überwinden vermag. Dabei entfaltet sie ein gewaltiges Tableau von Einzelstudien und schließt eine Lücke in der Erforschung des konfessionellen Zeitalters. Hätte sich der Rezensent auch hier und da eine pointierte, vergleichende Zusammenfassung der Einzelstudien am Ende des jeweiligen Kapitels gewünscht, so entsteht doch nie der Eindruck der Redundanz oder Überfülle, und spätestens in der Bilanz werden die verschiedenen – theologischen, ideologischen, politischen, aber auch sozialen – Problemhorizonte in die prägnante Beobachtung überführt, dass sich die interkonfessionelle Ehe gerade deswegen als in der Öffentlichkeit hochumstrittenes Problem erweist, weil sie »paradigmatisch einer Verletzung des reichsweiten Religionsfriedens und der Gewissensfreiheit gleichkam« (459).