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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

500–502

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Markschies, Christoph

Titel/Untertitel:

Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2016. 900 S. m. 15 Abb. Lw. EUR 48,00. ISBN 978-3-406-66866-1.

Rezensent:

Tobias Georges

Das Themenfeld »Körper«/»Körperlichkeit«/»Leiblichkeit« hat Konjunktur. Mit feinem Gespür für diesen auch in den Wissenschaften sehr präsenten Trend widmet sich der Berliner Patristiker Christoph Markschies in seiner neuen, voluminösen Monographie dem Themenfeld aus theologiegeschichtlicher Perspektive und belegt damit in glänzender Weise die Anschlussfähigkeit seines Faches für aktuelle – sowie freilich auch historische – Diskurse.
Inzwischen haben zwar Historiker den menschlichen Körper in der Christentumsgeschichte schon intensiv thematisiert (Peter Brown, Jacques Le Goff, Caroline Walker Bynum), nicht jedoch den »Körper Gottes«. Ebendiesen »Körper Gottes« macht M. mit Blick auf die Antike zum Gegenstand seines Buches. Dadurch will er einem bis dato bestehenden, bemerkenswerten Defizit im »kollektive[n] Bewusstsein« wie in der »wissenschaftliche[n] Theoriebildung« entgegenwirken (21): Denn während im Christen- wie Judentum dominierende Traditionen – gerade im Gefolge antiker Philosophie, namentlich Platos – dazu tendierten, Gottes Körperlichkeit zu negieren und abweichende Vorstellungen den Ungebildeten zuzuweisen, ist M. zufolge in diesen Religionen wie auch in der antiken Philosophie selbst die »Tradition einer körperlichen Vorstellung von Gott […] nicht nur breiter belegt, als wir gewöhnlich denken, sondern wurde auch von hochgelehrten und intellektuell ambitionierten Menschen vertreten« (31).
Nachdem M. im 1. Kapitel diese Agenda in wünschenswerter Klarheit präsentiert hat, widmet er sich in den folgenden sechs Kapiteln aus verschiedenen, ineinandergreifenden Blickwinkeln ebenden Belegen für Vorstellungen von Gottes Körperlichkeit in der Antike. Er geht aus von der in der Exegese zunehmend profilierten Beobachtung, dass die körperliche Vorstellung von Gott »zutiefst die in der jüdischen wie der christlichen Bibel gesammelten Schriften« prägt (31), und fragt von daher, welchen Niederschlag diese Vorstellung – welche freilich leicht in Spannung zur ebenfalls biblischen Akzentuierung der Transzendenz Gottes treten kann – in jüdischen und christlichen Gotteskonzepten von der frühen römischen Kaiserzeit bis in die Spätantike hatte, wie die Kon­zepte sich zueinander verhielten und untereinander sowie auch mit Vorgaben aus der paganen Umwelt interagierten. Die Lektüre der Ausführungen gestaltet sich trotz des komplexen Stoffes stets kurzweilig, und jedes Kapitel ist auch für sich mit großem Gewinn zu lesen. Nähere Belege sowie Kommentare und Diskussionen zu Detailfragen finden sich im separaten Anmerkungsteil (437–768), welcher einerseits die eigentliche Darstellung (11–431) entlastet, andererseits eine Fundgrube für die vertiefte Beschäftigung mit dem Thema der Monographie bietet und von der Belesenheit M.’ zeugt.
Kapitel 2 setzt ein mit dem »Körper Gottes in der jüdisch-christlichen Bibel und bei den frühen christlichen Theologen« (41–112), wobei »Die antike Philosophie« (57–85) in diesem Zusammenhang auch eine prominente Rolle einnimmt, sofern gerade die Theologen des 2./3. Jh.s sich ihrer bedienten, um ihre »Heilige Schrift« zu interpretieren. Natürlich tendierte die Mehrheit dieser Theologen dahin, biblische Hinweise auf eine Körperlichkeit Gottes zu allegorisieren, und gerade der christliche Platoniker Origenes trat vehement für die Körperlosigkeit Gottes ein. Bei genauerem Besehen erscheinen aber »weder das Judentum noch das Christentum […] im Blick auf die Vorstellung von einem göttlichen Körper so monolithisch, wie es sich ein Origenes in der Antike wünschte« (111) – einschlägig ist hier der Verweis auf Tertullian, der mit der Stoa davon ausging, dass jegliche Existenz Körperlichkeit voraussetze, auch im Falle Gottes.
Das dritte Kapitel schwenkt zu den vielfältigen Illustrationen der Götter in der paganen Alltagskultur (113–143) und beleuchtet damit populäre, weithin akzeptierte Darstellungen der Götter in körperlicher Gestalt. Von diesen Darstellungen grenzten sich Juden und Christen natürlich explizit ab, auch ihre Synagogen bzw. Kirchen waren aber »Teil einer multireligiösen Umwelt und müssen vor diesem Hintergrund interpretiert werden« (143) – hochinteressant sind in diesem Zusammenhang die Erwägungen zur Darstellung einer thronenden Person in der Synagoge von Dura-Europos.
Kapitel 4 widmet sich der in der Spätantike kontrovers debattierten Frage nach einer Körperlichkeit der Seele (145–177). Diese Frage ist insofern wichtig für das übergeordnete Thema, als die Frage nach der Körperlichkeit der Seele »systematisch eng mit der Frage nach der Körperlichkeit Gottes verbunden ist« (176) – auch wenn beide Fragen im Neuplatonismus separiert wurden, möglicherweise eben, um Rückschlüssen von der ersten Frage auf die zweite zu wehren. Diese Debatten deuten darauf hin, dass eine körperliche Vorstellung von der göttlichen Sphäre keineswegs auf den Bereich der »Alltagsfrömmigkeit der Massen« beschränkt war (145).
Im fünften Kapitel kommen jüdische Texte aus der Spätantike in den Blick, die auf das Thema »Gottes Körper« verweisen (179–246), speziell die sogenannten »Shi‘ur Qoma«-Texte, also Passagen aus dem Korpus der Hekhalot-Literatur über das »Maß der Gestalt (des göttlichen Körpers)« (180). Für diese spannenden Einblicke beruft sich M., der im Buch grundsätzlich, und hier im Speziellen, weit über die eigenen Fachgrenzen hinausblickt, intensiv auf die Expertise judaistischer Forschung, insbesondere auf die Peter Schäfers. M. ʼ Leistung besteht vor allem darin, die verschiedenen antiken Kontexte miteinander zu verbinden. Dadurch gelingt es ihm, sowohl die Differenzen als auch die engen Bezüge zwischen »jüdischen«, »christlichen« und »paganen« Texten und Denkwelten aufzuzeigen. Er vermutet, die »Shi‘ur Qoma«-Texte mit ihren detaillierten Maßangaben zum göttlichen Körper seien eine »mehr oder weniger bewusste Konkurrenzbildung zur entfalteten spätantiken und byzantinischen Christologie« (245).
Das sechste Kapitel kommt zur christlichen Theologie zurück (247–372) und sucht zunächst bei Autoren und in Texten des 2. und 3. Jh.s noch einmal nach Ansätzen, Gott körperlich zu denken (Melito von Sardes, Irenäus von Lyon, pseudo-clementinische Homilien), um sich dann speziell der »anthropomorphitischen Kontroverse« am Ende des 4. Jh.s zuzuwenden. Angesichts der problematischen Quellenlage muss der Versuch, diese Kontroverse zu rekonstruieren, in all seiner Ausführlichkeit recht spekulativ bleiben – was freilich nicht M. anzulasten ist. Die Summe der Indizien dürfte dafür sprechen, dass die »Anthropomorphiten«, also eine Gruppe christlicher – und wohl keineswegs nur ungebildeter – Mönche in Ägypten, aus theologischer Überzeugung und mit Nachdruck für die Körperlichkeit Gottes eintraten. Allenfalls in Ansätzen lässt sich aber hier wie auch an anderen Stellen greifen, wie man sich Gottes Körper näher vorstellte, und unklar bleibt auch, in welcher Breite diese Vorstellungen de facto repräsentiert waren – hier könnte M. vielleicht an einzelnen Stellen etwas vorsichtiger formulieren.
Kapitel 7 wendet sich schließlich der antiken Christologie als dem Diskursfeld zu, auf dem die Reflexion über die menschliche und damit eben körperliche Natur des Gottmenschen Jesus Chris­tus aufs Engste mit dem Nachdenken über deren Verhältnis zu seiner göttlichen Natur – und letztlich auch mit der Frage nach deren Körperlichkeit verbunden ist. M. führt dieses Kapitel zu dem be­merkenswerten Fazit:
»Die Vorstellung von einem menschlichen Körper Gottes ist vielleicht die wirkmächtigste Form, in der die antike Vorstellung eines göttlichen Körpers die heftige religiöse und philosophische Kritik an diesem Gottesbild überlebt hat – und vielleicht die radikalste Form, in der die ursprünglich jüdische Idee, dass der Mensch nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen wurde, weitergedacht wurde: Der göttliche Körper ist eben der menschliche Körper – und umgekehrt.« (418)
Auf einer Linie mit diesem Fazit liegen die Schlussüberlegungen, welche zu der »Anregung« hinführen, »ob es nicht auch im Interesse der menschlichen Körper sinnvoll sein könnte, sich mit größerer Aufmerksamkeit mit dem Thema zu befassen, mit dem wir uns befasst haben: ›Gottes Körper‹« (428). Hier überschreitet M. freilich die Grenzen einer historischen Untersuchung, allerdings nicht, ohne vorher aufs Deutlichste darauf hingewiesen zu haben, mit der vorliegenden Monographie eben eine solche »historische Untersuchung« (und nicht einen »systematischen Beitrag« zur christlichen Gotteslehre) vorlegen zu wollen (425.428). Und de facto leistet das Buch genau das in vorzüglicher Weise: Es bietet ein großes historisches Panorama zum Nachdenken über den Körper Gottes in der Antike – sowie zu den von dort ausgehenden Linien bis in die Gegenwart. Damit macht es Lust, aus historischer Perspektive den Spuren für Vorstellungen von Gottes Körper an einzelnen der vielen im Buch benannten Fälle weiter auf den Grund zu gehen – und aus der Gegenwartsperspektive die Bedeutung des Themas »Gottes Körper« für heute näher zu reflektieren.