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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

493–496

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weidemann, Hans-Ulrich

Titel/Untertitel:

Taufe und Mahlgemeinschaft. Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XVI, 462 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 338. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-153362-4.

Rezensent:

Dieter Sänger

Taufe und Eucharistie sind das einende rituelle Band aller christlichen Konfessionsfamilien und Denominationen. Die Taufkatechesen des 4. und 5. Jh.s belegen eine stabile Zuordnung beider Riten in den nachkonstantinischen Taufgottesdiensten. Der zum Teil über mehrere Jahre sich erstreckende Initiationsprozess lief auf die Taufeucharistie zu und fand mit ihr seinen Abschluss. Freilich ist strittig, inwieweit ihre Vorgeschichte uns noch zugänglich ist. Die bisherigen Antworten liegen weit auseinander. Nach der einen stellt das Ritualgefüge von Taufe und Eucharistie kein Novum dar, sondern ist bereits in frühapostolischer Zeit fassbar und hat sich dann kontinuierlich weiterentwickelt. Der anderen zufolge ist die spätere Standardisierung der Taufeucharistie das Resultat einer Homogenisierung und Angleichung verschiedener liturgischer Traditionen (lokale, regionale, gruppenspezifische). Dominierte in der älteren Forschung das Kontinuitätsparadigma, besteht inzwischen ein breiter Konsens, dass monolineare Ableitungshypothesen und genetische Erklärungsmodelle dem komplexen literarischen Befund nicht gerecht werden. Doch ließ eine monographische Untersuchung, die sich anschickt, die aus den Quellen er­mittelten (Vor-)Formen der Taufeucharistie in ein auch historisch plausibles Gesamtkonzept zu integrieren, zumindest im deutschsprachigen Raum lange auf sich warten. Mit seiner transdiziplinär ausgerichteten Studie, die 2008 von der Tübinger Katholisch-Theologischen Fakultät als Habilitationsschrift angenommen und für den Druck überarbeitet wurde, trägt Hans-Ulrich Weidemann dazu bei, dieses Vakuum zu füllen. Heute ist er Professor für Neues Testament an der Universität Siegen.
Die Einleitung (1–24) hat gewissermaßen propädeutischen Charakter. Sie orientiert über den aktuellen Stand der Diskussion, problematisiert die Verwendung des Sakramentsbegriffs als übergeordnete Kategorie für das aus paulinischer Sicht Gemeinsame von Taufe und Herrenmahl, skizziert den Referenzrahmen der Arbeit und die ihr gestellte Aufgabe. Verteilt auf die beiden Hauptteile wird das einschlägige Quellenmaterial anschließend einer literarkritischen, text-, form- und überlieferungsgeschichtlichen Analyse unterzogen und im Blick auf seine rekonstruktive Leistungsfähigkeit ausgewertet. Zunächst behandelt W. »Taufeucharistien und postbaptismale Mähler in Quellen des 2. und 3. Jahrhunderts« (27–219), sodann »Taufe und Eucharistie im Neuen Testament« (221–400). Diese chronologische Rückwärtsbewegung soll der Ge­fahr wehren, bei der Suche nach den Wurzeln der Taufeucharistie die besprochenen neutestamentlichen Texte in ein Modell einzupassen, das die aus ihnen rekonstruierten liturgischen Deutungsmuster bis ins 5. Jh. hinein fortschreibt. Um ein plurales und lokal differenziertes Bild der postbaptismalen eucharistischen Mähler im 2./3. Jh. zu gewinnen, fragt W. deshalb in einem ersten Schritt nach dem »ritual pattern« (20), das hier realisiert ist, und welches Tauf- und Eucharistieverständnis in ihm greifbar wird. Den wesentlichen Ertrag seiner Studie fasst er in der »Schlussbetrachtung« (401–411) kurz und bündig zusammen: Entgegen dem älteren Leitparadigma lässt sich die »Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie« nicht als »lineare Entwicklungsgeschichte erzählen, die von einer urchristlichen Initiationspraxis in die Taufgottesdienste des 4. und 5. Jhs. einmündet«. Vielmehr liegt ihr ein als »Dispositiv« bezeichneter Gesamtkomplex »von heterogenen En­sembles aus miteinander vernetzten diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, Institutionen, Gegenständen und Akteuren« (401) zugrunde.
Das Negativergebnis formuliert die Quintessenz aus den im 1. Hauptteil untersuchten Texten. Neben der Didache, die das Getauftsein erstmals zur Voraussetzung für die Teilnahme am eucharistischen Gemeindemahl erklärt, werden all jene berücksichtigt, in denen sich Hinweise auf eine Taufeucharistie als Ab­schluss des Taufgottesdienstes finden: Justins Apologie und der »Dialog mit Tryphon«, die apokryphen Paulus-, Petrus- und Thomasakten, Pseudoclementinen, diverse Schriften Tertullians sowie die als »multi-layered work« (192) charakterisierte sogenannte Traditio Apostolica. Am Beginn eines jeden Abschnitts erörtert W. die wichtigsten Einleitungsfragen, wenn sie interpretatorisch von Belang sind, zum Teil ausführlich (29–36.190–198). Jeweils am Ende resümiert er den erhobenen Befund und profiliert die aus dem »ritual pattern« erschlossene konnektive Struktur der beiden Ritualkomplexe.
Zieht man ein übergreifendes Fazit, so ergibt sich: Die genannten Quellen bezeugen verschiedene Formen von Taufeucharistien bzw. postbaptismalen Mählern. Deren unterschiedliche Ausgestaltung spiegelt die konkrete Mahlpraxis der einzelnen Trägergruppen und ist Teil der vorkonstantinischen liturgischen Pluralität. Ritueller Vollzug, Handlungselemente (Salbung, Gebete, Exorzismus) und eucharistische Gaben (Brot, Wein, Milch, Honig, Wasser) differieren ebenso wie ihre theologischen Deutungen. Gleiches gilt für den Kreis der beteiligten Personen. Anders als im 4./5. Jh. kann von einer Standardisierung und Homogenisierung der Taufeucharistie noch keine Rede sein. Doch lässt sich ihre anfängliche Varianz als Ausgangspunkt einer Entwicklung verstehen, die später zu einer Vereinheitlichung und strukturellen Verfestigung der »liturgical practice« (7) geführt hat. Von einer »Innovation« im eigentlichen Sinne des Wortes kann man daher nicht sprechen (403).
Im 2. Hauptteil beleuchtet W. anhand der lukanischen Tauferzählungen, des antiochenischen Mahlkonflikts (Gal 2,11–14), der Götzenopferfleisch- und Leib Christi-Thematik (1Kor 8–10; 12,11–27) sowie der »Warnrede« (342) des auctor ad Hebraeos (5,11–6,12) den differenzierten Zusammenhang von Taufe und Eucharistie im Neuen Testament. Ich zeichne knapp die hergestellten Verbindungslinien nach.
Unter den Tauferzählungen der Apg sind vor allem jene liturgiegeschichtlich auswertbar, aus denen indirekt hervorgeht, dass Lukas der postbaptismalen Kommensalität von Juden- und Völkerchristen im Kontext der beschneidungsfreien Heidenmission zentrale Bedeutung zumisst. Durch die beiderseits gewährte »postbaptismale Gastfreundschaft«, die in der Flucht dieser Erzählungen liegt, wird die Taufe der Nichtjuden vollendet und gewissermaßen »ratifiziert« (275).
Im Blick auf die Genese der frühchristlichen Tauftheologie hat das in Gal 2,11–14 geschilderte Szenario weichenstellende Bedeutung. Die ethnische Grenzen überwindende antiochenische Mahlpraxis korrespondiert mit der »Taufformel« in Gal 3,28, die die Aufhebung der Unterschiede von »Juden und Griechen« proklamiert und eine neue, allein vom Christusglauben bestimmte Identität begründet (293). Vermutlich hat die negativ formulierte Aussage von 3,28 ihre jetzige Gestalt erst in Reaktion auf innergemeindliche Konflikte erhalten, bei denen auch an solche zu denken ist, die sich an der Tischgemeinschaft entzündeten, wie 2,11–14 exemplarisch zeigt. Dann wäre das factum Antiochenum ein Beleg dafür, dass sich die Tauftheologie der frühen Kirche »nicht zuletzt anlässlich von […] Mahl-Krisen« herausgebildet (294) hat.
Dass Paulus selbst nicht nur den altkirchlichen Eucharistiefeiern entscheidende Impulse vermittelt, sondern auch die Entstehung und Entwicklung von Taufeucharistien maßgeblich beeinflusst hat, entnimmt W. dem 1Kor. Wird in 10,1–22 mit Bezug auf »unsere Väter« der Durchzug durch das Meer auf die Taufe gedeutet (V. 1 f.), werden Manna und Felsenwasser als »Eucharistie«, als geistliche Speise und geistlicher Trank (V. 3 f.) präsentiert. Damit fixiert Paulus zum einen eine bestimmte Reihenfolge der Vollzüge, und zum anderen unterstreicht er, indem er Brot und Kelch argumentativ einbringt (V. 16 f.), deren »besondere«, aus den übrigen Speisen des (Sättigungs-)Mahls »herausgehobene Funktion« (319). Mit anderen Worten: Im 1Kor verknüpft der Apostel seine pneumatologische Interpretation der eucharistischen Gaben mit einer kreuzestheologischen (10,16; 11,23–27), ohne das Zuordnungsverhältnis von Taufe und Herrenmahl näher zu erläutern (320.338 f.).
Für den Hebr ist 6,4–6 zufolge ebenfalls ein pneumatologisches Verständnis leitend, speziell hinsichtlich der Ersteucharistie. Mehr noch als das Taufgeschehen ist die durch sie vermittelte Teilhabe am Heiligen Geist der grundlegende Beginn des Glaubenswegs (369 f.). Diese eucharistische Engführung der Geistbegabung reflektiert das Anliegen des auctor ad Hebraeos, den Getauften die Unmöglichkeit einzuschärfen, vom Glauben Abgefallene könnten wieder zur Umkehr erneuert werden (377). Hat im Hebr »die Wassertaufe […] die Geistvermittlung ganz an die Eucharistie abgetreten«, sind bei Paulus Taufe und Eucharistie, funktional gesehen, komplementär aufeinander bezogen (1Kor 10,17; 12,13): Sie geben Anteil am Pneuma, integrieren in den Leib Christi und konstituieren ihn zugleich (407). Diese mit ihnen sich verbindende pneumatologische und christologische Dimension führte später zur liturgischen »Zusammenordnung der beiden Vollzüge in einen Taufgottesdienst« und zu ihrer »neuen gegenseitigen Anreicherung« (408).
Forschungsgeschichtlich gesehen betritt W. mit seiner am Schnittpunkt von exegetischen, liturgie- und ritualwissenschaften Fragestellungen angesiedelten Studie kein völliges Neuland. Doch zeigt er einmal mehr, wie lohnend es sein kann, auf einem schon vielfach beackerten Feld das Terrain neu zu sondieren. Die Arbeit imponiert durch die Breite und Fülle des herangezogenen und kritisch aufbereiteten Quellenmaterials. Hervorzuheben ist ferner die auf Trennschärfe bedachte analytische Erschließung historisch komplexer Zusammenhänge. Grundlegende positionelle Differenzen werden nicht bloß notiert, sondern als hermeneutische Problemanzeige begriffen, durch die W. sich herausgefordert sieht, seine Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte postbaptismaler Mähler und Taufeucharistien gegenüber alternierenden Deu tungsansätzen exegetisch wie methodisch zu plausibilisieren. Allerdings erscheint es zumindest wenig glücklich, wenn er die beschreibungssprachlichen Begriffe »Eucharistie« und »eucharis­tisch« im Anschluss an Andrew McGowan uneinheitlich ge­braucht: »[I]n einem weiteren Sinne für alle Mahlformen, bei denen bestimmte, zumeist terminologisch anhand der semantischen Felder εὐχαριστεῖν bzw. εὐλογεῖν identifizierbare Gebete eine zentrale Rolle spielen. Im engeren Sinne […] für Riten, bei denen ausschließlich oder fast ausschließlich Brot und Wein bzw. Wasser verwendet werden« und die auf den Verzehr »der konsekrierten Nahrungsmittel ausgerichtet sind« (24). Denn obwohl für ihn die Grenzen fließend sind, konterkariert er mit dieser Unterscheidung nolens volens seine eigene Warnung, die christlichen Mähler der ersten Jahrhunderte in sakral oder profan resp. in »Agapen« und »Eucharistien« einzuteilen (20). Zudem ist Vorsicht geboten, den Abschnitt Gal 2,11–14 in Verbindung mit 3,28 für die weitreichende These in Anspruch zu nehmen, »die Tauftheologie der alten Kir-che« habe sich »nicht zuletzt anlässlich von […] Mahl-Krisen heraus[gebildet«. Weder gibt es belastbare Indizien für die damit ein hergehende Annahme, die negativ formulierte »Taufformel« in Gal 3,28 sei in ihrer jetzigen Gestalt sekundär und begründe die antiochenische Mahlpraxis, noch führt W. einen der Texte des 2./3. Jh.s an, der in diese Richtung weist und seine Vermutung erhärten könnte.
Solche und andere mögliche Anfragen ändern freilich nichts an dem überaus positiven Eindruck, den die Studie hinterlässt. Das Darstellungskonzept ist in sich schlüssig und leuchtet unmittelbar ein. Sein eingangs skizziertes Programm setzt W. sukzessive um, wobei deutlich wird, dass gerade jene Texte für das »alte« Leitparadigma ein Störfaktor sind, auf die es sich u. a. stützt (Justin, apokryphe Apostelakten). Über die erzielten Ergebnisse wird man im Einzelfall diskutieren können, nicht aber über die Qualität und das hohe Reflexionsniveau der Arbeit. Sie repräsentiert den aktuellen Stand der Forschung, verrät einen problembewussten Umgang mit den Quellen und bindet kultur- und religionssoziologische Diskurse in den theologischen ein. Kurzum, mit ihr leistet W. einen substanziellen Beitrag zur Frage der Entstehung, Entwicklung und Kontexte (tauf-)eucharistischer Mahlpraktiken in den ersten drei Jahrhunderten. Dafür gebühren ihm Dank und Anerkennung.