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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

491–493

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thomas, John Christopher, and Frank D. Macchia

Titel/Untertitel:

Revelation.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2016. 692 S. = The Two Horizons New Testament Commentary. Kart. US$ 36,00. ISBN 978-0-8028-2554-4.

Rezensent:

Martin Karrer

Die Reihe der The Two Horizons New Testament Commentaries verfolgt das reizvolle Ziel, Exegese und theologische Auslegung durch die Beteiligung zweier Autoren in ein Gespräch über den biblischen Text zu bringen. Jedem Fach ist seine Methodenvielfalt freigegeben, der Exegese also die ganze Breite von historischen über sozialwissenschaftliche bis hin zu kanonischen Fragestellungen, der Systematik die Weite hermeneutischer Reflexion und theologischer Diskussion.
Den exegetischen Part nimmt im vorliegenden Band J. C. Thomas (Cleveland, TN), den systematischen F. D. Macchia (Costa Mesa, Cal.) wahr. Beide sind durch die pentecostale Tradition und das Zentrum für pentecostale Studien der Bangor University miteinander verbunden. Dadurch ergibt sich eine besondere Aufmerksamkeit auf pneumatische und charismatische Aspekte der biblischen Schrift sowie die apokalyptisch-eschatologische Tradition.
Erwähnungen des Geistes bestimmen folgerecht die Gliederung der Apk. Thomas bestimmt vier Hauptabschnitte 1,9–3,22 (»In the Spirit on Lord’s Day«); 4,1–16,21 (»In the Spirit in Heaven«; 17,1–21,8 (»›In the Spirit‹ – Carried to a Wilderness«) und 21,9–22,5 (»›In the Spirit‹ – Carried to a Great High Mountain«) durch den Gebrauch der Wendung ἐν πνεύματι (»im Geiste«; 1,10; 4,2; 17,3; 21,10). Das ist eine originelle Gliederung (ἐν πνεύματι kommt nur an den genannten Stellen der Apk vor). Eschatologisch bemerkenswert ist die Deutung des Herrentags in 1,9; Thomas bezieht ihn auf den »yom Yahweh«, den Tag Gottes und zugleich Tag des eschatologischen Kommens Christi (34 f.). Die Hörer und Leser der Apk »thus stand with John on the verge of the day to which all of history points, the Lord’s Day« (81).
Die beiden Autoren sprechen im »Preface« die pentecostale Tradition an und setzen sich reflektiert von vereinfachten Identifikationen einzelner Aussagen der Apk im Sinne einer »end-time-prophecy« ab (XV–XVI). Dadurch gewinnt der Band theologische Offenheit, ohne sein Interesse an aktuellen Erfahrungen (vgl. XVI) und die Nähe zu den neuzeitlich-freikirchlichen Rezeptionen der Apk zu verstecken (vgl. in der Wirkungsgeschichte das breite Zitat von Hymnen Charles Wesleys [54–57]). Manche Schätze der Lesegeschichte tauchen auf, die anderweitig wenig bekannt sind (die Rezeption der Apk im Lied »Pearl« des Gawein-Dichters [58 f.] usw.).
Freilich verfugt der Kommentar den exegetischen und den systematischen Blickwinkel nicht den Abschnitten der Apk folgend, sondern lässt zuerst den Exegeten und dann den Systematiker seine Sicht je geschlossen vortragen. So entstehen nach der »Introduction« (1–72) zwei hintereinander gereihte Buchteile (»Commentary« 73–403, »Theological Horizons« 405–624). Das bietet in einer Hinsicht einen Vorteil: Der systematische Teil lässt sich als eigenständige Abhandlung über die Theologie der Apk und ihre heutige Relevanz lesen. Da er die Apk zu allen großen Themen ins Gesamtfeld der neutestamentlichen Zeugen einbettet, entwirft er eine systematisch-gesamtbiblische Perspektive. Zur Bündelung dessen wäre ein gemeinsamer Abschluss durch beide Autoren wünschenswert, damit Leser und Leserin deren Konsens im Gesamtgefälle erkennen: Die Apk besitze (systematisch-hermeneutisch gele sen) einen Charakter befreiender Botschaft unbeschadet – oder vielleicht gerade wegen – ihres intensiven Redens von Gottes Sou­veränität und Zorn (vgl. die Vorbemerkung von F. D. Macchia, XVII); sie ziele auf den Triumph der kostbaren Gnade und gebe den leidenden Heiligen dadurch eine leuchtende Hoffnung (578 f. u. ö.).
Der Autor gilt als ein Prophet Johannes (36 f.), judenchristlicher und genauerhin vielleicht priesterlicher Herkunft (vgl. Polykrates nach Euseb, h. e. über den Jünger, der an der Brust des Herrn lag) und die Apk als ein Teil der johanneischen Literatur mit selbständigen Zügen; das hat in Exegese und Systematik viele Vergleiche mit Joh und Joh-Briefen zur Folge (auch in der Eschatologie; Macchia, 585–597).
Auf den ersten Blick konventionell bestimmen die Autoren die Situation der Apk: Sie lesen sie als Zeugnis einer schwerwiegenden Unterdrückungssituation. Das ist angesichts der jüngeren Differenzierungen in der Domitianforschung bei der nach wie vor plausiblen Datierung in Domitians Zeit (vgl. 26) allerdings nur aufrechtzuerhalten, wenn mehrere Ströme der Opposition sich mit einem kosmischen Konflikt (23 f.) vereinen; die Forscher nennen neben der staatlich-gesellschaftlichen eine jüdische Opposition und das Auftreten falscher Lehre und falscher Propheten (24 f.). Stimmig zu dieser These interpretiert Thomas die in 2,9 kritisierte Versammlung (συναγωγή) Satans auf die jüdische Gemeinde (sie sei ethnisch, aber nicht spirituell jüdisch; 96) und deutet die Menschen aus den zwölf Stämmen Israels in Apk 7 als ein Bild der johanneischen Gemeinde; 167.169). Beide Interpretationen sind umstritten, und mit ihnen würde sich auch das Bild der Situation ändern.
Das führt uns zu einer weiteren Einschränkung des Bandes: Thomas entfaltete seine Auslegung der Apk ausführlicher im Kommentar »The Apocalypse: A Literary and Theological Commentary« (Cleveland, TN: CPT Press, 2012). Er erweiterte schon dort die sprachliche und historische Analyse durch die Dimension des literarischen Hörens, so dass der jetzige Kommentar den damaligen Impuls konsequent fortsetzt (der Plan des Kommentars mit zwei Horizonten war schon damals gefasst). Aber die Auslegungen sind in der Fassung von 2012 umfangreicher; für den vorliegenden Band mussten sie gekürzt und dem jetzigen Zweck adaptiert beschränkt werden (vgl. XVIII; altsprachliche Zeichen etc. sind im Band vermieden).
Wer nur die Exegese sucht, wird deshalb weiterhin zuerst zum Kommentar von 2012 greifen. Schon dort würde man manche Diskussion breiter wünschen (z. B. die Berücksichtigung der Forschung zur Situation der Apk seit Leonard Thompson). Noch mehr gilt das im vorliegenden Band. Er muss z. B. auf textkritische Erörterungen auch dort verzichten, wo sie wichtig wären, z. B. in 12,18/ 13,1 (229); der Textus receptus las dort ἐστάθην, so dass die klassischen Bibelübersetzungen – Luther 1545 und King James – einen Ortswechsel vornehmen, der für die Gliederung der Apk wichtig wäre (der Seher, nicht der Drache, tritt in dieser Textfassung ans Ufer des Meeres). Nicht einmal die Alternative 616 (Codex C und andere) zu 666 in 13,18, der manche Textkritiker den Vorzug geben würden, wird erörtert; Thomas interessiert am stärksten die kosmische Dimension einer Dreieckszahl (243–250). Rhetorische Analysen treten zurück, ebenso die Bezüge auf griechische Mythen. Letzteres wäre nicht nur für Kapitel 12 relevant, so auch z. B. in 9,11; eine Referenz des dortigen Apollyon zum »Destroyer« in der Exodustradition wird 186 erwogen, eine solche zu Apollon nicht, obwohl griechische Wortspiele zwischen dem Namen Apoll und dem Verb »verderben« ( ἀπόλλυμι) antik nicht selten sind.
Diese Kritik soll nicht die zahlreichen anregenden Interpretationen des Bandes im exegetischen Teil und Reflexionen im systematischen Part verdecken. Vieles verdient das Nachdenken (die Betonung der scheidenden Kraft des Geistes usw.). Die sprachliche Gestaltung erleichtert die Benutzung. Autoren-, Stellen- und Sachregister helfen beim Nachschlagen, bestätigen freilich auch, was schon anklang: Die jüngste außeramerikanische Forschung wird selektiv und die deutsche Literatur mit ihrem starken Interesse jüngster Zeit an Textforschung, Rhetorik und Religionsgeschichte der Apk (besonders griechisch-römische Religionsgeschichte) so gut wie nicht benutzt. Der Kommentar ist deswegen in Europa vor allem relevant, um die Weite und Offenheit der internationalen pentecostalen Auslegung und Reflexion über die Apk kennenzulernen.