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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

487–488

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lorenz, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Ein Jesusbild im Horizont des Nationalsozialismus. Studien zum Neuen Testament des ›Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‹.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XIV, 539 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 440. Kart. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-154569-6.

Rezensent:

Otto Merk

Zu den Ungeheuerlichkeiten wissenschaftlicher Verblendung im »Dritten Reich« unter gleichzeitiger Irreführung von Menschen kirchlicher wie nichtkirchlicher Bindung gehört die Herausgabe einer das Neue Testament in Auswahl bietenden Bibel »Die Botschaft Gottes« [im Folgenden: BG], Weimar 1940, durch das im Titel genannte Eisenacher Institut. Eine Teilausgabe erschien wenige Monate zuvor. Ist auch die Tätigkeit und Geschichte des Eisenacher Instituts weitgehend erforscht, so fehlte doch eine genauere Überprüfung der angeführten Bibelausgabe auf ihre vom nationalsozialistischen Denken durchsetzte Übersetzung und Auswahl. Dieser Aufgabe stellte sich Elisabeth Lorenz in ihrer von Tobias Nicklas betreuten Regensburger Dissertation. – Um es vorweg zu sagen: Dies ist der Vfn. in einer breit angelegten, im Detail äußerst gründlichen Untersuchung vorzüglich gelungen. In fünf stringent aufeinander folgenden Kapiteln entschlüsselt sie das Vorgehen der Herausgeber der BG und entlarvt deren Ansatz.
In Kapitel 1 »Zum Hintergrund: Zielsetzung, Aufbau und historischer Rahmen der BG« (3–81) ergibt sich: Unter den Redaktoren der BG als »Volkstestament« ist der Begründer des Eisenacher Instituts, der Neutestamentler Walter Grundmann, der maßgebende Betreiber einer »Entjudung« des Neuen Testaments als Grundlage für diese Bibelausgabe, für die er durch seine zeitgleichen Veröffentlichungen die ideologische Vorgabe für ein nationalsozialis­tisch ausgerichtetes Jesusbild gab (66.57 u. ö.). Er wie seine Mitredaktoren konnten zwar auf bereits in ähnliche Richtung weisendes Gedankengut zurückgreifen, aber dies entlastet sie nicht davon, wie die Vfn. in methodisch klarer Vorgehensweise aufdeckt, dass »viele Passagen umgestaltet, gekürzt und neu übersetzt oder komplett gestrichen: Kurz gesagt […] eine ›entjudete Auswahlbibel‹ geschaffen« wurde (56). In ihrer eindringenden Analyse legt sie das Gewicht auf die der BG inhärente Bibelhermeneutik, wobei zwei Themenbereiche maßgebend herausgehoben werden: 1) die Chris­tologie und 2) »Opfer und Tempel« mit der jeweils von den Redaktoren beabsichtigten Wirkung auf die Leser. Für ihre zahlreichen – treffenden – »Konkretisierungen« (61) geht sie »synoptisch« in der Weise vor, dass sie nebeneinander in Spalten tabellarisch die »be­wusst deutende Übersetzung« der BG mit der Nestle-Aland Ausgabe, 28. Aufl. (= NA), der katholischen Einheitsübersetzung (= EÜ) und der Lutherübersetzung von 1912 (= Luther) parallelisiert (vgl. 64 ff. [527 zu den insgesamt herangezogenen Bibelausgaben]). Eine gewisse Schwierigkeit ist, dass die BG keine Verszählung aufweist und eigenmächtig gesetzte »Überschriften« und »Seitenschriften« (eine Art Erläuterung) durch die Redaktoren die »Erwartung der Leser lenken« sollen (65 f. u. ö.). Diese werden ausführlich diskutiert und im zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet.
In Kapitel 2 »Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG« (82–175) wird schlüssig nachgewiesen, dass das Messiasverständnis als »Kristallisationspunkt« (82) »für die Christologie der BG gelten« muss (83). Denn der von den Redaktoren geradezu schillernde Gebrauch des Christus-Titels und die negative Einstufung der Messias-Bezeichnung (besonders 87 ff.) verlangen nach alternativen, im Endeffekt »positiven« Lösungen (114 ff.), um den von jüdischen Vorstellungen weithin befreiten Jesus (vgl. auch 39) aus dem heidnischen Galiläa als den »Verheißenen« und als »Offenbarer« dem glaubenden deutschen Menschen zumuten zu können. Die ganze Widersinnigkeit dieser Anschauung erarbeitet die Vfn. durch ihre auch in Einzelheiten tiefgreifenden Beobachtungen an dem o. g. synoptischen Vergleich, verstärkt durch kürzere exegetische Hinweise und knappe Einordnung in die gegenwärtige Forschungslage (164 ff.).
Diese Vorgehensweise bewährt sich in Kapitel 3: »Jesus und das Judentum – zum Begriff des Opfers in der BG« (176–347). Von der »Vermeidung kultischer Implikationen« (176 ff.) über »Ersatztermini für ›Lamm Gottes‹« (243) bis zur »Umdeutung des Opferbegriffs« in der BG (295 ff., vgl. auch 460 ff.) wird der Tod Jesu durch die Redaktoren dahin verfälscht, dass dieser lediglich Vorbild für die im Kriege auf den Schlachtfeldern stehenden Soldaten ist (342 ff.).
Das Kapitel 4 »Jesus als ›Wunderneuschöpfung‹ im Verständnis der BG-Redaktoren« (348–479) akzentuiert und bündelt deren Sicht, wie die Vfn. scharfsichtig aufdeckt: »Jesus ist nicht der Messias, sondern der ›Leidende‹, mit dem wir mitleiden sollen« (350 ff.; Zitat 350). In diesem Sinne hat Jesus seine Jünger vorbereitet (387), wobei die Kreuzesnachfolge deutlich ausgeblendet wird (vgl. auch 392). Und wie Jesus sich (nicht nur zu seiner Zeit) gegen das Judentum gewandt hat, so sollen auch seine Nachfolger hierin seine »Mit-Kämpfer« werden (394 ff.). Es ist der Vfn. für den Nachweis zu danken, dass sie »die ›Konzeptmetapher‹ von ›Kampf‹ und ›Sieg‹ und vom Leben als Kampf«, »im Nationalsozialismus ebenso wie im deutschchristlichen Denken« (436; vgl. 433 ff.457 f.), so bedrückend klar herausstellt. Auf dieser Linie fortschreitend ist Jesus »nicht der ›König Israels‹, sondern ›König des Lebens‹« (437 ff.; Zitat 437), »nicht das Lamm, sondern der tapfere ›Lebensspender‹«. Dieser ruft »zur Tapferkeit«, insgesamt: Der »Opfertod Christi wird heroisiert« (Zi­tate 460; vgl. 466 f.). Verkürzungen und Verengungen der biblischen Texte, die nur als Fälschungen von Seiten der Redaktoren bezeichnet werden können, wollen »die Nachfolge Christi im Opfertod (für das Deutsche Reich)« fordern (479).
Die »Schlussgedanken« in Kapitel 5 (480–494) gelten vor allem der »›Verirrung und Fehlleistung von Kirche und Theologie auf dem Boden judenfeindlicher Einstellungen zu Lasten des Judentums‹« (487), wie die Vfn. selbst zitiert und zutreffend den Redaktoren der BG, besonders W. Grundmann, vorhält.
Ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Re-gis­ter (495–539) beschließen diese auch drucktechnisch herausragend gelungene Untersuchung, für die der Vfn. hohe Anerkennung und wirklicher Dank gebühren.
Einige kleinere Versehen sind ohne Mühe zu korrigieren. – R. Bultmanns Joh. Komm., in Lieferungen von 1937–1941 erschienen, sollte unter »Zeitdokumente (bis 1945)« eingeordnet werden; durchgängig zu verbessern ist der Name Strathmann (nicht Strahtmann).