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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

482–485

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weidner, Alexander

Titel/Untertitel:

Das Ende Deuterojesajas. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Studie zur Entstehung von Jes 40–60.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XIV, 273 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 94. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-155395-0.

Rezensent:

Torsten Uhlig

Es ist nicht zu bestreiten, dass in der gegenwärtigen Fülle methodischer Ansätze die redaktionsgeschichtliche Untersuchung der Prophetenbücher generell wie auch des Jesajabuches im Speziellen erheblich dazu beigetragen hat, feine inhaltliche Nuancen herauszuarbeiten, die Gestalt theologischer Konzepte zu schärfen und ihre historische Kontextualisierung wachzuhalten. Dies gelang im Bereich der Auslegung von Jes 40–66 nicht zuletzt dadurch, dass die bahnbrechenden redaktionsgeschichtlichen Arbeiten von Odil Hannes Steck, Hans-Jürgen Hermisson und Reinhard Gregor Kratz sowie etwas später von Ulrich Berges in den 1980er und 1990er Jahren ihre Thesen einerseits im intensiven Austausch mit Arbeiten bewährten und plausibilisierten, die detailliert die Endgestalt dieser Kapitel untersuchten. Andererseits zeigen die jeweils intensiven hermeneutischen Reflexionen, dass man sich der Herausforderungen hinsichtlich der angemessenen Kriterien für eine diachrone Scheidung sehr bewusst war.
In dem vorliegenden Buch, eine Dissertation, die im Rahmen eines DFG-ANR-Projektes zur Entstehung der drei großen Propheten von Uwe Becker betreut und an der Universität Jena 2016 eingereicht und angenommen wurde, stellt sich Alexander Weidner der Aufgabe, das ursprüngliche Ende Deuterojesajas sowie im Zuge von dessen redaktioneller Fortschreibung weitere jeweilige Ab­schlüsse zu bestimmen.
Von den markanten Rückverweisen in Jes 52,7–11; Jes 55,10–13; Jes 57,14–19; Jes 62,10–12 und Jes 66,5–24 auf Jes 40,1–11 innerhalb von Jes 40–66 auf Endtextebene sowie den gelegentlich als strukturierende Korrespondenzen in Jes 48,22; 57,20–21 und Jes 66,24 diskutierten Versen spricht W. lediglich Jes 52,7–11 und Jes 55 ausführlicher an. Er kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Jes 55 zu keinem Zeitpunkt einmal das Ende einer Deuterojesaja-Grundschrift oder einer der weiteren sieben von ihm erhobenen Deuterojesaja-Fortschreibungen gebildet haben kann (Letztere sind für W. meist nur örtlich begrenzt und selten durchgehende Redaktionsschichten).
Ursprüngliches Ende der laut W. am wahrscheinlichsten in Pa­lästina verfassten Deuterojesaja-Grundschrift bildete Jes 46,9–11, mit dem die Ausgangsfrage in Jes 40,27 hinreichend beantwortet ist. Um die Zeit des Tempelbaus wurde diese Grundschrift mit Jes 40,3–5*.10–11 und Jes 52,7–10* gerahmt und die Rückkehr JHWHs nach Zion hervorgehoben. Dieser Rahmen blieb auch mit der folgenden Erweiterung durch das »Imperativgedicht« (Jes 51,9–52,2*) bestehen. Im Zuge der nächsten Fortschreibung um Jes 40,9; 46,13b; 49,14–15 und Jes 54,1–3* wurde dann Jes 60,1–14* das neue Ende des Deuterojesajabuches und blieb es über die nächsten vier Fortschreibungsstufen. Jes 55 hingegen ist erst im Rahmen der sechsten (Jes 55,3.10–13) und siebten Fortschreibung (Jes 55,1–2.4–9*) hinzugefügt worden, ohne dabei einen Rahmen mit Jes 40,1–11 zu bilden. Den zehn Kapiteln, die der Analyse der Texte von Jes 40–55+60 gewidmet sind, ist ein kurzer auf literar- und redaktionskritische Arbeiten begrenzter Forschungsüberblick vorangestellt. Kapitel 12 enthält die Diskussion einiger markanter Abweichungen in der LXX, die zeigen sollen, dass schon in der Antike der Text von Jes 40–55 als literarisch uneinheitlich wahrgenommen wurde. Kapitel 13 fasst dann die Ergebnisse der Arbeit zusammen. Literaturverzeichnis, Bibelstellen-, Personen- und Stichwortverzeichnis schließen die Arbeit ab.
In den der Textuntersuchung gewidmeten Kapiteln zeigt zu­nächst eine »Hinführung« den Beitrag des jeweiligen Abschnittes für das Thema der Arbeit an und bietet einen inhaltlichen Überblick zum Text. Verglichen mit den einschlägigen Werken zu de­tailliertesten Darstellungen des Endtextes von Jes 40–55 – keines davon zieht W. heran oder erwähnt es im Literaturverzeichnis – begegnet hier eine äußerst oberflächliche Beschreibung des Ausgangstextes. Daran schließt sich jeweils eine Übersetzung an, in der unterschiedliche Schriften verschiedene Wachstumsstadien anzeigen. Das Hauptaugenmerk jedes Kapitels liegt dann jeweils auf der Literarkritik und redaktionsgeschichtlichen Einordnung des je­weils besprochenen Textabschnittes und deren Implikationen für die Frage nach dem »Ende Deuterojesajas«. Auch die literarkritischen Urteile in diesen Abschnitten wird man vielfach anders be­werten, zieht man Grundwissen zur Hebräischen Poesie, Standardliteratur zu Deuterojesaja und zu konzeptionellen Fragen wie der Personifikation der Stadt Zion als Frau oder zu den Gottesknechtstexten umfangreicher heran, als dies bei W. geschieht. Hinsichtlich der literarkritischen Vorgehensweise liest sich die Arbeit vielfach wie eine Veranschaulichung dessen, was Hans-Jürgen Hermisson in seinem Aufsatz von 1989 (»Einheit und Komplexität Deuterojesajas«, wiederabgedruckt in: Ders.: Studien zu Prophetie und Weisheit, Tübingen 1998, 132–157) in Bezug auf die Kriterien literar- und redaktionskritischer Methode problematisiert hat.
Für wie überzeugend man die Arbeit in ihrer Hauptthese und einzelnen Beurteilungen hält, wird vor allem davon abhängen, in welchen Rahmen der Auslegungsbemühungen um Jes 40–66 man sie hineinstellt. Im Rahmen der redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktion der Entstehung dieser Kapitel stellt sie neben den jeweiligen Beurteilungen der Einzeltexte vor allem die zeitliche Vorordnung von Jes 60 vor zentrale Texte in Jes 40–55, den Umfang der deuterojesajanischen Grundschrift, die hier keine »Rückkehrperspektive« enthält, und die Skepsis gegenüber durchgehenden Re­daktionsschichten zur Diskussion.
Hinsichtlich W.s Bestreitung eines durch Jes 40,1–11 und Jes 55 gebildeten Rahmens, demzufolge »diese Ähnlichkeiten an der Oberfläche liegen« (46), wäre freilich kritisch darauf hinzuweisen, dass er das eigentliche Ausmaß der Korrespondenzen dadurch klein hält, dass die jeweils begegnenden Worte nur unter Oberthemen (z. B. Pflanzen, Berge und Hügel) zusammengefasst werden, dass er das bei einem Rahmen als aufgedehntem Parallelismus anzunehmende Prinzip der Stereometrie überhaupt nicht anspricht, die darin besteht, nicht identisch, sondern komplementär zu formulieren (im Blick auf das Wort Gottes in Jes 40,6–8 und Jes 55,10–11). Die von W. notierte Abweichung hinsichtlich der Berge und Pflanzen ist vielmehr fundamental für die zum Ausdruck zu bringende Überbietung in Jes 55, die wichtige Aspekte von Jes 40–55 einschließt: Während die Berge und Hügel in Jes 40 im Dienste der Ankunft JHWHs stehen, können nach erreichtem Ziel auch die Berge und Hügel in den Lobpreis einstimmen, der das strukturelle Gerüst für Jes 40–55 (Jes 42,10–13; 44,23; 49,13; 52,10–11) darstellt. Während das Gras in Jes 40 verwelkt, ist die demgegenüber viel üppigere Vegetation in Jes 55 Erfüllung der schöpfungsverwandelnden Wirksamkeit Gottes (vgl. Jes 41,18–20; 42,9; 43,19–21) und seines Wortes. Während in Jes 40 das vergehende Gras dem beständigen Wort Gottes gegenübergestellt wird, ist in Jes 55 die Vegetation Wirkung aus dem Wort Gottes. Wie das Volk blüht also auch die Vegetation unter der Wirkung von Gottes Wort auf. Der gemeinsame Bezug zu Jes 6 (Jes 40,6–8 zu Jes 6,5.8; Jes 55,2 zu Jes 6,9) verstärkt zudem den rahmenden Charakter. Das Thema der Rückkehr in Jes 55 ist nur dann problematisch, wenn man es aus Jes 40,10–11 weginterpretiert (man beachte den dortigen Zusammenhang mit dem Auftrag des Gottesknechts: »Lohn« in Jes 40,10; 49,4).
Will man demgegenüber Jes 60 als Abschluss einer Deuterojesajafortschreibung etablieren (wofür die Endtextebene keine deutlichen Anhaltspunkte liefert), würde man Korrespondenzen wenigstens in einem ähnlichen Maße wie zwischen Jes 40 und Jes 55 erwarten. Doch ein solcher Nachweis geschieht nicht. Neben dem Versuch, Jes 2,1–5* auf der späteren Stufe eines Großjesajabuches als zu Jes 60 korrespondierenden Anfang zu erweisen, begrenzt W. seine Argumentation für Jes 60 als ein Ende Deuterojesajas darauf zu plausibilisieren, dass wegen der weiblichen Anrede Jes 60 ursprünglich Jes 54* fortgesetzt haben muss (obgleich bis heute die Identifizierung Zions als Angeredete trotz diverser Zwischentexte problemlos gelingt; warum soll es dann jemals unmittelbar auf Jes 54 gefolgt sein?). Es bleibt allein das Motiv der Ankunft JHWHs, das jedoch mehrfach angesprochen wird, so dass daran eine Abschlussfunktion schwer festzumachen ist. Dass selbst bei späterer Hinzufügung von Jes 55 keine rahmende Funktion mit Jes 40,1–11 intendiert sein soll, bleibt mindestens für den Rezensenten wenig plausibel.
Auch die im Blick auf Jes 55 geforderte differenzierte Wahrnehmung beim Vorkommen gleicher Worte löst W. an anderer Stelle nicht ein, z. B. wenn er die nicht gerade naheliegende Interpretation des 2. und 3. Gottesknechtsliedes als Reden des Kyros vor allem am Vorkommen der Verbwurzel רוע (wecken) in Jes 41,2 und Jes 50,4 (238) festmacht, obwohl der jeweilige Gebrauch (Jes 41,2: einmaliges historisches Ereignis an Kyros; Jes 50,4: beständiges Öffnen des Ohres für den Gottesknecht) unterschiedlicher kaum sein kann.
Hinsichtlich der These von den eher lokalen Fortschreibungen statt durchgehender Redaktionsschichten dürfte die Vorgehensweise die Ergebnisse in einem nicht geringen Maße bestimmen. Während frühere redaktionsgeschichtliche Arbeiten in ihrer gründlichen Wahrnehmung eng verflochtener Textzusammenhänge die Entstehungsstufen eines Textes eher als durchgehende Redaktionsarbeit plausibel zu machen suchten, können bei W. und seiner Nichtbeachtung dieser Zusammenhänge die vorgeschlagenen Wachstumsspuren innerhalb eines Textes auch als lokale Fortschreibung durchgehen. Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, warum W. sich neben Jes 60 nur auf die Untersuchung von Jes 40–55 beschränkt, wenn es diesen Textumfang seiner eigenen These nach zu keiner Zeit und auf keiner Ebene des Textwachstums gegeben hat.
Schließlich ist es höchst fraglich, ob man angesichts der gegenwärtigen hochspezialisierten Abhandlungen zu vielen Teilaspekten der Sprache und deren Bedeutung für die Exegese (Metapher- und Symboltheorie, kognitive Linguistik, Sprechakt-Theorie usw.) so selbstverständlich mit der Übernahme der Literarkritik des späten 19. Jh.s (B. Duhm und darüber hinaus eine beachtliche Reihe weiterer Arbeiten aus dieser Zeit, die in anderen Arbeiten wenig Erwähnung finden) auch deren Sprachverständnis zur Grundlage nehmen kann.
Im Rahmen der internationalen Forschung zu Jes 40–66 fällt eine Vermittlung schwer, da W. aktuelle Entwicklungen und grundlegende Standardwerke nicht mit einbezieht. Gleiches gilt im Rahmen der zahlreichen anderen methodischen Ansätze zur Prophetenexegese generell, die gegenwärtig diskutiert werden, und das durchaus auch im deutschen Sprachraum. Vielfach formuliert W. so, als ob es jene gar nicht gäbe. – In Kapitel 1 führt die eigenwillige Verwendung der Sekundärliteratur regelrecht zu einer verzerrten Darstellung der Forschungsgeschichte, wenn die Entwicklung der kompositionskritischen Arbeiten zur Endgestalt von Jes 40–55/66 völlig ausgeblendet und als Vertreter der Einheit Deuterojesajas ganze zwei Beiträge benannt werden.
So verbleibt die Arbeit im Wesentlichen mit ein paar ausgewählten Vertretern ähnlicher Vorgehensweise im Selbstgespräch.