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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

480–482

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lucas, Ernest C.

Titel/Untertitel:

Proverbs.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. 421 S. = The Two Horizons Old Testament Commentary. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-2710-4.

Rezensent:

Bernd U. Schipper

Nach einer Phase intensiver Forschungen in den 1990er Jahren erfreut sich das Sprüchebuch wieder größerer Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren sind mehrere Kommentare erschienen, darunter die umfangreichen Auslegungen von Magne Sæbø (ATD, 2012); Victor Avigdor Hurovitz (Miqra Leyisrael, 2012) und James A. Loader (HCOT, 2014) sowie die knappen Kommentierungen von Katherine M. Hayes (2013), Alviero Niccacci (2014) und Alan Moss (2015).
Mit seinem Kommentar zum Sprüchebuch in der Reihe »The Two Horizons Old Testament Commentary« führt der ausgebildete Biochemiker Ernest C. Lucas, der zuletzt am Bristol Baptist College in England tätig war, die Tradition seiner bisherigen Publikationen fort. Er hat bereits kurze Kommentierungen zum Danielbuch und zum Ezechielbuch sowie Textbücher zu den Psalmen und zur Weisheitsliteratur vorgelegt. Wie in der englischsprachigen Forschung durchaus üblich, bietet L. keinen eigenen Ansatz zum Sprüchebuch, sondern folgt bestimmten Referenzwerken. Dies sind die Kommentare von Michael V. Fox (Anchor Bible, 2000/ 2009), Bruce K. Waltke (NICOT, 2004/2005), William McKane (OTL, 1970) und Richard Clifford (OTL, 1999, 22001). Die Orientierung an den genannten Kommentaren führt zu einem recht traditionellen Blick auf das Sprüchebuch, der in allen drei Teilen des vorliegenden Kommentars deutlich wird.
Direkt zu Beginn der Einleitung (Teil 1, 1–48) betont L., dass die theologischen Traditionen Israels, wie beispielsweise die Bundestheologie, im Sprüchebuch nicht vorkommen. In der Auslegung von Spr 28 konstatiert er jedoch mit der Mehrheit der Ausleger, dass »Torah« hier einen nomistischen Sinn habe und der Torah des Mose nahekomme. L. definiert in seiner Einleitung »Weisheit« mit R. Norman Whybray im profanen, lebensweltlichen Sinn, betont hingegen bei der Auslegung von Spr 8 die theologische Dimension des Weisheitskonzeptes.
Bezüglich des Alters des Sprüchebuches datiert L. seine Anfänge in die Zeit Salomos (»Solomonic collection«) und schließt von der kurzen Notiz in Spr 25,1 darauf, dass die Zusammenstellung des Buches bis zur Zeit Hiskias andauerte (8. Jh.). Der Argumentation von Fox und Waltke folgend will L. eine spätere Redaktion des Sprüchebuches in persischer oder frühhellenistischer Zeit nicht ausschließen, datiert jedoch den Großteil des Buches (bis auf Spr 30–31) in die Königszeit.
Bevor jedes Kapitel des Sprüchebuches kurz ausgelegt wird, geht L. auf altorientalische Weisheitstexte ein und – in der Nachfolge von Claus Westermann und Friedemann Golka – auch auf afrikanische Spruchweisheit.
Trotz der genannten kritischen Punkte zeigt sich bereits in der Einleitung eine Stärke des Kommentars. Da L. seine Auslegung nicht auf grundständige eigene Forschungen zum Sprüchebuch gründet, bietet er an vielen Stellen eine Diskussion der Sekundärliteratur, die geradezu einführenden Charakter hat. Dabei berücksichtigt L. auch aktuelle englischsprachige Forschung, sei es die Arbeit von Timothy Sandoval zu »The Discourse of Wealth and Poverty in the Book of Proverbs« (2005), die wichtige Studie von William P. Brown (Character in Crisis, 1996) oder auch feministisch-theologische Studien (A. Brenner und A. O. Bellis, z. B. zu Prov 1,8–19).
Die eigentliche Kommentierung der Kapitel und Abschnitte (Teil 2, 49–198) variiert hinsichtlich Umfang und Detailliertheit erheblich. Manche Kapitel werden sehr ausführlich besprochen (z. B. 1,1–7; 1,8–19 oder 8,1–36), andere hingegen recht knapp (z. B. 3,1–12 oder 7,1–27).
Bei der Auslegung der Spruchweisheit (Spr 10–22) folgt L. Arbeiten von Bruce Waltke und Knut Heim, indem er Spruchgruppen (»Cluster«) voneinander abgrenzt. Die Einzelsprüche wurden – so L. in Aufgriff der klassischen Position – von einem »Compiler« zusammengestellt. In der thematischen Abgrenzung einzelner Spruchgruppen kommt L. zu ähnlichen Ergebnissen wie Arndt Meinhold in seinem Sprüchekommentar (ZBK.AT 16, 1991), den er aufgrund seiner Beschränkung auf englischsprachige Literatur jedoch nicht herangezogen hat. Was Meinhold teilweise als »Bezugsverse« be­zeichnet, klassifiziert L. als »Miscellaneous Proverbs« (z. B. 12,26–28). Dabei fällt auf, dass die Gliederung im Zuge der Auslegung immer kleinteiliger wird. In Spr 18 nimmt L. fast jeden Vers für sich selbst und folgt damit M. Fox, obwohl sich auch hier Spruchgruppen herausarbeiten lassen (vgl. Jutta Krispenz und Arndt Meinhold). Auch wird im Laufe der Auslegung die Kommentierung im­mer knapper. Zu Spr 22,17–24,22 beschränkt sich L. auf wenige Sätze, gleiches gilt für Spr 25–27.
Dem Anliegen der Kommentarreihe folgend bemüht sich L. um eine Verbindung von Exegese und systematischer Theologie. Dazu fügt er der Einzelauslegung einen fast genauso umfangreichen Teil mit thematischen Essays an (Teil 3, »Theological Horizons of Proverbs«, 199–382).
In diesem Abschnitt zeigt sich L.’ Stärke. Wer an einführenden und gut lesbaren Essays zum Tun-Ergehen-Zusammenhang, zu »Familie, Freunde und Nachbarn«, zu »Reich und Arm« oder auch zur Verbindung zwischen dem Sprüchebuch und dem Neuen Testament interessiert ist, der wird die kurzen Zusammenfassungen mit Gewinn lesen. Ob »Weisheit und Christologie« oder »Weisheit und Schöpfung« – L. bietet eine Position, die sich wie ein hermeneutischer Schlüssel liest, will man die gegenwärtige englisch sprachige Forschung verstehen. Denn was L. in den einzelnen Ab­schnitten schreibt, entspricht in vielem dem, was Studierende und Doktoranden in den USA und in England über das Sprüchebuch lernen. Wenn beispielsweise Christopher Ansberry wie selbstverständlich von einem königlich-höfischen Hintergrund des Sprüchebuches in allen seinen Teilen ausgeht (Be Wise, My Son, and Make My Heart Glad. An Exploration of the Courtly Nature of the Book of Proverbs, BZAW 422, Berlin/New York 2011), dann erklärt sich dies von einem Blickwinkel, der, etwas pointiert formuliert, dem Forschungsstand der 1980er Jahre entspricht, durch die Arbeiten von James Crenshaw, R. Norman Whybray, Michael Fox oder Bruce Waltke jedoch in der englischsprachigen Forschung geradezu kanonischen Rang erhalten hat.
Insgesamt handelt es sich bei L.’ Sprüchekommentar um ein verdienstvolles Buch, das zwar in der Auslegung des Sprüchebuches nicht an die eingangs genannten Kommentare heranreicht, jedoch mit den thematischen Essays und der instruktiven Einführung einen repräsentativen Einblick in das Verständnis des Sprüchebuches in der englischsprachigen Exegese gibt.