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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

474–476

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Berges, Ulrich, u. Willem A. M. Beuken

Titel/Untertitel:

Das Buch Jesaja. Eine Einführung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 241 S. = UTB 4647. Kart. EUR 23,99. ISBN 978-3-8252-4647-1.

Rezensent:

Thomas Wagner

In der von Karin Finsterbuch initiierten und begleiteten Sammlung von Einführungen in alttestamentliche Bücher bieten der Bonner Alttestamentler Ulrich Berges und sein Leuvener Kollege Willem A. M. Beuken einen »diachron reflektierten synchronen« (50 ff.) Durchgang durch das Jesajabuch. Die Darstellung basiert auf der von ihnen publizierten Kommentierung in »Herders Theologischem Kommentar zum Alten Testament«. Methodisch lehnen sie sich dabei an die Habilitationsschrift von Ulrich Berges »Das Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt«, Freiburg i. Br. 1998, an. Ihr Buch verstehen die Autoren als einen Reise- oder Kunstführer, der den Bibelleser durch die Lektüre begleiten soll. »Wie man auch ohne Kunstführer eine mittelalterliche Kirche mit Gewinn besuchen kann, so kann man auch das Buch Jesaja, das über die Zeitspanne von fast einem halben Jahrhundert entstanden ist, ohne weitere Anleitung lesen. Aber mit Führung sieht man mehr, versteht Zusammenhänge und beginnt selbst, Neues im Alten zu entdecken.« Und das versuchen die Autoren auf zweierlei Weise: mit einer Einführung in die Jesajaforschung sowie mit einer synchronen Analyse des Buches, das in Akte und Szenen unterteilt wird. In unterschiedlichem Maße fließen Ergebnisse von Arbeiten zur Re­daktionsgeschichte des Buches in diese Darstellung ein.
Die Darlegung der Forschungsgeschichte baut auf die von Dö­derlein und Duhm geäußerte These eines aus zwei Schriftstücken (Proto- und Deuterojesaja) kompilierten Textes auf, dessen zwei Quellen zunächst einzeln, anschließend als Großjesajabuch redaktionell wiederholt fortgeschrieben wurden. Die in der alttestamentlichen Forschung an dieser These geäußerte Kritik setzte bisher vor allem bei der Vorstellung vom Auftreten eines anonymen Propheten an; die ursprüngliche Eigenständigkeit dieser Abschnitte des Buches wurde jedoch kaum in Abrede gestellt. Dieser Tradition schließen sich auch Berges und Beuken an und konzentrieren sich im Folgenden darauf, diesen Teil des Buches als Werk eines Verfasserkreises anzusehen. Damit nehmen sie die von Berges in seiner Kommentierung von Jes 40–66 geäußerte These der Abfassung dieses Buchteils durch eine Sängergruppe auf, ohne diese näher auszuführen. In der gegenwärtigen Jesaja-Diskussion wäre es an dieser Stelle sicherlich angebracht gewesen, auch die These einer sukzessiven Fortschreibung des vorexilischen Jesajabuches darzulegen, wie sie in der anglo-amerikanischen Forschung in den vergangenen Jahren expliziert wurde. Gerade die Herkunft der als sogenannte »Brückentexte« in PrJes eingetragenen Texte (11,16; 14,1–3; 35; 38 f.; 55) und die hohe Dichte an motivischen Entsprechungen zwischen einem vorexilischen Grundbestand des PrJes, Jes 40–54 (nach Berges bestehend aus dem Jakob-Israel-Teil [Jes 40–48] und dem Knecht-Zion-Teil [Jes 49–54], die jeweils linear konzipiert sind) und Jes 55–66 (einer konzentrischen Komposition) hätten mit der Aufnahme dieser These eine alternative Erklärung er­halten. Jenseits dieser diachron-generischen Perspektive auf das Buch bietet die »Führung durch die Kathedrale Jesaja« auch einen Zugang zur Theologie des Buches. Dieser wird von den Verfassern jedoch auf eine Deutung von Gottesnamen beschränkt, ohne dass die auch im Buch behandelten ethischen sowie ekklesiologischen Aspekte bedacht werden. Die Führung bleibt also auf die (Kunst-) Geschichte des Buches reduziert, obwohl die Texte ja durchaus eine Behandlung von theologischen Themen wie göttliche Strafe, Vergebung, Gnade, Gemeinde oder Glaube über ihre (entstehungs-) zeithistorischen Kontexte hinaus nahelegen.
In Hauptteil wenden sich die Autoren der angekündigten diachron reflektierten Synchronität des Buches zu. Die synchrone Analyse zeigt die Eigenheit des Jesajabuches auf: »Die intratextuellen Zusammenhänge […] bilden ein engmaschiges Netz aus Allusionen und semantischen Parallelen, die den kontinuierlichen Leseprozess fördern« (82). Eingefügt in die Analyse der Abschnitte des Buches sind Exkurse sowie theologische Leitlinien der einzelnen Akte. Diese beschränken sich jedoch auf den Erkenntnisfortschritt bei der Lektüre des Buches und bieten keine redaktionsgeschichtliche Lesung an, in der eine Veränderung des Gehalts von auf redaktionellen Vorstufen des Buches bereits vorhandenen Texten durch die Fortschreibung nach vorne (siehe vor allem die Ausführungen zu Jes 1–4) und hinten bedacht wird. Erst in einer solchen zirkulären Lesung des Buches wäre der sich verändernde Aussagegehalt der Abschnitte im entstehenden Buch sichtbar ge­­worden.
Prägend für die Darstellung der Redaktionsgeschichte des Bu­ches sind für PrJes die von Beuken eingebrachte These eines sukzessiven Entstehens einer Immanuel-Schrift in Jes 1–12 (mit dem im Kern aus der Zeit des Propheten stammenden Text Jes 6*; 7* und 8,1–18*) sowie für den zweiten Teil Jes 40–54 die von Berges erwogene Abfassung durch Tempelsängerkreise (einschließlich der Gottesknechtslieder). Ohne dass die beiden Autoren näher auf den Redaktionsprozess und damit auf die Querverbindungen innerhalb des sich ausbildenden Jesajabuches eingehen, geben sie eine in redaktionsgeschichtlichen Studien oftmals unreflektierte Dialektik der Traditionsbildung zu bedenken, die als methodische Anfrage der Fortentwicklung der Jesajaforschung dienen wird: »Zum einen steht der historische Prophet an der Basis einer Tradition, die auf allerlei Wegen zum Buch führt. Zum anderen erschafft genau diese Tradition ihren Propheten, den Visionären des Buches« (62). Dieser Zusammenhang sollte in zukünftigen Studien verstärkt an einzelnen Texten und nicht a priori reflektiert werden, um die Zusammenhänge der Traditionsbildung näher erfassen zu können. Textgenetisch stellt sich zudem die Frage, wie älteres, vermeintlich aus der Lebenszeit des Propheten stammendes Textmaterial in spätere Kompositionen Eingang finden konnte. Zwar wird bei jedem Text nach seinem historischen Ort gefragt; die Überlieferung der Texte bis zur Integration in die Sammlungen wird jedoch nicht weiter bedacht. Eine Überlieferung jenseits des Textkorpus wird von den Autoren also stillschweigend vorausgesetzt.
Nach dem diachron-reflektierten synchronen Durchschreiten der Akte und ihrer einzelnen Szenen endet die Lektüre abrupt. Für die Leser wäre es wünschenswert gewesen, die Autoren hätten eine Zusammenfassung ans Ende ihres Werkes gestellt, in der sie einen diachronen, d. h. redaktionsgeschichtlichen Querschnitt sowie den Aufriss des Buches (31–35) ergänzenden synchronen, an der Fortentwicklung von thematischen Schwerpunkten orientierten Längsschnitt des Jesajabuches dargelegt hätten. So bleibt der Leser bei der Suche nach diesen Zusammenhängen auf seine Lektürenotizen verwiesen.