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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

472–474

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schroeder, Joy A. [Transl. and Ed.]

Titel/Untertitel:

The Book of Jeremiah.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2017. X, 323 S. = The Bible in Medi-eval Tradition. Kart. US$ 55,00. ISBN 978-0-8028-7329-3.

Rezensent:

Georg Fischer SJ

Joy A. Schroeder, Professorin für Kirchengeschichte am Trinity Lutheran Seminary in Columbus, Ohio, führt mit diesem Buch ihre Übersetzung und Herausgabe des Genesis-Buches weiter, die in derselben Reihe zwei Jahre früher erschienen ist (s. dazu die Besprechung in ThLZ 142 [2017], 56–57). Die Präsentation gleicht weitgehend jener im Vorgängerband: Auf eine Einführung (1–51) folgt eine Auswahl von Texten in englischer Wiedergabe. Sie stammen von sieben mittelalterlichen Autoren, angefangen von Rabanus Maurus bis hin zu Dionysius dem Kartäuser, und überspannen somit den Zeitraum von ca. 800 bis ins 15. Jh. Am Ende stehen drei Register, zu Personen (»Names«), Begriffen (»Subjects«) und Bibelstellen, die unter mehreren Rücksichten das Material für spezielle Suchen erschließen.
Gegenüber der Genesis ist Jeremia deutlich schwerer auszulegen, auch deswegen, weil es viele Kapitel mit Poesie enthält. Für Jer 1 hat S. Rupert von Deutz und Albert den Großen ausgewählt, was einen Vergleich erlaubt und dabei einen Fortschritt in der Auslegung erkennen lässt. Letzterer nimmt z. B. zu Jer 1,9 sensibel die Berührung durch Gott wahr und bringt Jes 6 und Ez 1–3 als Vergleichsstellen ein (70 f.). Die Beauftragung Jeremias in 1,10 ist richtig übersetzt (71; allerdings in der parallelen Formulierung in V. 5 zuvor nicht: 66).
Bei Hugo von Sant Cher, von dem Jer 7–8 geboten werden, wiederholt sich eine solche Inkonsequenz für Gottes eifriges Bemühen in 7,25 (korrekt interpretiert: 133; dagegen als »frühes« Tun bei V. 13: 129). Er gibt anfangs jeweils Einleitungen zu den Kapiteln und bringt öfter mehrere Möglichkeiten der Deutung. Bei Jer 8,11 ist die Nuance »leichthin« am Versuch zu heilen korrekt erfasst (151), nicht jedoch die Deutung von 8,19 (161); dieser Vers spricht nicht vom Schrei Jerusalems, sondern spielt auf das Exil an.
Thomas von Aquin kommt für Jer 9; 11; 13–14; 17–18 zur Sprache. Seine Auslegung hält sich meist eng an den Text. Oft gibt er zu Beginn eine gliedernde Übersicht über das nachfolgend besprochene Kapitel. Zu Jer 11,19 nimmt er die doppelte Aufnahme von Jes 53 wahr, bei Jer 15,3 die das Gericht verschärfende Erwähnung der »Hunde«. Jer 20,14–18 deutet er das Problem von Jeremias Fluchwünschen als übertreibende Zuspitzung (207). Schade ist, dass er das auf Gott zu beziehende Weinen in 14,17 nicht erwähnt (180; Gleiches gilt für Hugo bei der Interpretation von 8,21–23 und 9,9) und das anschließende Gebet des Volkes mit »wir« auf Jeremia hin deutet (181). Auch schildert 20,9 nicht Preisgabe und Wiederaufnahme seiner Sendung, sondern, dass sogar das Spielen mit solchen Gedanken im Inneren ein Feuer entzündet, das er nicht aushalten kann.
Die Kommentierung von Nikolaus von Lyra in diesem Band beschränkt sich auf Jer 23 und 29–31. Er greift öfter frühere Ausleger auf (z. B. auch Maimonides) und erfährt seinerseits wiederholt Ergänzungen durch Paul von Burgos (222 f.239.256–259). Bei 23,30 (»siehe [m]ich gegen …«) fügt er entsprechend dem im Original intendierten Sinn »bin ausgerichtet/stelle mich« ein (Englisch: »am set« 220). 29,7 wäre das Beten für die fremde und ›feindliche‹ Stadt hervorzuheben gewesen; es bleibt leider unerwähnt. Die Deutungen von 31,7 »Haupt der Völker« auf den Teufel (242) und des Reigentanzes der jungen Mädchen in 31,13 als Teilhabe am »Chor der Engel« (244) sind interessant, aber nicht textgemäß.
Von Dionysius dem Kartäuser bringt S. mit den Kommentaren zu Jer 32–33 und 36–39 die umfangreichsten Abschnitte aus dem Jeremiabuch, was aber durch die vielfach sehr knappe Art der Kommentierung, wie schon bei Nikolaus von Lyra, möglich ist (260–292). Bei ihm merkt man einen deutlichen Akzent auf einer geistlichen Auslegung (269 zu Jer 32; 292 zu Jer 39) sowie das Anliegen der Aktualisierung (283 zu Jer 36).
Neben der Einleitung und den Übersetzungen steuert S. auch Überschriften und Anmerkungen bei. Erstere erlauben eine leichtere Orientierung, worum es sich im jeweils folgenden Abschnitt bei Jeremia handelt. Letztere erklären manches oder führen in Hintergründe ein, wobei die Verweise auf Zitate früherer Autoren oder die Form einer scholastischen Quaestio (207, Anm. 15, zu Jer 20,14–18) besonders hilfreich sind. Allerdings sind diese Bemerkungen der Herausgeberin, auf beiden Ebenen, teils problematisch, wie zwei Beispiele zeigen mögen: Die Überschrift zu Jer 7,29 »… Jeremiah Shaving His Hair« (137) verkennt, ebenso wie Hugo von Saint Cher, dass im Hebräischen eine Frau angeredet wird. Dies nicht zu bemerken oder zu korrigieren, führt zu einer falschen Interpretation. Die Deutung von Jer 32,17 durch Dionysius den Kartäuser als dreifaches »Alas« (262 mit Anm. 3, erklärend bezogen auf »Gedanken, Worte, Taten«) hat keinen Anhaltspunkt im originalen Text (»Achach, Herr JHWH!«). Auch scheinen manche Fußnoten für mit der Bibel Vertraute nicht notwendig (z. B. 81, Anm. 10; 107, Anm. 37; 215, Anm. 15), während anderseits korrigierende Bemerkungen zu Fehlinterpretationen öfter erwünscht gewesen wären. Zudem bleibt bei Rabanus Maurus vielfach unklar, bis wohin die Zitate der von ihm aufgenommenen Autoren gehen; dafür hätte man sich Hinweise erwartet.
S.s Band zu mittelalterlichen Kommentierungen von Jeremia gleicht einer »Rohkost«. Wichtige Erläuterungen und eine übergreifende Auswertung bzw. Stellungnahme zu Problemen dieser Auslegungen fehlen. Weil das Material zu wenig »aufbereitet« ist, bedarf es zur Verwendung ihres Buches nicht nur eines hohen Aufwandes, sondern einer doppelten und großen Kompetenz, sowohl im Verständnis des Jeremiabuches als auch bezüglich der sieben ausgewählten alten Kommentatoren.