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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

466–468

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lau, Markus, u. Nils Neumann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das biblische Methodenseminar. Kreative Impulse für Lehrende.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 3684 S. m. Abb. u. Tab. = UTB 4612. Kart. EUR 34,99. ISBN 978-3-8252-4612-9.

Rezensent:

Sönke Finnern

Dieses Buch ist ein Novum: Es handelt sich um ein spezifisches »Lehrerhandbuch« für Dozentinnen und Dozenten des alt- oder neutestamentlichen Proseminars, die Unterstützung für ihr Seminar suchen. Das erklärte Ziel besteht darin, neuere Erkenntnisse der Hochschuldidaktik in Bezug auf die Methodenlehre der Bibelexegese anzuwenden. Beispiele für »Best Practice« in der Hochschullehre sollen für andere verfügbar gemacht werden. Dafür bietet sich ein standardisiertes Einführungsseminar in den Bibelwissenschaften exemplarisch an. Dieses Lehrbuch für Dozentinnen und Dozenten steht damit im Kontext einer sich etablierenden, professionellen Hochschuldidaktik der Bibelwissenschaften. In eine ähnliche Richtung gehen z. B. die neu gegründete Zeitschrift »Forum Exegese und Hochschuldidaktik/Verstehen von Anfang an« (Francke-Verlag Tübingen, 2016 ff.) oder die Reihe »Theologie und Hochschuldidaktik« (LIT Verlag Münster, 2008 ff.).
Die Abläufe zu den Seminarsitzungen stammen von acht jüngeren Autoren (Jahrgänge 1975–1982), meistens aus dem akade-mischen Mittelbau, die jeweils mehrjährige Erfahrung in der Leitung von exegetischen Methodenseminaren besitzen. Die Idee zum Buch erwuchs aus einer gemeinsamen hochschuldidaktischen Fortbildung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; sieben der acht Beiträger sind daher der katholisch-theologischen Fakultät in Münster verbunden.
Folgende drei Punkte seien für gelingende Lehrveranstaltungen besonders wichtig: »Erstens (didaktische) Methodenkenntnis, zweitens Fachwissen und drittens die Fähigkeit, studentische Eigenständigkeit zu fördern« (9). Das Buch wolle dazu motivieren und anleiten, eine Vielfalt an didaktischen Methoden im Proseminar anzuwenden, um die Studierenden aktiv zu beteiligen (14). Der Kompetenzzuwachs der Studierenden steht im Mittelpunkt der Überlegungen; nicht so sehr das, was bloß »doziert« wird (Kompetenzorientierung). »Der Dozent« bzw. »die Dozentin« wird in diesem Buch daher durchweg als »die (Seminar-)Leitung« angesprochen.
Wie kann man als Seminarleitung dazu beitragen, dass Studierende den präzisen wissenschaftlichen Umgang mit [biblischen] Texten motiviert und effektiv lernen? Dies ist die Frage vieler Lehrender im Bereich der Textwissenschaften, zu deren Beantwortung das Buch eine Hilfestellung geben möchte.
Zur Umsetzung: Bei den vorgeschlagenen Abläufen für 21 verschiedene Sitzungen (warum wird nicht lieber das Wort »Lerntreffen« verwendet?) fehlt keiner der klassischen Sitzungstermine zur historisch-kritischen Methode; daneben werden auch Themen an­geboten, die möglicherweise eher selten gewählt werden, wie postkoloniale Exegese oder »Intermedialität«. Methoden der Narratologie (Erzähltheorie) werden auf insgesamt fünf Sitzungstermine verteilt: Aktantenanalyse, Charakterisierung, Erzählperspektive, erzählter Raum, pragmatische Analyse (bzw. Erzählwirkung). Das s trukturalistische Aktantenmodell ist allerdings veraltet, da die Figuren dadurch auf ihre Handlungsrolle verengt werden. Man könnte dieses Kapitel besser durch eine kognitiv-narratologische Analyse der Figurenkonstellation ersetzen und außerdem ein eigenes Kapitel zur Handlungsanalyse ergänzen.
Jedes der Kapitel zu einem Sitzungstermin ist einheitlich aufgebaut mit der folgenden Untergliederung: Hinführung zur Me-thode – Lernziele – Literatur zur Methode – Baustein AT (Voraussetzungen; Einstieg; Erarbeitung/Vertiefung; Erkenntnisgewinn/ di­daktischer Abschluss; Literatur zur Textstelle) – Baustein NT (Un­tergliederung wie Baustein AT) – Ertrag zur Methode – weitere Ideen. Die klare, einheitliche Struktur der Kapitel hilft den Nutzern zur schnellen Orientierung. Graphische Elemente, Tabellen oder Hervorhebungen (beispielsweise der Lernziele) hätten die Orientierung zusätzlich unterstützt; in diesem Sinn ist das »Lehrbuch für Seminarleitungen« nicht so ganz benutzerfreundlich. Zu den Abschnitten der Kapitel:
Die Hinführungen zur Methode sind von den Beiträgern unterschiedlich umgesetzt. Teilweise werden die Inhalte eines studen-tischen Methodenbuches wiederholt. Die Erklärungen sind am ehesten dort interessant, wo Abschnitte nicht so einfach woanders nachgelesen werden können, z. B. im Kapitel zur »Intermedialität«.
Die Einstiege in die Sitzungen sind ein besonderes Highlight des Buches und didaktisch oft sehr kreativ. Als Hinführung zum synoptischen Textvergleich wird beispielsweise der Plagiatsfall K.-T. zu Guttenberg aus dem Jahr 2011 verwendet; als Einleitung in die Redaktionskritik ein Zeitungsbericht, nach dem Unbekannte das Ortsschild »Freiburg im Breisgau« mit »Freibier« überklebt hatten; die Gattung »Pizzaservice-Faltblatt« (214) dient als Überleitung zur exegetischen Gattungskritik. Diese Einstiege helfen den Studierenden, einen lebensnahen, motivierenden Zugang zu der jeweiligen Methode zu finden.
Die dann folgende Hauptphase der Seminarsitzung Erarbeitung/Vertiefung bezieht sich immer auf einen biblischen Text und wird in ein AT-Beispiel und ein NT-Beispiel aufgespalten. Inhaltlich wird hier einführendes Fachwissen zum jeweiligen vorgeschlagenen Beispieltext geboten. Methodisch wird der Bezug auf ein Lehrbuch, das den Studierenden den methodischen Zugang erleichtern könnte, leider kaum thematisiert. Didaktisch enthält dieser Abschnitt wieder wertvolle Anregungen. Man hätte am Ende des Buches ein eigenes Stichwortregister für die verwendeten hochschuldidaktischen Methoden anfügen können; denn diese (Chaosinterview, Gallery Walk, Gruppenpuzzle, Lernstoppmethode, Mo­saik, Schachteltechnik, Schneeball-Methode, Tuschelphase u. a.) gehen im allgemeinen Sachregister etwas unter. Ein gewisser »blinder Fleck« des Buches scheint mir darin zu bestehen, wie die Studierenden die exegetischen Methoden, zu denen sie hingeleitet wurden, außerhalb der Seminarsitzung vertiefen können – der Blick für den Lernprozess zwischen den Sitzungen fehlt.
Fazit: Das Buch stößt eine Tür zur Hochschuldidaktik auf. Mit den Einstiegen wird es der Seminarleitung gelingen, dass die Studierenden sich dem nächsten Methodenschritt gerne und motiviert zuwenden. Ob die Studierenden am Ende tatsächlich fähig(er) sein werden, wissenschaftliche Methoden im Umgang mit Texten präzise und differenziert einzusetzen, kann man allein aufgrund des Buches schwerlich sagen.
Angesichts der steigenden Bedeutung einer Reflexion der Hochschuldidaktik wird es wahrscheinlich bald weitere »Lehrerhand-bücher« für Seminarleitungen geben, nicht nur in der Bibelexe-gese und nicht allein in der Theologie. Hierzu kurze Anregungen: 1. Man sollte eine eigene Publikationsreihe gründen, die spezielle Materialien für die Hochschullehre enthält; die UTB-Reihe ist hierfür nur bedingt geeignet. Unter den Herausgebern sollten Experten für Hochschuldidaktik sein. 2. Ein gedrucktes Buch mit Materialien und Vorschlägen zu Seminarabläufen (hier sind es 22 Seiten am Schluss des Bandes, die sich kaum als Kopiervorlagen eignen) wäre noch besser verwendbar, wenn individuell anpassbare Materialien auch in elektronischer Form zum Download angeboten werden. Vielleicht ist dies nachträglich möglich. 3. Im Zeitalter des digitalen Lernens (vgl. »Verstehen von Anfang an« Heft 2/2017) wird es zunehmend von Bedeutung sein, das (Präsenz-)Seminar an der Hochschule nur als einen kleinen Teil des Lernprozesses – im Sinne eines Blended Learning – zu verstehen.