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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

461–462

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Hasselhoff, Görge K., u. Meret Strothmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Religio licita?«. Rom und die Juden.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2016. VIII, 230 S. = Studia Judaica, 84. Geb. EUR 89,95. ISBN 978-3-11-040655-9.

Rezensent:

Monika Schuol

Der Sammelband geht auf zwei Konferenzen im Bochumer Käte-Hamburger-Kolleg »Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa« im Oktober 2012 und im Juli 2013 zurück. Im Mittelpunkt des ersten Workshops standen die Thesen von Doron Mendels und Arye Edrei, dass nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. eine sprachlich bedingte Entfremdung zwischen den östlichen und westlichen Judengemeinden eingesetzt habe (»Zweierlei Diaspora«). Der zweite Workshop legte den Fokus auf die römische Wahrnehmung jüdischer Gruppierungen im Reich und innerjüdische, dem Einfluss Roms geschuldete Veränderungsprozesse sowie die Anwendbarkeit der Begriffe religio, superstitio und religio licita für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen dem Römischen Reich und dem Judentum. Vorgeschaltet ist eine Einführung in die Thematik der beiden Konferenzen und eine knappe Skizze der in den einzelnen Studien aufgegriffenen Fragen.
Benedikt Eckhardt wendet sich Fragen der Kategorisierung zu: Ist ein Ἰουδαῖος/Iudaeus in den Augen Roms ein Angehöriger eines Volkes oder einer Religion und sind diese Begriffe mit »Jude« oder »Judäer« zu übersetzen? Er gelangt zu dem Schluss, dass in der römischen Sicht jüdische Riten und Herkunft eng miteinander verbunden seien, gegenüber dem republikanisch-frühkaiserzeitlichen Fokus vor allem auf Territorium und Herkunft im 2. Jh. n. Chr. aber die Religion mehr in den Vordergrund gerückt sei. Für die Rezensentin nicht nachzuvollziehen ist Eckhardts Argumentation zugunsten der Verwendung »Judäer« anstatt des in der Forschung eingebürgerten, immer wieder definierten und damit gut begründeten Begriffs »Jude«. Daher führt seine Frage, ob sich durch die Verwendung des Terminus »Jude« in jüngeren Monographien ein »Kategorienfehler« nachweisen lasse, nicht weiter. Zudem wird die Möglichkeit eines »Kategorienfehlers« offenbar einzig und allein an den Titeln der als Beispiele genannten Publikationen festgemacht (z. B. Ernst Baltrusch, Die Juden und das Römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, Darmstadt 2002), ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den »inkriminierten« Monographien stattfindet.
Karl Leo Noethlichs bietet zunächst einen Abriss der Rechtslage der Juden von der achämenidischen Zeit bis in die Spätantike. Die nachlassende Interaktion zwischen westlichen und östlichen Judengemeinden könnte sich nach Noethlichs durchaus mit den von Doron Mendels und Arye Edrei in Anschlag gebrachten Sprachproblemen begründen lassen, darüber hinaus aber auch mit der Entstehung der Mischna und der Talmudim zusammenhängen, ohne dass eine Mitwirkung der westlichen Rabbinen (sofern es sie überhaupt gab) nachweisbar wäre.
Die Wirkmächtigkeit der Kalender im Hinblick auf das (Feind-)Verhältnis zwischen Rom und den Juden untersucht Meret Strothmann. Zu Recht stellt sie lediglich innerjüdische Kalenderkonkurrenzen fest. Es habe aber weder von jüdischer Seite Bestrebungen gegeben, den Kalender für die Stabilisierung der eigenen Identität zu instrumentalisieren und sich auf diese Weise nach außen gegenüber Rom abzugrenzen, noch habe die römische Seite durch eine zwangsweise Harmonisierung des jüdischen mit dem römischen Kalender Machtansprüche formuliert.
Entgegen den Stimmen der modernen altertumswissenschaftlichen Forschung, die Cicero Antijudaismus unterstellen, kann Miriam Ben Zeev nachweisen, dass seine vermeintlich judenfeindlichen Äußerungen sich in Wortwahl und Schärfe im Rahmen der üblichen Polemik und persönlichen Beleidigungen bewegten, mit denen Cicero in seinen rhetorisch ausgefeilten Gerichts-reden seine Prozessgegner überzog, um sie zu diskreditieren und seine Mandanten in besserem Licht erscheinen zu lassen.
Ernst Baltrusch wendet sich dem historiographischen Konzept des Flavius Josephus zu: Dieser habe mit seinen sorgfältig und strategisch durchkomponierten Geschichtswerken das Ziel verfolgt, »die Kompatibilität zwischen der mediterranen und der jüdischen Politeia zu vermitteln« (157) und somit den Juden das Wohlwollen der Römer zu sichern.
Der Beitrag von Christopher Weikert ist dem Verhältnis zwischen der gens Flavia und den Juden gewidmet, wobei dem Ersten Jüdischen Krieg als Möglichkeit für Vespasian und Titus, ihre virtus unter Beweis zu stellen, eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Die von der julisch-claudischen Dynas­tie begründeten Grundlinien Roms im Umgang mit den Juden seien beibehalten worden; die wichtigste Änderung der Flavier hätte in der Einführung des fiscus Iudaicus bestanden. Zweifellos berechtigt ist Weikerts Verbindung der antiken Darstellungen Domitians als Judenfeind mit dessen negativem Image.
Mit guten Argumenten stellt Sven Günther klar, dass der erstmals in der Zeit Domitians bezeugte fiscus Iudaicus zu trennen sei von der im Kontext der Umwandlung Judaeas in eine kaiserliche Provinz nach der Tempelzerstörung den Bewohnern auferlegten Judensteuer.
Insbesondere den jüdischen Diaspora-Aufständen in der Regierungszeit Trajans gilt die Aufmerksamkeit von Görge K. Hasselhoff, der die Sicht des Cassius Dio mit der Darstellung in Eusebs Kirchengeschichte vergleicht.
Auf der Grundlage einer Konstitution Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321 n. Chr. an die Dekurionen (Ratsherren) des römischen Köln, die ihnen die Berufung von Juden in den Rat der Stadt erlaubte, argumentiert Werner Eck zugunsten einer größeren jüdischen Gemeinde im römischen Köln. Diese Neuerung mit reichsweiter Gültigkeit sei notwendig geworden, da im 3. Jh. nicht mehr genügend Nicht-Juden mit dem für das Amt geforderten Mindestvermögen verfügbar waren, um mit den eigenen finanziellen Mitteln für die ordnungsgemäße Ablieferung der Steuereinnahmen zu haften.
Der mit einem Register gut erschlossene und sorgfältig edierte Band bietet durchweg lesenswerte Beiträge. Natürlich nicht den an der Entstehung dieses Bandes beteiligten Kolleginnen und Kollegen anzukreiden, aber einer Kritik mehr als würdig ist zweifellos der »gepfefferte« Preis des Buches!