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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

459–461

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Frisch, Alexandria

Titel/Untertitel:

The Danielic Discourse on Empire inSecond Temple Literature.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2016. 263 S. = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 176. Geb. EUR 120,00. ISBN 978-90-04-33129-7.

Rezensent:

Martin Rösel

Die unter L. Schiffman erarbeitete Dissertation von Alexandria Frisch beschäftigt sich mit der Frage, wie das Judentum in der Epoche von der persischen bis in die römische Zeit die Großreiche (engl. empire) bewertet hat, zu welchen Differenzierungen es dabei ge­kommen ist und was an der jeweiligen Bewertung der Reiche spezifisch jüdisch war. Das Danielbuch spielt bei diesen Diskursen eine besondere Rolle, da es zum einen frühere Texte aufnimmt und neu deutet, zum anderen selbst unterschiedliche Bewertungen der Reiche bis hin zur Translatio-Theorie bietet und drittens für spä-tere Deutungen des Römischen Reiches zur Matrix wurde. Diese Schlüsselposition soll durch die Bezeichnung »Danielic Discourse« herausgestellt werden.
In der »Introduction« (1–26) wird das Arbeitsprogramm vorgestellt und in den Fragehorizont der vor allem in der US-amerikanischen Exegese geübten postkolonialen Perspektive eingeordnet. In einem kurzen Forschungsüberblick wird vor allem herausgestellt, dass es eine Arbeit mit vergleichbarer Themenstellung noch nicht gegeben hat (6–16). Es folgt eine Definition, die aber eher vage bleibt: Empire ist eine fremde Macht, die die Souveränität der Juden kontrollierte. Das trifft für Perser, Griechen und Römer zu, auch die Meder werden wegen der Bezugnahme im Danielbuch dazu gerechnet (19). Die Perspektive ist diachron: warum und wie haben sich die Perspektiven auf die Reiche geändert; welche Besonderheiten hatten die jeweiligen Reiche in der jüdischen Wahrnehmung, wie haben die Reiche selbst ihre Ansprüche formuliert? Hinzu kommt die Frage, ob diese Ansprüche seitens des Judentums zumindest partiell akzeptiert und übernommen wurden.
Im 2. Kapitel geht es um »The Hegemonic View of the Persian Empire« (29–53). Hier wird dargestellt, dass vor allem die Bücher Esra und Nehemia die Existenz des persischen Reiches akzeptieren, weil sich die Perser selbst in Kontinuität zu den vorherigen Reichen verstanden. So konnten frühere Konzeptionen weitergeführt werden, wonach Assyrer und Babylonier Werkzeuge Gottes waren; die Perser sind vergleichbar, haben aber keine strafende Funktion. Insofern werde die persische Reichsideologie mit ihrem hegemonialen Anspruch anerkannt – bis hin zur Identifikation von JHWH und Ahura Mazda. Gleichzeitig gab es eine subversive Gegentendenz, die JHWH als den einzig mächtigen Gott darstellte.
Kapitel 3 »A New Greek Imperial Mythology« (52–77) formuliert die These, dass wegen der beiden zeitgleich herrschenden Großmächte Seleukiden und Ptolemäer ein neues Konzept entwickelt wurde, das sich an der Aufnahme von Gen 6,1–4 im Wächterbuch (ibs 1Hen 6–11) ablesen lässt: Die hellenistischen Reiche werden nun mit Giganten und Wächtern identifiziert und so als Teilaspekt des Bösen gesehen, das durch die abgefallenen Engel geschaffen wurde. Den griechischen Machtansprüchen und ihren Mythen (Stichwort: Gigantomachie) sei mit einer eigenen, neuen Mythologie begegnet worden.
Kapitel 4 »Daniel and Empire« (81–101) legt dann dar, dass Dan 2 und 7 die Vorstellung der imperialen Hegemonie subversiv aufnehmen und je unterschiedlich umdeuten. Dabei kombiniere Dan 2 persische Konzeptionen, wonach das eine Reich in Epochen unterteilt werden kann, die durch Metalle gekennzeichnet werden. In der Diadochenzeit wurde das Schema dann modifiziert, daher sprechen die Trauminterpretation in Dan 2 und die Vision in Dan 7 von mehreren, sich ablösenden Reichen. Die eschatologische Erwartung nur eines ewigen Reiches bleibe dann aber wieder im Rahmen des persischen Herrschaftsdiskurses.
In Kapitel 5 »Daniel, Empire, and God« (102–124) wird die Idee eingeführt, dass das Danielbuch als »hidden transcript« zu sehen ist, es transportiere innerhalb des offenen empire-Diskurses die verborgene Botschaft vom Ende der Reiche durch Gottes Herrschaft. Während in Dan 1–6 Gott die irdischen Reiche autorisiert und kontrolliert, wird diese Vorstellung in Dan 7–12 durch die Annahme himmlischer Kämpfe transzendiert, zudem wird der Gegensatz zwischen irdischer und göttlicher Herrschaft pointiert. Obwohl durchaus diachron argumentiert wird, bleibt unklar, ob und von welchem der Verfasser bzw. Redaktoren des Buches die dargestellten Textstrategien intendiert wurden.
In den Abschnitten zum Danielbuch wird an vielen Stellen damit argumentiert, dass verborgene Beziehungen zwischen verschiedenen Texten aufgedeckt werden, die ein wissender Leser damals gesehen haben müsse, um auf diese Weise die subversive Botschaft des Buches fassen zu können (etwa 119 zu Gen 6,1–4 in Dan 7). Dabei kommt die Vfn. ganz ohne Exegesen aus, so wird selbst der Gebrauch des Schlüsselbegriffes malku(t) im Danielbuch nur an einer Stelle erwähnt (100), aber nicht differenziert vorgeführt. Dan 4 wird einlinig-assoziativ von Gen 11 her erklärt (112–116), ohne dass gründliche Arbeiten dazu (M. Henze, Klaus Koch: BK 1–4) angesehen wurden. An anderen Stellen werden erkennbar Konzepte über die Texte gelegt, ohne dass über die Angemessenheit dessen reflektiert wird, so etwa bei der Aussage, dass die Gottesbezeichnung »Gott des Himmels« als Verspottung verwendet werde (104). Meist werden die mutmaßlichen Bezüge auch nur am Übersetzungstext gezeigt, daher bleiben viele Ergebnisse spekulativ.
In den folgenden Abschnitten werden die »Danielic Discourses« in der hellenistischen (127–152), der frühen römischen Zeit (153–180) und in der Epoche nach dem Fall Jerusalems (181–212) dargestellt. Für die hellenistische Zeit wird anhand des 3. Sibyllinischen Orakels, der Tierapokalypse 1Hen 85–90 und des Jubiläenbuches gezeigt, wie unterschiedlich das Danielbuch rezipiert wurde, so dass nun der »Daniel-Diskurs« entstand. Dabei kam das Jubiläenbuch zu einer weniger herrschaftskritischen Bewertung der Reiche als die anderen beiden Schriften. Sie verbinde aber, dass sie nun explizit Gen 6; 10 und 11 mit den Daniel-Stoffen in Bezug bringen würden.
Gegen die römischen Machtansprüche argumentieren ein Jahrhundert später die Kriegsrolle aus Qumran und das Testament Moses mit dem aus Gen 10 erhobenen Argument der lokalen Be­schränktheit des Reiches und der Erwartung seiner eschatologischen Zerstörung. Die Psalmen Salomos greifen auf das deuteronomistische Argument zurück, dass Gott Reiche zur Bestrafung Israels beauftragen kann, ihre Macht aber begrenzt. Für die Zeit nach der Tempelzerstörung werden Josephus’ Antiquitates, 4. Esra, 2. Baruch und die Apokalypse des Neuen Testaments auf ihre Daniel-Rezeption und den Herrschaftsdiskurs befragt. Erneut werden da­bei verdeckte Botschaften und subversive Textstrategien be­nannt, durch die der Herrschaftsanspruch Roms zurückgewiesen werden soll.
Kapitel 9 (213–220) bietet dann die Zusammenfassung, in der nochmals darauf hingewiesen wird, dass das Danielbuch für die späteren Herrschaftsdiskurse als hermeneutische Brille gedient habe, was zu unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen zu den Reichen zwischen Widerstand und Anpassung geführt hat. Problematisch sei aber, dass das prinzipielle Konstrukt imperialer Hegemonie nicht überwunden wurde, weil die Idee eines Gottesreiches gegen die der irdischen Reiche gesetzt wurde.
Die Arbeit hat einen weiten Horizont und bietet eine anregende Lektüre. Meine Hauptanfrage ist allerdings, ob nicht die postkoloniale Fragestellung nach dem Herrschaftsdiskurs den Blick auf die Vielfalt der Themen des Danielbuches und seiner Rezeption zu sehr einschränkt. Zusätzlich bleibt unterbelichtet, welche anderen biblischen Texte für das Verständnis der Großreiche und die Deutung der Geschichte herangezogen wurden, etwa jesajanische Universalismus-Aussagen. Einzelne Schriften, die sich nicht in das Programm fügen, bleiben unbearbeitet, wie etwa die Weisheit Salomos. So erscheint mir der hier nachvollzogene, einlinige Daniel-Diskurs als Konstrukt, zumal ein Bild von einer einheitlichen Größe »Judentum« gezeichnet wird, das dem komplexen Bild der hellenistisch-römischen Zeit nicht gerecht wird.