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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

414–416

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Platzhoff, Susanne

Titel/Untertitel:

An Ostern die Auferstehung predigen. Eine hermeneutische und qualitativ-empirische Studie zur Os­terpredigt der Gegenwart anhand von Predigten zu Mk 16,1–8.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 552 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 68. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-05191-5.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Mit der Osterpredigt hat Susanne Platzhoff, inzwischen als Pfarrerin tätig, in dieser von Alexander Deeg in Leipzig betreuten Dissertation ein ebenso wichtiges wie schwieriges Thema gewählt und eine imponierende Leistung vorgelegt. Sie geht davon aus, dass das Osterfest in der evangelischen Kirche in eine Krise geraten ist, die sich aus der Dominanz des naturwissenschaftlichen Weltbildes und der daraus folgenden Schwierigkeit, die Botschaft von der Auferstehung Jesu zu verstehen, ergeben hat. Im ersten und umfangreichsten Teil (47–283) beschreibt P. weit ausholend die Problemgeschichte anhand der Beispiele von H. S. Reimarus, D. F. Strauss, A. Schlatter, R. Bultmann, E. Hirsch, W. Marxsen, G. Lüdemann und G. Theißen. Laufend wird auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Autoren hingewiesen, deren Auswahl ein Übergewicht der historisch-kritischen Hermeneutik mit sich bringt. Es zeigen sich die Aporien, in die ein historisierendes oder dogmatisierendes Verständnis der Ostererzählungen führt, aber es stellt sich auch die Frage, ob und inwiefern die von den genannten Autoren in unterschiedlicher Weise geteilten Voraussetzungen für heutige Predigt maßgebend sind.
Positiv geht es um die Anschlussfähigkeit an das Denken heutiger Menschen, das durch die naturwissenschaftliche Weltsicht geprägt ist. Wer wie Schlatter an der historischen Faktizität der Auferstehung festhält, wird als Supranaturalist eingeordnet und sogar als restaurativ und fundamentalistisch beurteilt (39). Hier ist zu fragen, ob der theologiegeschichtlich definierte Gegensatz von Supranaturalismus und Rationalismus noch hermeneutisches Kriterium sein kann. Hält jemand Fakten für möglich, die nicht mit den heute bekannten Naturgesetzen erklärbar sind, bedeutet das keine Leugnung ihrer prinzipiellen Geltung und kein »sacrificium intellectus«. Gäbe es nur die vom reduktionistischen naturwissenschaftlichen Weltbild beschriebene Realität, so würde nicht nur die Auferstehung als Ereignis hinfällig, sondern auch die christliche Rede von Gott. Ein atheistisches Weltbild kann nicht theologische Normen setzen, und P. will das auch keineswegs. Damit wird ein methodischer Atheismus hermeneutisch fragwürdig. Lüdemanns radikaler Kritik liegt nach P.s Urteil ein historischer Fundamentalismus und ein supranaturalistisches Denken zugrunde, wie man es sonst in sehr konservativen Kreisen findet.
Im zweiten Hauptteil analysiert P. 16 Predigten über Mk 16,1–8, die für den Predigtpreis des Verlages für die Deutsche Wirtschaft eingereicht wurden und im Anhang abgedruckt sind. Untersucht werden der Textbezug und die Frage, wie der theologische Gehalt der Ostererzählung thematisiert wird. Wird über das »Osterereignis« als historisches Ereignis mit Durchbrechung der Naturgesetze gesprochen? Welches Leid – im Leben der Hörer – wird durch die Auferstehung überwunden? Welche Rolle spielt dabei das Handeln Gottes? Wie wird vom Auferstandenen gesprochen? Die Predigt wirkt als Teil des Gottesdienstes, und ihre isolierte Analyse kann nicht dem Gesamtgeschehen gerecht werden. Dennoch erweist sie sich als sinnvoll und notwendig für die materiale Homiletik. P. prüft den Textbezug, indem sie den Text in Segmente aufteilt und feststellt, welche Textteile in den Predigten auf welche Weise erscheinen. Als Ergebnis »ist festzuhalten, dass sich die meisten Predigten nur punktuell und eklektisch auf den Text beziehen« (360). Hinzu kommt die Wortfeld-Analyse für die Fragestellung, wie Auferstehung in den Predigten dargestellt wird. Häufig geschieht das nur vage und in einer vom Text abstrahierenden Form. P. kritisiert eine Rhetorik der Freude, bei der diese behauptet, kaum aber erfahrbar wird. Es gelinge zu wenig, an wirkliche Erfahrungen anzuknüpfen. Zu wenig werde gezeigt, wie und »wo Menschen heute etwas vom Auferstandenen erfahren« (367) und wie Christus im Alltag gegenwärtig ist. Positiv betont P. die Notwendigkeit und Möglichkeit, in analoger Sprache von der Auferstehung zu reden. Wie das in den Predigten erfolgt, kritisiert sie scharfsinnig. In den meisten Predigten dominieren nach ihrem Urteil »allgemeine Aussagen zur Gotteslehre und ethische Forderungen« (402).
Der homiletische Ertrag wird im dritten Teil gebündelt. P. plädiert mit fundamentaltheologischen und homiletischen Gründen für die Predigt mit Bibeltext. Sie reflektiert Ursachen für den Textverlust und spricht sich positiv für einen »Textbezug in der Haltung homiletischer Gastfreundschaft« aus, bei der der Text als Fremder und Freund verstanden wird. Eine normative Textfunktion, »bei der der Text zur affirmativen Bestätigung der Predigtaussagen dienen soll« (421), lehnt P. dagegen ab, weil sie das kreativ-kritische Potential, »das sich bei einer im Ergebnis offenen Begegnung zwischen Prediger und Text entfalten könnte« (ebd.), behindere. Gemeint ist wohl, dass die Autorität des Textes nicht in autoritärer Weise vom Prediger zu beanspruchen ist. Über die Normativität biblischer Texte und das Verhältnis von Textbezug und Textgemäßheit ist damit noch nicht das letzte Wort gesprochen. Interessant ist, dass P. Überlegungen zur Rehabilitierung der Skopus-Methode anstellt. Abschließend entwirft sie Perspektiven für die Osterpredigt der Gegenwart. Die Aufgabe und Chance sieht sie darin, die Gegenwart des Auferstandenen zu feiern. Der prospektive Aspekt ist wichtiger als die retrospektive Frage nach der historischen Faktizität. Eine Ursache für die »Christus-Absenz« in vielen Predigten sieht P. im historisierenden Paradigma der Exegese. Es ist allerdings zu fragen, ob die von P. kritisierten Mängel nicht mit der von ihr geteilten Hermeneutik und deren homiletischen Folgen zu­sammenhängen.
Das Buch enthält viele gute Anregungen, auch zur poimenischen Dimension der Predigt. Es ist übersichtlich gegliedert und in gut lesbarer Sprache geschrieben. »Will man vermeiden, dass Predigten von freien Assoziationen oder den theologischen Lieblingsthemen geleitet werden, muss in der Ausbildung ein stärkerer Fokus auf fächerübergreifendes Lernen gelegt werden«, fordert P. (441). Ihr Buch leistet dazu einen wertvollen Beitrag, auch indem die nicht nur für die Osterpredigt grundlegende Frage nach der Verbindlichkeit biblischer Texte als aktuell aufgezeigt wird.